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52 I FORUM Das dreijährige Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemein- schaft (DFG) mit insgesamt rund 730.000 Euro gefördert, von denen mehr als 300.000 Euro die Eichstätter Forschungsstelle erhält. Vorbe- reitet wurde das Vorhaben durch das seit geraumer Zeit ebenfalls von der DFG geförderte Projekt „Predigt im Kontext“, das die schriftli- chen Überlieferungs- und Verbreitungsformen von Predigten mittels einer frei zugänglichen Online-Datenbank aufbereitet. Auch die neue Edition der Predigten Taulers wird nicht nur in gedruckter Form, son- dern bereits im laufenden Prozess digital verfügbar gemacht. Auf die- se Weise können wiederum Germanisten, Historiker, Theologen oder Philosophen für eigene Arbeiten darauf zurückgreifen. „Es ist bis heute faszinierend, welche Wirkung Prediger wie Tauler noch vor dem Buchdruck und ohne Mikrofon oder Fernsehübertra- gung auf ihr Publikum hatten. Die Forschung hierzu gibt Einblick in eine Zeit, in der die Überschneidung von Mündlichkeit und Schrift- FORUM I 53 lichkeit prägend war“, erklärt Prof. Dr. Rudolf K. Weigand, Leiter der Forschungsstelle für geistliche Literatur des Mittelalters an der KU. Handschriften waren in der damaligen Zeit sehr kostbar, Pergament war teuer in der Herstellung. Insofern dienten die wenigen überliefer- ten Handschriften der Prediger vor Erfindung des Buchdrucks nicht in erster Linie als Verbreitungsmedium, sondern vor allem als Gedächt- nisstütze für den eigentlichen Vortrag. Somit stand bei der Predigt im Mittelalter die „Performance“ des Redners im Mittelpunkt. Wenn die- se Auftritte beeindruckend genug waren, wurden sie wiederum meist erst im Nachhinein von den Predigern selbst oder auch von anderen Ordensmitgliedern handschriftlich und später in neu zusammenge- stellter Form überliefert. Als Ergebnis eines solchen Sammelprozesses liegen von manchen Predigten Dutzende Textversionen vor, die sich in Umfang und Wortlaut unterscheiden. „Gerade diese Diskrepanz in der Überlieferung von Werk und Wirkung ist typisch für das Mittelal- ter. Das vielfach verstreute Material muss daher bei der Aufarbeitung aufwändig zusammengeführt werden“, erläutert Weigand. Vor diesem Hintergrund gestaltet es sich schwierig, von authentischen Predigt- texten zu sprechen, die erhalten blieben. So umfasst ein 1521 in Basel erstellter Druck mit Werken Taulers neben originären Predigten auch Textstücke, die nach Ansicht des damaligen Sammlers zwar dem Stil Taulers entsprechen, ihm jedoch nicht zugewiesen werden können. Die Rezeption seines Werkes beeinflussten gerade sie maßgeblich. Um solche Variationen in der Überlieferung sichtbar zu machen, sol- len die Texte verschiedener Rezeptionsstufen in diesem Projekt daher so weit wie möglich synoptisch dargestellt und erläutert werden. Ziel der Forschung ist es dabei, späte Versionen neben solchen zu zeigen, die zeitlich möglichst nah am Autor stehen. Dafür greifen die For- scher auf Handschriften des 14. Jahrhunderts sowie die drei frühesten Drucke mit gesammelten Werken Taulers aus den Jahren 1498 und 1508 sowie den Baseler Taulerdruck zurück. Als Seelsorger von Nonnenkonventen dienten die Predigten des Do- minikaners Tauler zur inneren Formung von Klostergemeinschaften. Aber auch vor dem einfachen Kirchenvolk hielt er Ansprachen zur religiösen Unterweisung. Tauler war dabei ein pragmatischer Red- ner, der seinen Zuhörern in Volkssprache religiöse Inhalte anhand von Parallelen zum damaligen Alltag vermittelte. Als religiöse „Mus- terschüler“ stellte er dabei nicht Kleriker dar, die sich abfällig zu ar- beitenden Menschen äußerten, sondern etwa den „gottsuchenden Bauern“ oder den „selbstvergessenen Drescher“. Jede denkbare Auf- gabe eines Menschen sei durch Gott begnadet und habe ihren Eigen- wert. Er versuchte nicht, Bücherwissen zu vermitteln, sondern einen inneren seelischen Lebensprozess bei seinem Publikum in Gang zu bringen. Vielleicht führten diese Aspekte dazu, dass Martin Luther die Ausführungen Taulers schätzte und sie eine breite protestantische Rezeption erfuhren. „Die Katholiken konnten nicht den gleichen Text zugrunde legen, also übersetzte man das ,Werk‘ 1548 ins Lateinische, von dort wieder zurück in die Volkssprache – und schon hatte man seinen ,katholischen‘ Tauler“, berichtet Weigand. Der evangelische Kirchenhistoriker Prof. Dr. Volker Leppin (Universität Tübingen) und der katholische Dogmatiker Prof. Dr. Manfred Gerwing (KU) wer- den daher für die geplante Edition auch diesen Teil der Rezeptionsge- schichte thematisieren. Die Datenbank des Projektes „Predigt im Kontext“, in der laufend neue Erkenntnisse zu den Werken Johannes Taulers sowie Meister Eckharts berücksichtigt werden, findet sich online unter http://pik.ku.de. Die Ergebnisse des Tauler-Projekts werden in der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek (WDB) publik gemacht: http://diglib.hab.de/?link=093 ZUR PERSON Prof. Dr. Rudolf K. Weigand forscht und lehrt seit 1983 an der KU auf dem Gebiet der Mediävistik. Er ist seit 2015 Direktor der Forschungsstelle für Geist- liche Literatur des Mittelalters. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören neben der mittelalterlichen Predigt unter anderem auch Enzyklopädien des Mittelalters sowie die Lebenswelt des Rittertums.