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Das dreijährige Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemein-
schaft (DFG) mit insgesamt rund 730.000 Euro gefördert, von denen
mehr als 300.000 Euro die Eichstätter Forschungsstelle erhält. Vorbe-
reitet wurde das Vorhaben durch das seit geraumer Zeit ebenfalls von
der DFG geförderte Projekt „Predigt im Kontext“, das die schriftli-
chen Überlieferungs- und Verbreitungsformen von Predigten mittels
einer frei zugänglichen Online-Datenbank aufbereitet. Auch die neue
Edition der Predigten Taulers wird nicht nur in gedruckter Form, son-
dern bereits im laufenden Prozess digital verfügbar gemacht. Auf die-
se Weise können wiederum Germanisten, Historiker, Theologen oder
Philosophen für eigene Arbeiten darauf zurückgreifen.
„Es ist bis heute faszinierend, welche Wirkung Prediger wie Tauler
noch vor dem Buchdruck und ohne Mikrofon oder Fernsehübertra-
gung auf ihr Publikum hatten. Die Forschung hierzu gibt Einblick in
eine Zeit, in der die Überschneidung von Mündlichkeit und Schrift-
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lichkeit prägend war“, erklärt Prof. Dr. Rudolf K. Weigand, Leiter der
Forschungsstelle für geistliche Literatur des Mittelalters an der KU.
Handschriften waren in der damaligen Zeit sehr kostbar, Pergament
war teuer in der Herstellung. Insofern dienten die wenigen überliefer-
ten Handschriften der Prediger vor Erfindung des Buchdrucks nicht in
erster Linie als Verbreitungsmedium, sondern vor allem als Gedächt-
nisstütze für den eigentlichen Vortrag. Somit stand bei der Predigt im
Mittelalter die „Performance“ des Redners im Mittelpunkt. Wenn die-
se Auftritte beeindruckend genug waren, wurden sie wiederum meist
erst im Nachhinein von den Predigern selbst oder auch von anderen
Ordensmitgliedern handschriftlich und später in neu zusammenge-
stellter Form überliefert. Als Ergebnis eines solchen Sammelprozesses
liegen von manchen Predigten Dutzende Textversionen vor, die sich
in Umfang und Wortlaut unterscheiden. „Gerade diese Diskrepanz in
der Überlieferung von Werk und Wirkung ist typisch für das Mittelal-
ter. Das vielfach verstreute Material muss daher bei der Aufarbeitung
aufwändig zusammengeführt werden“, erläutert Weigand. Vor diesem
Hintergrund gestaltet es sich schwierig, von authentischen Predigt-
texten zu sprechen, die erhalten blieben. So umfasst ein 1521 in Basel
erstellter Druck mit Werken Taulers neben originären Predigten auch
Textstücke, die nach Ansicht des damaligen Sammlers zwar dem Stil
Taulers entsprechen, ihm jedoch nicht zugewiesen werden können.
Die Rezeption seines Werkes beeinflussten gerade sie maßgeblich.
Um solche Variationen in der Überlieferung sichtbar zu machen, sol-
len die Texte verschiedener Rezeptionsstufen in diesem Projekt daher
so weit wie möglich synoptisch dargestellt und erläutert werden. Ziel
der Forschung ist es dabei, späte Versionen neben solchen zu zeigen,
die zeitlich möglichst nah am Autor stehen. Dafür greifen die For-
scher auf Handschriften des 14. Jahrhunderts sowie die drei frühesten
Drucke mit gesammelten Werken Taulers aus den Jahren 1498 und
1508 sowie den Baseler Taulerdruck zurück.
Als Seelsorger von Nonnenkonventen dienten die Predigten des Do-
minikaners Tauler zur inneren Formung von Klostergemeinschaften.
Aber auch vor dem einfachen Kirchenvolk hielt er Ansprachen zur
religiösen Unterweisung. Tauler war dabei ein pragmatischer Red-
ner, der seinen Zuhörern in Volkssprache religiöse Inhalte anhand
von Parallelen zum damaligen Alltag vermittelte. Als religiöse „Mus-
terschüler“ stellte er dabei nicht Kleriker dar, die sich abfällig zu ar-
beitenden Menschen äußerten, sondern etwa den „gottsuchenden
Bauern“ oder den „selbstvergessenen Drescher“. Jede denkbare Auf-
gabe eines Menschen sei durch Gott begnadet und habe ihren Eigen-
wert. Er versuchte nicht, Bücherwissen zu vermitteln, sondern einen
inneren seelischen Lebensprozess bei seinem Publikum in Gang zu
bringen. Vielleicht führten diese Aspekte dazu, dass Martin Luther
die Ausführungen Taulers schätzte und sie eine breite protestantische
Rezeption erfuhren. „Die Katholiken konnten nicht den gleichen Text
zugrunde legen, also übersetzte man das ,Werk‘ 1548 ins Lateinische,
von dort wieder zurück in die Volkssprache – und schon hatte man
seinen ,katholischen‘ Tauler“, berichtet Weigand. Der evangelische
Kirchenhistoriker Prof. Dr. Volker Leppin (Universität Tübingen) und
der katholische Dogmatiker Prof. Dr. Manfred Gerwing (KU) wer-
den daher für die geplante Edition auch diesen Teil der Rezeptionsge-
schichte thematisieren.
Die Datenbank des Projektes „Predigt im Kontext“, in der laufend neue
Erkenntnisse zu den Werken Johannes Taulers sowie Meister Eckharts
berücksichtigt werden, findet sich online unter http://pik.ku.de.
Die Ergebnisse des Tauler-Projekts werden in der Wolfenbütteler
Digitalen Bibliothek (WDB) publik gemacht: http://diglib.hab.de/?link=093
ZUR PERSON
Prof. Dr. Rudolf K. Weigand forscht und lehrt seit 1983 an der KU auf dem
Gebiet der Mediävistik. Er ist seit 2015 Direktor der Forschungsstelle für Geist-
liche Literatur des Mittelalters. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören neben der
mittelalterlichen Predigt unter anderem auch Enzyklopädien des Mittelalters
sowie die Lebenswelt des Rittertums.