Goldilocks Ausgabe 04 | Page 6

Titelstory


Die Diffusion des Point of Sale.


Sicherlich kennen Sie diese Zahlenspiele, die in journalistischen Texten gerne bemüht werden.



Zum Beispiel werden große Flächen gerne daran bemessen, wie viel größer sie sind als das Saarland. In dieser Tradition wagen wir mal zu Beginn dieser Geschichte einen solchen Vergleich: 2,5 Millionen Accounts existieren derzeit bei Deutschlands Carsharing-Angeboten. So viele Einwohner haben München, Stuttgart, Wolfsburg und Ingolstadt gemeinsam. Dass es sich hierbei um die Standorte der großen deutschen Autobauer handelt, ist dabei nur augenzwinkernde Randbemerkung.

Warum wir überhaupt damit einsteigen in unsere Titelgeschichte zur Diffusion des Point of Sale? Weil man am Beispiel des Carsharing wunderbar sehen kann, wie sich durch die Sharing Economy Prozesse verschieben, die gestern noch selbstverständlich waren. Bei Carsharing wie FreeNow (das ist das künftige Konglomerat aus DriveNow und car2go) genauso wie etwa bei Grover, einem Miet-Startup für Unterhaltungselektronik, entscheiden die Nutzer höchstens noch, welches Produkt für sie örtlich am besten gelegen ist (sprich: welcher Weg der kürzeste ist), nicht mehr so sehr über den Gerätetyp, geschweige denn über die Finanzierung oder Versicherung.

Das Spart Ihnen Arbeit.


Es nimmt ihnen aber auch Wissen und ein Stück Entscheidungsfreiheit. Strukturen verabschiedet und neue Methoden des Projektmanagement etabliert.

Bei allem spannenden Fortschritt geht die Entwicklung in gewisser Weise wieder zurück in die Prä-Online-Banking-Ära, als Kunden in den Bankfilialen noch den einen Bausparvertrag abschlossen, den der Berater eben anbot, weil sie ja nicht wussten, was sonst noch alles möglich war. Natürlich verbunden mit neuen Freiheiten: Die Kunden müssen sich nicht mehr festlegen, können Neuware mieten und haben – gute Kunden-Händler-Beziehungen vorausgesetzt – überhaupt keinen Nachteil von den nicht vorhandenen Wahlmöglichkeiten. Sie müssen sich einfach nicht kümmern.

Es nimmt ihnen aber auch Wissen und ein Stück Entscheidungsfreiheit. Strukturen verabschiedet und neue Methoden des Projektmanagement etabliert.

Bei allem spannenden Fortschritt geht die Entwicklung in gewisser Weise wieder zurück in die Prä-Online-Banking-Ära, als Kunden in den Bankfilialen noch den einen Bausparvertrag abschlossen, den der Berater eben anbot, weil sie ja nicht wussten, was sonst noch alles möglich war. Natürlich verbunden mit neuen Freiheiten: Die Kunden müssen sich nicht mehr festlegen, können Neuware mieten und haben – gute Kunden-Händler-Beziehungen vorausgesetzt – überhaupt keinen Nachteil von den nicht vorhandenen Wahlmöglichkeiten. Sie müssen sich einfach nicht kümmern. möglichst verführerischen Angeboten aufzufallen und dazwischen verstecken sich halt auch immer wieder schwarze Schafe. Weshalb es irgendwie auch gut ist, dass Verbraucher laut einer GfK-Befragung aus dem Jahr 2016 für komplexe Produkte auch weiterhin den direkten Kontakt bevorzugen. Noch lässt sich der Point of Sale halt nicht vollständig automatisieren.

Sehr wohl aber hat er sich verschoben: in der Sharing Economy von den Autoverkäufern hin zu den Carsharing-Anbietern oder im Hotelgewerbe von der direkten Buchung bei einer Unterkunft hin zu Booking.com und Co. Grundsätzlich ist der POS von den Herstellern von Produkten oder Anbieter von Dienstleistungen auf Plattformen gewandelt, die nicht selten gerade dadurch zu Monopolisten wurden. Die eigentlichen Produzenten werden geschwächt, ja, regelrecht ausgehebelt. Ihre Produkte sind austauschbar geworden; das gilt ebenso für Finanzdienstleistungen im Zeitalter von zum Beispiel Kreditvergleichsplattformen oder eben Versicherungsunternehmen.

Erfolgreiche Plattformen am POS


Was Plattformen und andere Herausforderer altgedienter Geschäftsmodelle auszeichnet, ist unter anderem ihre kundenzentrierte Denkweise. Wenn Sie GOLDILOCKS schon eine Weile verfolgen, erinnern Sie sich vielleicht an unsere Titelgeschichte aus der Ausgabe zur Netzökonomie: Darin skizzieren wir, dass eine Bank nicht notwendigerweise alles selbst machen muss und dass es schädlich fürs Vorankommen ist, wenn sie weiterhin nur aus Sicht des Produktanbieters denkt.

SumUp ist in Puncto POS ein schönes Beispiel dafür, wie ein Unternehmen zunächst die alte Denkweise mit einem eigenen Produkt aufbrach und sich nun systematisch in die Richtungen weiterentwickelt, die primär für die Nutzer und damit auch für das Unternehmen am Schlausten sind.

SumUp ist vor allem bekannt für seine Kassensysteme und seine günstigen Bezahl-Terminals, mit denen jedes Unternehmen in Nullkommanichts selbst Kartenzahlungen annehmen kann. Doch bei SumUp geht es nicht darum, möglichst viele Leute an diese Hardware zu binden und sich dann über die Verkäufe zu finanzieren, obwohl die Hardware den meisten vergleichbaren Alternativen weit voraus ist und der Gedanke gar nicht so abwegig wäre. Viel wichtiger ist jedoch das Ökosystem, welches das Unternehmen gerade aufbaut (und zu dem wir in dieser Ausgabe auch noch eine News parat haben).

Die Digitalisierung des Point of Sale sorgt also

a) für eine Verschiebung der Aufmerksamkeit von den Produzenten zu den Vermittlern,

b) dafür, dass Kunden Wissen gegen Bequemlichkeit austauschen und nicht zuletzt

c) für ganz neue Möglichkeiten:

Comarch und Kantar TNS haben 2018 mehr als 3.000 Menschen in Deutschland, der Schweiz, Großbritannien, Italien, Polen und den Niederlanden zu ihren Vorlieben zum Einkaufen befragt und dabei festgestellt, dass fast die Hälfte sich für eine Personalisierung am Point of Sale interessiert. Also offline, nicht online, wo dies mittels personalisierter Werbung und Amazon-esquer „Kunden, die dieses Produkt kauften, interessieren sich auch für dieses Produkt“-Angebote. Vermag die Diffusion des Point of Sale womöglich jenseits des Online-Handels auch dem Offline-Geschäft neuen Schwung verleihen?

In Zeiten, in denen Online-Giganten wie Amazon Offline-Läden eröffnen, wäre dies jedenfalls nicht völlig abwegig. Gleichzeitig ermöglichen technische Neuerungen eine Verzahnung von Online und Offline wie nie zuvor. Um noch mal auf Versicherungen zurückzukommen: Es gibt bereits Angebote, die im Austausch für Daten funktionieren. Das kann die berühmtberüchtigte Vision des Fitness-Trackers sein, der der Krankenasse die sportlichen Fortschritte durchgibt. Und noch mal das Thema Auto, denn es gibt bereits spannende Modelle für den PKW. Das Insurtech-Startup Emil beispielsweise bietet eine Kombination aus Software und Hardware an: einen kleinen Stecker, den man an entsprechender Stelle in der Elektronik seines Autos anbringt und mit dessen Hilfe dann eine Versicherung auf exakter Basis der zurückgelegten Kilometer berechnet wird. Der Fokus auf KFZ-Versicherungen scheint konsequent, sind es doch diese beiden Dinge, die Ausländern häufig in den Sinn kommen, wenn man sie fragt, was typisch deutsch ist: Autos und Versicherungen.

Damit schließt sich der Kreis, denn gerade im Autoland Deutschland liegt hier naturgemäß riesiges Potential. Laut aktuellem DAT-Report sind nämlich derzeit in Deutschland 46,5 Millionen PKW zugelassen. Nebeneinander geparkt könnten die wohl ein Fünftel des Saarlands bedecken, aber wer will das schon.

Autoren: Clas Beese, Co-Founder von finletter und Carolin Neumann, Co-Founder von finletter sowie Martin Pieck, finletter-Redakteur