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44 I FORUM In einem DFG-Projekt beschäftigen Sie sich nun mit der „Tabula Peutingeriana“, einer mittelalterlichen Kopie der einzigen antiken großformatischen Weltkarte. Worum geht es dabei? Im Kern geht es uns darum: Wenn Raum visualisiert wird, wie funk- tioniert das? Was für eine praktische Anwendung hat das Gezeichne- te? Und vor allem: Gibt es verschiedene Entwicklungstraditionen von Visualisierungen von Raum? Es gibt zwar diese weitere Präzisierung der Karten durch astronomische, mathematische, geodätische Infor- mation – aber das ist eine Geographie im Elfenbeinturm. Was übrig bleibt in der breiten Öffentlichkeit, ist eine raumvisualisierende Kar- tographie, die keinen großen Wert auf Maßstäbe legt, die einfach er- gänzend zu einem kulturgeographischen, raumbeschreibenden Text die passenden Zeichen liefern möchte. Italien ist ein Stiefel, Sizilien ist ein Dreieck, und so weiter. Genau in diese Tradition gehört die Karte des Konrad Peutinger, mit der ich mich beschäftige. Eine Karte, die in Abgrenzung von Texten, von Routenverzeichnissen und von einer spezifisch astronomisch-mathematisch ausgerichteten Kartographie den Mainstream widerspiegelt. Das sauber herauszuarbeiten war et- was, was mich in den letzten Jahren beschäftigt hat. Zunächst bin ich auf große Kritik gestoßen. Mittlerweile sind meine Ergebnisse in der Wissenschaft konsensfähig, weil sie helfen, verschiedene Kartentypen und auch literarische Quellen zur Kartographie besser zu verstehen. FORUM I 45 Die Zielgruppe der Tabula Peutingeriana waren also nicht die gro- ßen Mathematiker. Für wen war die Karte denn gedacht? Was war ihr Zweck? Für eine interessierte Oberschicht. Senatoren, die aufgrund ihrer Rol- le in der römischen Reichsverwaltung gerne wissen wollten, wo liegt denn eigentlich Spanien oder Kleinasien. Menschen, die vielleicht aufgrund einer Gesandtschaft oder als Statthalter schon einmal in diese Gegenden gekommen sind, die eine Privatbibliothek auch mit geographischen Handbüchern hatten. Ein bisschen wie ein gutbür- gerlicher Haushalt heute einen Brockhaus und einen anständigen At- las zuhause hat, so stelle ich mir das vor: Dass eine interessierte Elite in Rom in der privaten Bibliothek einen kulturgeographischen Text hat und passend dazu eben auch eine raumvisualisierende Karte. Die ist nett anzuschauen, auch wenn sie nicht perfekt ist – aber man weiß wenigstens, was liegt rechts unten, was links oben. Sie müssen also alles auf maximal 40 Zentimeter Höhe packen. Bei der Tabula Peutingeriana hat man deshalb die antike Welt um 200 v. Chr., so wie man sie kannte, von Spanien und Marokko bis nach Indien, wie einen Kaugummi auseinandergezogen. Das funktioniert, indem man alles flach legt und auf Dinge verzichtet, die für den In- formationsgehalt uninteressant sind – wie auf die Meeresflächen. Das bedeutet zum Beispiel, ich habe die kroatische Küste, dann einen schmalen blauen Streifen Adria, gefolgt vom flachliegenden Italien, sodann wieder einen schmalen blauen Streifen für das Tyrrhenische Meer und darunter Nordafrika (siehe den Kartenausschnitt oben auf dieser Seite). Ich kann an dieser Karte erkennen, dass Italien aussieht wie ein Stiefel, und ich weiß, das eine ist weiter nördlich, das andere weiter südlich. Das reicht für eine Vorstellung des Raumes. Es ist eine Möglichkeit, dem Beschreibstoff entgegenzukommen und trotzdem Raum grafisch halbwegs korrekt darzustellen. Wie muss man sich die Tabula Peutingeriana konkret vorstellen? Was sind die zentralen Unterschiede zu heutigen Karten? Sie haben zunächst einmal das Problem, dass man in der Antike nie- mals auf den Gedanken gekommen ist, Papyrus- oder Pergamentrol- len herzustellen, die höher als 40 Zentimeter waren. Man konnte die Rollen fast beliebig lang machen, aber in der Höhe waren sie begrenzt. Und es ist natürlich günstig, dass durch diese Verzerrung Rom genau in der Mitte liegt. Das ist ein interessanter Punkt. Wir haben ausreichend Indizien da- für, dass es mehrere solche „Kaugummi-Karten“ gegeben hat. Wie lang sie jeweils waren und was in der Mitte lag, ist aber nicht leicht zu sagen. Die Tabula Peutingeriana, die uns vorliegt, wurde vermutlich 1200 letztmalig auf der Klosterinsel Reichenau im Bodensee kopiert und ist uns nicht komplett erhalten. Auf dem Stück, das wir haben, sieht es aus, als ob Rom in der Mitte liegt. Aber das suggeriert eine romzentrische Perspektive dieser Karte, die sehr wahrscheinlich ur- sprünglich in der Antike – also beim Original der Tabula – so nicht gegeben war. Die Karte bricht etwa bei Barcelona ab. Das heißt, es fehlen die Iberische Halbinsel, Marokko, Westafrika – und wir wissen nicht, ob vielleicht auch die Kapverdischen Inseln oder die Azoren vermerkt waren. Dadurch, dass so viel Raum im Westen fehlt, glaube ich nicht, dass Rom in der Mitte liegt. Und da die Tabula Peutingeria- na meiner Ansicht nach ohnehin – was die meisten meiner Kollegen mir mittlerweile auch glauben – ursprünglich um 200 v. Chr. entstan- den ist, wäre Rom auch gar nicht als zentrale Macht anzusehen. Es gibt nämlich in der Antike keine „politische Kartographie“. Ursprünglich ist die Karte in der Antike entstanden, gleichzeitig ha- ben wir nur die mittelalterliche Kopie davon. Die Welt zu welcher Zeit sehen wir auf der Tabula Peutingeriana? Wir sehen interessanterweise gleich mehrere Welten. Die gezeichnete geographische Landmasse, also das Grundsetting, können wir um 200 v. Chr. ansetzen. Aber das Ganze ist wahrscheinlich auf einem Papyrus geschrieben worden. Das ist ein organisches Schreibmaterial, das mit