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38 I FORUM FORUM I 39 Außerdem sollen Wechselwirkungen dieser Veränderungen in den Blick genommen werden. Auch geht es um die Frage, ob und wie lo- kale Veränderungen von einem Gebietsteil zum nächsten weitergege- ben werden und damit auch die meist besiedelten Gebiete unterhalb der Hochlagen betreffen können (z.B. durch die Verfüllung von Stau- seen infolge höheren Sedimenttransports oder durch Naturgefahren- prozesse). Die Forschungsgruppe wird ihre Untersuchungen im Mar- telltal (Südtirol) sowie im Horlachtal und im Kaunertal (Österreich) durchführen. Als Grundlage für einen Ausblick in die Zukunft muss zunächst ein Verständnis für Veränderungen in der Vergangenheit und ihre Ur- sachen erarbeitet und verbessert werden. Dazu wird in einer ersten Projektphase erforscht, ob und wie sich die genannten Phänomene und Prozesse seit dem Ende der „Kleinen Eiszeit“ (ca. 1850) mit den klimatischen Veränderungen gewandelt haben. Die Forschungsgrup- pe bedient sich hierbei einerseits Modellrechnungen, die vorhandene historische Datenreihen miteinbeziehen (sog. Reanalysen), um den Verlauf der Witterung sowie klimatische Veränderungen auf lokalem Maßstab, das heißt in den konkreten Untersuchungsgebieten, besser nachvollziehen zu können. Eine wichtige Säule der Rekonstruktion von Veränderungen infolge dieses Wandels stellen historische Fotografien dar: „Das Ende der Kleinen Eiszeit fällt nicht nur mit einem verstärkten Klimawandel zu- sammen, sondern auch mit dem Aufkommen des Alpinen Tourismus und der Fotografie. In den Archiven von Gemeinden, Schutzhütten oder Vereinen lagern zahllose Fotos, die zum Teil bis zum Beginn des Untersuchungszeitraums zurückreichen und beispielsweise die damalige Ausdehnung der Gletscher dokumentieren“, erklärt Privat- dozent Dr. Tobias Heckmann. Bereits mit dem ersten Weltkrieg habe die Luftbildfotografie eingesetzt. Ab ca. 1950 seien flächendeckende Luftbildserien der Untersuchungsgebiete vorhanden. „Es gilt also, die in den Archiven vorhandenen Dokumente zu recherchieren, zu digi- talisieren und systematisch auszuwerten. Mit photogrammetrischen Methoden werden die historischen Fotografien auch quantitativ aus- wertbar: Dies reicht von der Kartierung von Vegetation, Gletschern und bestimmten Geländeeigenschaften bis hin zur Erstellung di- gitaler Geländemodelle, anhand derer Oberflächenveränderungen gegenüber der Gegenwart mit Dezimeter- bis Metergenauigkeit ver- messen werden können“, ergänzt Privatdozent Dr. Florian Haas. Die aktuelle Dynamik in den Untersuchungsgebieten wird während der Projektlaufzeit mit Hightechmethoden erfasst: Laserscanner ver- messen Oberflächen in hoher räumlicher Auflösung und Genauig- keit, Klimastationen erfassen zahlreiche Messgrößen, Abflusspegel zeichnen den Verlauf von Wasserstand und Abflussmenge in Bächen auf, und mithilfe von Drohnen können aus der Luft hochauflösende Fotos geschossen werden, die wiederum die Grundlage für hochge- naue Messungen und Karten bilden. Mithilfe des verbesserten Ver- ständnisses der historischen Veränderungen und der aktuellen Dyna- mik wird eine zweite Phase des Forschungsprojekts versuchen, mit- telfristige Veränderungen in den betrachteten Hochgebirgssystemen mithilfe von Modellen vorherzusagen – eine wichtige Grundlage für Anpassungsstrategien in der Zukunft. Historische Fotos gesucht Wer historische Fotos aus den genannten Untersuchungsgebieten besitzt – mit „historisch“ ist grundsätzlich die Vergangenheit gemeint, interessant sind also nicht nur Bilder aus dem 19. Jahrhundert – und der Forschungs- gruppe zur Verfügung stellen möchte, kann sich mit dem Koordinator der Forschungsgruppe in Verbindung zu setzen ([email protected]). ZUR PERSON Prof. Dr. Michael Becht ist seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Physische Geographie an der KU. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören unter anderem Geomorphologische Prozessforschung und Modellierung, Naturgefahrenforschung, Schneehydrologie und Einzugsgebietshy- drologie. PD Dr. Florian Haas ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Physische Geographie. Er arbeitet unter anderem zu Bodenerosion, Gewässer- ökologie und Naturgefahren. PD Dr. Tobias Heckmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Lehrstuhls für Physische Geographie und beschäftigt sich ebenfalls mit Naturgefahren und Mensch-Umwelt-Konflikten sowie der Messung und Modellierung geomorphologischer und hydrologischer Prozesse.