FOTOPROFI Magazin 17.09.2022 | Page 20

Alle Fotos : Kerem Bakir

INTERVIEW KEREM BAKIR presented by

Augenblicke

Alle Fotos : Kerem Bakir

Natürlich , echt , sehnsuchtsvoll : Kerem Bakir versteht sich darauf , Menschen und Marken authentisch einzufangen . In seinem zweiten Leben ist der reichweitenstarke Leica SL Fotograf als Anwalt tätig . Einblicke in ein prallvolles Leben .

Text : Peter Schuffelen , Fotos : Kerem Bakir aka Keba

K erem Bakir gibt alles , und das gleich zweimal . Derzeit arbeitet er Vollzeit in einer Anwaltskanzlei und kommt damit seltener zum

Fotografieren , als ihm lieb ist . Perspektivisch will der 31-Jährige deshalb die Juristerei zugunsten der Fotografie zurückfahren . Denn für Letztere , sagt er , „ schlägt definitiv mein Herz .“

Doppelbelastung hin oder her : Ohne seinen juristischen Werdegang hätte er womöglich keine Fotografenkarriere gestartet . „ In der Wartezeit bis zu den Ergebnissen des 1 . Staatsexamens habe ich meine ersten Porträts gemacht “, sagt Kerem . Auch die Wartezeit

ZUR PERSON :

Kerem Bakir aka Keba (* 1990 ) wurde in Berlin geboren und arbeitet hauptsächlich im Porträtbereich , realisiert aber auch Fotoreportagen für Kunden wie Porsche Design , Samsung , Nespresso , Tod ‘ s , VW oder Warner Bros . Daneben ist er Vollzeit in einer Berliner Anwaltskanzlei beschäftigt . kerem-bakir . com

zum Referendariat nutzte er fotografisch . Während seine Kommilitonen eine Auszeit nahmen , suchte er einen kreativen Ausgleich . Kerem schrieb zahlreiche Menschen an und bot ihnen kostenlose Porträtaufnahmen . Erstaunlich viele sagten zu , darunter die Schauspielerin Jane Chirwa . Ab da ging alles schnell : Die Bilder gefielen der Agentur , und die buchte Kerem gleich für weitere Schauspielerporträts . „ Ich habe bald ein Gewerbe anmelden müssen , obwohl ich damals noch nicht wusste , worauf es ankommt . Ich habe einfach aus allen erdenklichen Winkeln geschossen und die Bilder intuitiv nach meinem Geschmack bearbeitet .“ Freie Arbeiten kamen hinzu , dann weitere Porträts von ausgewählten Leuten aus dem Film- und TV-Bereich .

� Model Aurelia Heinz , Kerems aktuelle Lieblingsmuse , mit Pferd .

� Mit der YouTuberin Sonny Loops setzt Kerem regelmäßig Kooperationen mit verschiedenen Brands um .

Das war 2016 . Seither hat er an die 300 Schauspieler , Influencer , Fußballer , Moderatoren und Musiker porträtiert , aber auch Editorials und Social-Media-Storys für Unternehmen wie Huawei , Lafayette , Miele , Warner Bros ., Nespresso oder MTV realisiert . Zuletzt setzte er ein Shooting für Porsche Design um , bewaffnet mit seiner Leica SL und – untypisch für seinen von natürlichem Licht geprägten Look – einem simplen Aufsteckblitz , der den Bildern eine gewisse Härte und Direktheit verleiht . Danach gab es direkt eine Anfrage für ein großes Commercial-Shooting : Der Weg in die Werbefotografie scheint frei .

� Romantisch : Model Charlie Weiß über den Dächern .

� TikTok-Star eyasminbal privat – nach einem gemeinsamen Sushi- Essen mit Kerem .

Zu Beginn seiner Karriere arbeitete Kerem mit einer Canon EOS 5D Mark II und einem 50-mm-Sigma-Objektiv – ein Set-up , das er immer noch als Back-up nutzt . „ Das ist meine Brennweite , das entspricht meinem Blickwinkel “, sagt der Berliner , der parallel dazu auf Reisen schon lange mit der Leica Q1 bzw . Q2 fotografiert . Eigentlich sei die Q die perfekte Travelkamera : schnell , klein , sehr robust – für seine Art der Fotografie aber etwas zu weitwinklig , sagt Kerem . Andererseits : Der Leica Look hatte es ihm angetan . „ Ich wusste , ich brauche eine Leica . Allerdings eine , mit der ich näher dran bin “, sagt er . Zunächst entschied er sich für eine Leica M Typ 240 und ein 35mm-Objektiv – ein Gespann , das er bis heute für Street- und Reise-Aufnahmen nutzt . „ Mit einer Leica “, sagt er , „ geht man raus , wenn man wirklich Bilder machen will . Man fühlt sich nicht wie ein Tourist , sondern wie ein Fotograf .“

Die M war allerdings lediglich der Einstieg in die Leica-Welt . „ Ich bin Vielshooter , und mir war klar , dass ich für meine Jobs eine Kamera mit Autofokus brauchte .“ Er lieh sich eine Leica SL und war spontan begeistert : „ Die SL ist schnell , der Autofokus packt zu , die Bedienstruktur ist megagut , das ist eine echte Arbeitsmaschine . Aber da ist noch etwas anderes : Ich nehme die Kamera einfach supergern in die Hand . Dieser kühle , massive , minimalistisch geformte , sleeke Body fasziniert mich immer wieder aufs Neue .“ Er wisse nicht , was da im Sensor passiere , aber er habe das Gefühl , dass die Bilder zugleich schärfer und weniger clean seien , als die , die er von anderen Profikameras kenne . „ Sie haben die Strahlkraft und visuelle Tiefe , die ich suche “, sagt er . „ Ich bin überzeugt , dass ich ein Bild aus einer Leica Kamera ad hoc von dem aus anderen Profikameras unterscheiden könnte .“

� Shoot für eine Porsche Design Uhr , bei dem Kerem mit der Leica SL und einem simplen Aufsteckblitz für eine gewisse Härte und Direktheit sorgte .

� Der klassische Keba-Look bei available light mit analoger Anmutung und minimalistischer Beautyretusche .

Vom Leica-Look zum Keba-Look ist es ein großer Schritt . Farbgebung , Kontraste , Helligkeit : Kerem greift tief in die Bilder ein , um die für ihn charakteristische warme und traum artige Ausstrahlung zu erzielen . Zuweilen verleiht er ihnen per Grain-Filter ein feines Korn , eine analoge Anmutung . Beim Thema Beautyretusche ist der Fotograf hingegen Minimalist – ihn faszinieren die Handschriften von Altmeistern wie Peter Lindbergh , Helmut Newton – und vor allem die des französischen Dokumentarfotografen Christophe Agou .

Doch der Look ist nicht das eigentliche Geheimnis hinter Kerems eindrücklichen Porträts . Das Licht spielt eine entscheidende Rolle ; selbst im Studio setzt der fotografische Autodidakt auf available light . Das Wesen seiner Bilder aber ist im Kern durch einen Faktor bestimmt : Intimität . Kerem versteht es , Nähe zum Gegenüber aufzubauen . „ Ich fotografiere immer unter vier Augen “, sagt er . „ Ich schicke alle raus , wenn die Porträtsession beginnt .“

Das Gros seiner Arbeit besteht da rin , Vertrauen zu schaffen . Kerem redet unglaublich viel mit den Menschen , die er porträtiert , damit sie sich wohlfühlen und sicher . „ Und dann “, sagt er , „ ist da irgendwann dieser Moment , wenn mein Gegenüber ganz bei sich ist . Dann ist alles Künstliche wie verflogen .“ Tatsächlich findet man diesen entscheidenden Augenblick in fast all seinen Porträts . Besonders eindrücklich zeigt sich das in einer Serie , die er mit der Schauspielerin Lisa-Marie Koroll geschossen hat . Die Strecke ist in Zusammenarbeit mit Calvin Klein entstanden , es ging um eine knallrote Tasche , doch die Bilder könnten nicht weiter entfernt sein vom Highgloss und Marktschrei klassischer Modefotografie . Es sind nahe , nachdenkliche Bilder , zuweilen umweht von einem Hauch Melancholie – wunderschön ! „ Danke “, antwortet Kerem , den das Kompliment offensichtlich rührt , „ das freut mich sehr !“