Goldilocks Ausgabe 03 | Page 17

Interview


Agilität trifft auf Design Thinking



Antje Kruse-Schomaker ist Design Principal bei IBM und leitet die IBM Studios Hamburg. Antje hat mehr als 25 Jahre Erfahrung im Bereich Digital Design und User Experience Strategie.



Interview:
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Goldilocks: Was hat Design mit IBM zu tun?

Antje Kruse-Schomaker: IBM hat mit der Gründung seines Designprogramms IBM Design 2013 eine starke Fokussierung auf Design zur Kundenzentrierung gestartet. Nach dem Prinzip People+Places+Practices=Outcomes wurden weltweit 1600 Designer eingestellt, Studios als neue Arbeitsumgebungen aufgebaut und Methoden zur menschenzentrierten Konzeption und Gestaltung eingeführt. In diesem Kontext entwickelte IBM eine eigene Variante des Design Thinkings, die sich speziell im Unternehmenskontext anwenden lässt: Enterprise Design Thinking. Ungefähr zwei Drittel dieses Studionetzwerks arbeiten an IBM Produkten, ein Drittel gehört zu IBM Services mit dem Fokus auf Agenturleistungen für Kunden.

In diesem Kontext betreibt IBM auch eine Digitalagentur namens iX, zu der das Hamburger Design Studio gehört. Hier werden Konzepte für business-relevante Initiativen entwickelt, um transformative Erfahrungen zu schaffen, die die physische mit der digitalen Welt verbinden und Unternehmenswachstum fördern. Anfangend von User Research, User Experience, Branding und Visual Design über digitale Strategien bis hin zu Anwendungsarchitektur und -entwicklung. Eine übergreifend einheitliche Vorgehensweise erlaubt die reibungslose Zusammenarbeit zwischen den weltweiten IBMix Studios.

Goldilocks: Wo liegt der Fokus der IBM Studios Hamburg im Gesamtkonstrukt des weltweiten Netzwerkes IBM iX?

Antje Kruse-Schomaker: Als IBM Design Studio kreieren wir transformative Ideen mithilfe von Enterprise Design Thinking und verwandeln sie in messbare Erfahrung. Mit unserem Team in Hamburg liegt der Fokus stark auf Experience Strategie, Design Sprints und Minimum Viable Product (MVP) Garagen.

Aber auch längere und größere Projekte begleiten wir mit unseren UX Spezialisten. So wird zum Beispiel die elektronische Gesundheitsakte in unseren Räumen entwickelt. Wir haben in Hamburg viel Erfahrung in der UX Modernisierung größerer Anwendungen, aber arbeiten seit zwei Jahren auch intensiv im Kontext der AI-unterstützten Nutzererfahrungen. Zum Beispiel im Kontext einer Anlageberatung. Wir arbeiten branchenübergreifend. In den letzten Jahren waren wir aber verstärkt im Finanz-, Energie- und Industriesektor unterwegs.

Goldilocks: Wie arbeitet IBM mit Kunden zusammen?

Antje Kruse-Schomaker: Es gibt bei IBM viele verschiedene Modelle der Zusammenarbeit. Letztlich entscheidet der Kunde, wie er mit uns arbeiten möchte.
Unser favorisiertes Modell nennt sich Co-Creation: Ein Team aus Kunden und IBM'lern arbeitet gemeinsam an Projekten. Da es in diesem Kontext wichtig ist, sich voll auf das jeweilige Projekt zu konzentrieren und nicht vom Tagesgeschäft abziehen zu lassen, arbeiten wir präferiert mit Kunden auf unseren Flächen. Im Idealfall merkt man im Team hinterher gar nicht mehr, welches Team-Mitglied woher kommt. Da viele unserer Kunden keine dedizierten Design-Ressourcen haben, kommen aus unserem Studio oft eingespielte Teams mit ins Projekt, was den Produktivitätsfaktor enorm erhöht.

Goldilocks: Werden Design Thinking und agile Arbeitsmethodiken in Projekten gemeinsam genutzt?

Antje Kruse-Schomaker: Auf jeden Fall. Design Thinking und agile ergeben eine hervorragende Symbiose und stehen keinesfalls in Konkurrenz zueinander. Während agile tatsachlich eine Methodik ist, sehe ich Design Thinking eher als Mindset, das in der gesamten Delivery bewahrt werden muss.
Es gibt aus dem Enterprise Design Thinking Framework bestimmte Tools, die dieses Mindset unterstützen und sich gut mit agilen Praktiken wie Sprint Reviews ergänzen.

Goldilocks: Werden dabei interdisziplinäre Ansätze gelebt?

Antje Kruse-Schomaker: Das ist ein klarer Fokus. Einer der Gründe, warum ich schon so lange als Designer bei IBM bin, ist, dass Interdisziplinarität hier wirklich gelebt wird. Bei uns arbeiten Designer neben Entwicklern und Business Analysten.

Goldilocks: Wie erfolgreich ist diese Art der Zusammenarbeit?

Antje Kruse-Schomaker: Diese Art der Zusammenarbeit ist immens wichtig. Meine Beobachtung ist, dass immer, wenn aus verschiedensten Gründen diese Interdisziplinarität aufgegeben wird, es oft zu weniger akzeptablen Ergebnissen kommt.

Goldilocks: Wie wichtig sind diese Methoden für die Transformation von Unternehmen als Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung?

Antje Kruse-Schomaker: Für mich sind Methoden, die ein Team, Diversität und vor allem den Nutzer in den Vordergrund stellen, der Schlüssel zur Transformation. Die Design Transformation bei IBM läuft jetzt schon seit 5 Jahren und es ist wirklich beeindruckend, welche Ergebnisse seither erzielt werden konnten. Ein Unternehmen dass sich nicht auf eine agile Organisation, flache Hierarchien, selbststeuernde Teams, Empowerment der Mitarbeiter, Vernetzung von Wissen und ständigen Wandel einstellt hat nicht verstanden, was Digitalisierung bedeutet und wird auch den Anforderungen der Kunden auf Dauer nicht gewachsen sein.

Goldilocks: Wo stehen in diesem Zusammenhang Banken und Versicherungen aktuell?

Antje Kruse-Schomaker: Die gesamte Branche hat in Deutschland extremen Nachholbedarf. Wir bekommen als globales Unternehmen ja ganz gut mit, was sich in anderen Märkten tut und was unsere Studios in Asia Pacific und Amerika für Projekte verfolgen. Trotzdem ist die Branche aufgewacht und ist auch gerade sehr aktiv, so dass vielleicht mit dem späten Einstieg auch aus Erfahrungen anderer Märkte gelernt werden kann. Deutschland ist, was die Endkunden angeht, auch ein sehr spezieller Markt, aber auch hier wird die nächste Generation der Bank- und Versicherungskunden die Erwartungen extrem nach oben schrauben.

Seit Jahren etablierte und unantastbare Vertriebsstrukturen werden infrage gestellt werden. Anders ist hier ein Umbruch gar nicht zu schaffen. Deshalb sieht man auch hier eher Neugründungen durchstarten als die Transformation traditioneller Unternehmen.

Goldilocks: Frau Kruse-Schomaker, vielen Dank für das Gespräch.

Über Antje Kruse-Schomaker:


Nachdem sie ihre Karriere als Designerin für Multimedia-Lösungen begonnen hatte, wechselte sie zur IBM Consulting Group, die sich auf Business Transformation spezialisiert hat, und baute innerhalb der Beratung ein Prototyping-Labor auf. Im Jahr 2000 war sie Teil des Gründungsmanagements des IBM Center for E-Business Innovation, einem Vorgängerunternehmen der IBM iX-Organisation, und leitete das Creative Services Team, mit dem sie internationale Design Awards (iF, red dot) erhielt.

Seitdem begleitet Antje mehrere Kunden auf ihrem Weg der digitalen Transformation. Antje ist führend im IBM Design Thinking und Teil des Senior Leadership Teams von IBM Design mit rund 1500 Designern weltweit. Als aktiver Teil der IBM Design Transformation gründete und leitet Antje die IBM Studios Hamburg und konzentriert sich dabei auf humanzentrierte Kundenlösungen einschließlich neuer Technologien wie kognitive Systeme und Blockchain, um ihre digitale Transformation voranzutreiben.