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Deutsch-Englischen Kindergarten. Es hat
mich immer fasziniert, wie Kinder wirklich
dann mit drei phonologisch nicht notwendi-
gerweise identischen Sprachen aufwachsen.
Zumindest bei meinem Sohn habe ich dann
auch noch erlebt, wie sich die Fähigkeit des
bewussten Wechselns ausbildet.
Wir sind ja schon mittendrin im Gespräch
über Mehrsprachigkeit – das Wort fiel schon
ganz oft. Wir haben uns in der Vorbereitung
gefragt: Wer gilt denn eigentlich als mehr-
sprachig? Das Wort wird vor allem für Kin-
der genutzt, die mehrsprachig aufwachsen.
Faktisch ist das aber falsch, oder?
Gade: Es ist nicht so einfach. Es gibt eine
große Diskussion darüber, wer mehrspra-
chig ist. Zu Beginn der ganzen Mehrspra-
chigkeitsforschung gab es die relativ einfache
dichotome Kategorisierung in Mehrsprachi-
ge und Monolinguale. Dann hat man aber
irgendwann festgestellt, dass gerade auch
im europäischen Bereich, wo man innerhalb
von 200 Kilometern in ein anderes Land mit
einer anderen Sprache kommen kann, sich
die Unterscheidung nicht wirklich gut halten
lässt. Und deswegen versucht man immer
mehr, das als kontinuierliches Konstrukt zu
begreifen – mit verschiedenen statistischen
Methoden. Aber eine formale Definition
gibt es tatsächlich nicht. Viel der Diskussion,
wenn Sie einen Artikel einreichen, dreht sich
immer darum: Sind Ihre Mehrsprachigen
denn auch wirklich mehrsprachig? Und wie
haben Sie das getestet? Deswegen ist die Tes-
tung für Mehrsprachigkeit mittlerweile das
aufwändigste an den Studien, es ist gar nicht
so sehr die Aufgaben, sondern die Frage, wie
haben wir in diesem Kontext Mehrsprachig-
keit definiert.
Böttger: Ich halte Monolingualismus für ei-
nen absoluten Mythos. Das gibt es gar nicht.
Monolingual kann niemand sein, das ist ganz
einfach. Wir können ja schon ab der Geburt
Gebärdensprachen. Zeichensprachen, Mimik
und Gestik kommen ins Spiel, wir haben die
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ersten Lautsprachen. Und nachher kommen
dann noch jede Menge Metasprachen dazu –
Grammatik, ja die Systeme, die wir unseren
Kindern fast schon unterschwellig zumuten.
Man könnte untersuchen, wer ist wie mehr-
sprachig geworden, wer ist wie bilingual auf-
gewachsen. Und da wird es schwierig, weil wir
es mit ganz individuellen Kontexten zu tun
haben, mit ganz unterschiedlichen Sprach-
erfahrungen und -biographien. Da lässt sich
dann vieles gar nicht so untersuchen. Wie
will man das auch kategorisieren?
Mit welcher Definition arbeiten Sie, Herr
Kratzmann?
Kratzmann: Also prinzipiell würde ich mich
meinen Vorrednern anschließen. Trotzdem
brauchen wir eine Arbeitsdefinition, wenn
wir über Mehrsprachigkeit forschen. Wir
schließen uns da einer Definition von Hans
Reich an, der sagt, mehrsprachiges Auf-
wachsen liegt eben dann vor, wenn Kinder
in alltäglichen Interaktionssituationen im-
mer wieder mit verschiedenen Sprachen in
Berührung kommen. Damit ist nicht bloß
gemeint, englische Musik zu hören, sondern
Sprache muss im Alltag eine Rolle spielen.
Migranten sprechen zuhause eine Sprache
und im Kindergarten kommen sie in Kon-
takt mit einer anderen Sprache. Oder sie
kommen schon zuhause mit zwei Sprachen
in Kontakt, wenn die Eltern unterschiedliche
Sprachen sprechen. Unter solchen Voraus-
setzungen sprechen wir von mehrsprachi-
gem Aufwachsen.
Frau Gade, Sie haben schon angedeutet,
dass unter anderem aufgrund der schwie-
rigen Definition und Ausgangslage – wer
ist eigentlich meine Gruppe, wer meine Ver-
gleichsgruppe – die Forschung gar nicht so
einfach ist. Können wir überhaupt auf gesi-
cherte Forschungsergebnisse zurückgreifen?
Gade: Ich habe gestern die letzte Übersichts-
arbeit von Frau Prof. Bialystok gelesen, die
eine Koryphäe im Gebiet der Mehrsprachig-
keitsforschung ist. Und ja, es gibt gerade aus
dem nordamerikanischen Raum sehr viele
Befunde, die dafür sprechen, dass tatsächlich
der frühe Kontakt mit zwei Sprachen in ei-
nem sogenannten funktionellen Bilingualis-
mus – also der zwingenden Notwendigkeit
zweier Sprachen für den Alltag – zu Entwick-
lungsvorsprüngen gerade im kindlichen Be-
reich führt. Die verschwinden dann wieder
in der Adoleszenz, im jungen Erwachsenen-
alter. Und ob dies zu einer Verzögerung von
Alterserkrankungen und Abbauprozessen
führt, da ist die Forschung gerade sehr un-
entschlossen. Wir wissen, dass es auf keinen
Fall negative Einflüsse hat. Während man
in den 60er Jahren noch sagte: Es wird eine
Sprache zuhause gesprochen, es wird eine
Sprache in der Schule gesprochen, weil sonst
ist das Kind verwirrt.
Böttger: Der Forschungsstand ist eigentlich
beeindruckend, wenngleich absolut defizitär,
finde ich. Gerade aus dem nordamerikani-
schen Raum kommen ja die ersten Hinwei-
se, dass es im Grunde schon vorgeburtlich
so ist, dass Kinder Sprachen unterscheiden
können und zwar aufgrund von Reaktionen.
Außerdem gibt es tatsächlich diese Befunde,
dass Kinder bei klarer, paralleler Bilinguali-
tät nicht mehr wirklich in der Lage sind,
zu übersetzen, weil sie gerade nicht wissen,
in welcher Sprache sie sich befinden. Dies
spricht dafür, dass alles in einem Zentrum
verarbeitet wird – mit Effekten auf die dritte
und vierte Sprache.
Prof. Dr. Heiner Böttger
Kratzmann: Ich denke, man muss auf inter-
nationale Literatur zurückgreifen, wenn man
sich ein gesichertes Wissen erarbeiten will.
In Deutschland ist die Forschungslage für
mich überhaupt nicht so sonderlich gut. Da
müsste eigentlich noch einiges passieren, da
brauchen wir noch einiges an Erkenntnissen.
Gesichert ist immer so eine Frage – was ist
gesichert, was ist nicht gesichert? Man findet
auch viel Widersprüchliches in den Ergeb-
nissen. Also ich glaube, zustimmen würde
jeder, dass es kognitive Vorteile der Mehr-
sprachigkeit gibt und dass eine Mehrspra-
chigkeit grundsätzlich möglich ist und eben
nicht zu Verwirrungen führt. Ich würde noch
gerne auf den Punkt, was die Forschung
kompliziert macht, eingehen: In Europa und
Deutschland haben wir es mit unglaublich
vielen Sprachen zu tun. In den USA konzen-
triert sich die Aufmerksamkeit auf Hispa-
nics, also bilinguale Modelle von Spanisch
und Englisch. Mit anderen Sprachen gibt es
nicht so viel Forschung, aus meiner Wahr-
nehmung zumindest. Wir haben es aber hier
mit einer großen Vielfalt an Sprachen zu tun,
auch in den Kindertageseinrichtungen, mit
denen ich mich befasse.
Wie weit reicht die Forschung zeitlich zu-
rück?
Gade: Also die Idee, dass Mehrsprachig-
keit verwirren könnte, stammt aus den 60er
Jahren, aber die Bilingualismus-Mehrspra-
chigkeitsforschung begann Ende der 90er-
Jahre. Was ich noch zu Ihrem Problem mit
den mehreren Sprachen sagen wollte, Herr
Kratzmann: Das ist natürlich immer so die
Schwierigkeit. Was ist Sprache und was ist
Kultur? Es geht nicht nur um Sprache, son-
dern auch um Kultur. Und das wird meiner
Ansicht nach auch immer noch sehr sträflich
vernachlässigt. Wir transportieren gewisse
Werthaltungen, gewisse Anspruchshaltun-
gen, die vielleicht in anderen Kulturen gar
nicht so dominant ist. Wir reden immer von
der Kognition, aber der motivationale As-
pekt und auch der emotionale Aspekt, der
ja gerade rund um Heimat und Sprache eine
ganz große Rolle spielt, wird immer weitläu-
fig außen vor gelassen – aber hat natürlich
einen Einfluss.
Böttger: Ich halte die Entwicklung vor 1990
für natürlich defizitär, weil sie einseitig von
außen kommt. Mit der technischen Ent-
wicklung von Magnetresonanztomographie
hat man einen anderen Zugang auch zum
Sprachzentrum bekommen und die Sicht
auf das Gehirn von innen. Obwohl das zu-
gleich zu einem Ruck geführt hat, dies zu-
nächst einmal nicht zu akzeptieren. Aber
mit der Entwicklung, mit der immer größer
werdenden Möglichkeit, Dinge in Einklang
zu bringen, die man beobachtet hat und die
man dann eben auf dieser neuronalen biolo-
gischen Ebene messen kann, kommen auch
bessere Befunde. Und da kommen auch im-
mer mehr Erkenntnisse – ich versuche das
Wort gesichert zu vermeiden –, die in eine
Richtung deuten, wenn es um Mehrsprachig-
keit in der Schule geht und Mehrsprachigkeit
bei Migranten. An der Zahl der Veröffentli-
chungen zum Thema, auch gerade aus dem
amerikanischen Bereich, kann man ersehen,
dass sich viel tut. Man muss sehr vorsichtig
damit umgehen. Aber dies muss auch zu ei-
ner gewissen Akzeptanz führen von Interdis-
ziplinarität.
Kratzmann: Ich denke auch, Interdisziplina-
rität ist das große Stichwort unserer Zeit auch
in Bezug auf Sprachen. Gerade in der Päd-
agogik ist Mehrsprachigkeit kein klassisches
Thema, an dem man schon ewig forscht. Wir
greifen ja sehr stark auf entwicklungspsy-
chologische und auf sprachwissenschaftliche
Erkenntnisse zurück und bringen das dann
in Verbindung mit pädagogischen Ansätzen
und überlegen, wie man darauf reagieren
muss.
Herr Böttger, Sie haben erwähnt, dass man
speziell durch die bildgebenden Verfahren
einen gewissen Einblick bekommen hat, in
das, was vermeintlich im Kopf geschieht.
Kann man das umschreiben: Was geschieht