Fußball im Rheinland Fir_0320-ePaper | Page 36

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Persönlichkeit Ein großer Fußballer und ein ganz besonderer Mensch Am 31 . Oktober wäre Fritz Walter 100 Jahre alt geworden

Ich möchte nicht , dass sie wieder ständig über mich reden , wenn morgen der Ottes die Ehrung bekommt “, sagt Fritz Walter – und hat wohl schon geahnt , dass es wieder so kommen wird wie immer . Sein Bruder Ottmar , der vorne in der ersten Reihe neben seiner Frau Anneliese und Fritz sitzt , wird in Kaiserslautern geehrt . Und der Laudator , der nicht enden will und der mehr über sich selbst und viel weniger über Ottmar spricht , hat plötzlich den Fritz im Blick und beginnt ihn zu rühmen . Der wird immer unruhiger – etwa so , wie wenn der Schiedsrichter das Spiel immer noch nicht abpfeift , obwohl der FCK zwar knapp führt , der Fritz aber ohnehin der Meinung ist , dass es am Ende nicht gut ausgehen wird für den Verein , seinen Verein . 31 Jahre hat er für ihn gespielt , den 1 . FCK . Unruhig wird er auch , wenn er von hinten angesprochen wird , während er sitzend an einem Tisch Autogramme schreibt . Sie sollen ihn von vorne ansprechen , ihm in die Augen sehen . Und erst recht mag er es nicht , wenn der Ottmar geehrt wird – und alle sprechen mal wieder nur über ihn . Das kann nicht lange gut gehen . Plötzlich sagt er , unüberhörbar für alle im Saal , den Laudator übertönend , den Satz : „ Ich werde nicht geehrt , sondern mein Bruder .“ Das musste raus .

Ottmar und Ludwig sind seine Brüder , Gisela und Sonja die Schwestern . Friedrich , den sie nur Fritz nennen , ist das älteste der fünf Kinder des Lauterer Vereinswirts , der mit einer Berlinerin verheiratet ist . Ludwig hat den Krieg nicht überlebt , Ottmar wird schwer verwundet . Dem Fritz ergeht es am besten . Er kann im Krieg sogar weiter Fußball spielen und Länderspiele absolvieren . Ottmar hat es immer schwerer – als Kind und später im Leben . Aber Ottmar liebt den Fritz , erkennt seine Genialität auf dem Platz an , wo Ottmar selbst ein fulminanter Torjäger ist . Und Ottmar toleriert die Besonderheiten , die dem Fritz zustehen . „ Wir mussten immer die Teller leer essen , bevor wir zum Kanälches ( Fußballspiel zwischen den Kanaldeckeln , Anm . d . Red .) auf die Straße durften . Wenn es dem Fritz nicht schmeckte , hat unsere Mutter ohne Murren den Teller weggenommen .“
Fritz Walter wird am 31 . Oktober 1920 in Kaiserslautern geboren . Mit sieben Jahren kommt er in die Schülermannschaft des 1 . FC Kaiserslautern . Bis 1959 spielt er nur für diesen einen Verein . Auch als ihm viel Geld aus Italien und Frankreich für einen Wechsel nach der Weltmeisterschaft 1954 angeboten wird , bleibt er . Er ist Lauterer , ohne die Pfalz kann er nicht sein . Und das , was er braucht , das hat er : seine Frau Italia und den Fußball . Geld haben sie genug . 384 Spiele macht Fritz Walter für den FCK , schießt 327 Tore , wird unzählige Male Meister im Südwesten und 1951 und 1953 sogar Deutscher Meister . 61 Länderspiele folgen , mit 33 Toren und dem Weltmeister-Triumph 1954 in einem unvergessenen Finale gegen Ungarn . Der 3:2 – Sieg , so unerwartet und sensationell , verändert ein ganzes Land , weckt Hoffnung und den Glauben , dass es wieder etwas werden kann nach diesem schrecklichen Krieg , der von deutschem Boden ausging .
Am 2 . April 1997 , 43 Jahre nach dem WM-Sieg von Bern , reist Fritz Walter nach Budapest . Ferenc Puskás – Ungarns größter Fußballer , einer der genialsten seiner Zeit , der nach dem Volksaufstand 1956 zu Real Madrid wechselt und dort mit Di Stéfano und Gento über Jahre die beste Fußballmannschaft der Welt ausmacht , wird 70 Jahre alt . Und er hat Fritz Walter , seinen großen Gegenspieler von 1954 , eingeladen .
Prominente Runde beim Treffen der deutschen und ungarischen WM-Stars von 1954 , unter anderem mit
Fritz Walter , Ottmar Walter , Horst Eckel , Ferenc Puskás , Jenö Buzánszky und Gyula Grosics im Jahr 1993
Foto : Archiv
36 FIR – Fußball im Rheinland 03 | 2020