forum forschung forum forschung 2019 | Page 32

32 I PROFILE PROFILE I 33 „Die KU ist ein Ort, an dem Forschung leichtgemacht wird“ Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jens Hogreve, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, über die strukturellen Entwicklungen und Perspektiven von Forschung, das Thema Digitalisierung in Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie die Bedeutung von angewandter Forschung und Grundlagenforschung. Was bedeutet Wissenschaft für Sie – als Forscher und als Vizepräsi- dent für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs? Hält man sich eng an die Definition, so ist Wissenschaft der struk- turierte Prozess des Forschens und Erkennens. Ziel und Auftrag von Wissenschaft ist es, belastbare und intersubjektiv nachvollziehbare Ergebnisse hervorzubringen. Das Privileg wissenschaftlich Arbeiten zu dürfen bedeutet für mich aber auch, die Freiheit zu haben, sich einem Forschungsthema sehr intensiv und im Austausch mit anderen Disziplinen widmen zu können. Der Auftrag von Wissenschaft be- steht dann aber nicht nur darin zu ergründen, sondern auch Wissen weiterzugeben und zu teilen – sei es in Form von Lehrveranstaltun- gen, Fachbeiträgen oder Projekten mit Partnern außerhalb von For- schungseinrichtungen. Sie sind seit drei Jahren im Amt. Was ist Ihr Antrieb in dieser Funktion? Die KU ist ein wunderbarer Ort für Wissenschaft und Forschung. Ei- nem Forscher bieten sich an der KU die unterschiedlichsten Möglich- keiten, die sich woanders so vielleicht nicht bieten. Gerade erst haben wir durch die Einrichtung des KU Zentrums „Religion, Kirche und Gesellschaft im Wandel“ und die Gründung des Zentrums „Flucht und Migration“ sowie der KU Forschungskollegs „Dialogkulturen“ und „Mensch und Natur“ weitere Räume für Forschung schaffen kön- nen, die hoffentlich rege genutzt werden. Das Gestalten dieser Räu- me und die Zusammenarbeit mit unseren vielfältigen Fächern und Fachkulturen bereitet mir große Freude. Mir ist es darüber hinaus ein Anliegen, die KU als Marke in Wissenschaft und Forschung zu posi- tionieren und weiter zu etablieren. Unsere Stärke liegt in der inter- disziplinären Verzahnung der Fächer. Das ist ein Aspekt, auf den wir an der KU weiterhin setzen sollten, aber noch zu wenig hervorheben. Eine weitere Motivation ist für mich die Möglichkeit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich hatte das Glück, sehr früh Nachwuchswissenschaftler begleiten zu dürfen, daher ist mir die Eta- blierung von Fördermöglichkeiten des wissenschaftlichen Nachwuch- ses sehr wichtig. Sei es in Form von Lehrangeboten, Coachings oder Mentoringangeboten. Die Weiterentwicklung der Graduiertenakade- mie werden wir im Team nun verstärkt in der nächsten Zeit angehen. Um es zusammenzufassen: Die Hauptmotivation ein solches Amt an- zutreten ist die Möglichkeit, die Zukunft der KU gemeinsam mit den unterschieAkteuren gestalten zu können. Die KU hat einen Schwerpunkt in Geistes,- Kultur- und Sozialwis- senschaften – und sie ist eine Katholische Universität. Wie prägt das den Charakter von Forschung? Die KU bietet Raum für Themen, die eine besondere Relevanz für die Gesellschaft haben und den Menschen in den Mittelpunkt stel- len. Davon zeugt auch das Thema der Tenure-Track-Initiative. Für die Bewerbung um das Tenure-Track-Programm haben wir mit dem Leitthema „Eine am Menschen orientierte digitale Gesellschaft“ be- wusst eine andere Herangehensweise an das Thema Künstliche Intel- ligenz und Digitalisierung gewählt. Diese Orientierung am Menschen war und wird eines der Leitmotive für Forschung und Lehre an der KU sein. In diesem Kontext hat es mich sehr gefreut, dass über das Tenure-Track-Programm an fast allen universitären Fakultäten Pro- fessuren entstehen werden, die das Thema der Digitalisierung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten werden. Dabei wollen wir uns auch Aspekten annehmen, die vielleicht an anderen Universitäten keinen so großen Stellenwert haben, weil die Themen stärker eines Austauschs mit der Gesellschaft bedürfen. Wir machen dies alles aber ohne dabei den universitären Auftrag zur Grundlagenforschung zu vernachlässigen. Diese ist ein absolutes Muss und Kern der univer- sitären Forschung. Die Einrichtung der Forschungskollegs ist hierbei ein deutliches Signal. Durch die überschaubare Größe bieten sich an der KU zudem Mög- lichkeiten für den fachübergreifenden Austausch. Das habe ich so intensiv vorher an keiner anderen Universität erlebt. Ich glaube wirk- lich, dass wir an einem Ort sind, wo Forschung und Austausch leicht- gemacht werden. Die Tatsache, dass wir die einzige Katholische Uni- versität im deutschen Sprachraum sind, gibt uns wiederum die Mög- lichkeit, Themen zu bearbeiten, die an anderen Universitäten weiße Flecken sind. So arbeiten an der KU Forscher nicht nur zu Aspekten von Flucht und Migration oder Nachhaltigkeit, sondern im neu ein- gerichteten KU-Zentrum „Religion, Kirche und Gesellschaft im Wan- del“ an den Themen, die Menschen und Gesellschaften bewegen. Es wird viel von gesellschaftlichen Transformationsprozessen ge- sprochen. Welche Auswirkungen hat das auf Wissenschaft und For- schung? Nehmen Sie das Thema Digitalisierung. Dabei denkt man derzeit in erster Linie an Technik, technische Innovationen und Algorithmen. Wir haben jedoch intern einen Prozess angestoßen, der darüber hinausgeht: Wir gehen der Frage nach, was Geisteswissenschaften, Sprach- und Kulturwissenschaften zu diesen drängenden Fragen bei- tragen können. Vor diesem Hintergrund werden wir auch im näch- sten Jahr in Ingolstadt das „Institut für Angewandte Mathematik, Ma- schinelles Lernen und Data Science“ gründen. Zugleich müssen wir grade auch auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftli- chen Diskussionen unser Profilthema „Nachhaltigkeit“ weiter stärken und ihm eine größere Sichtbarkeit geben. In diesem Sinne wollen wir künftig noch stärker aktuelle Themen in der Forschung aufgreifen, damit öffentliche Akteure basierend auf wissenschaftlichen Erkennt- nissen informierte Entscheidungen treffen können. Das wird ein Auf- trag der KU Zentren und KU Forschungskollegs sein. Es geht darum, mit Forschung Antworten auf Fragen der Zeit zu finden. Transforma- tion macht aber auch vor der Universität nicht Halt. Auch an der KU schwingt ein Kulturwandel mit, indem wir nun neue Karrierewege an der Universität zulassen, durch die Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler viel früher in das universitäre System einsteigen können. Dies bedeutet keineswegs eine Verringerung der akademi- schen Qualität, wie vielfach befürchtet. Im Gegenteil, ich bin über- zeugt, dass uns unsere Tenure-Track-Professuren weitere Sichtbarkeit in den vielfältigen Forschungs-Communities geben werden. Was sind rückblickend die wichtigsten Entwicklungen der vergange- nen drei Jahre? Die Forschung an der KU ist internationaler geworden. Zudem ha- ben – nicht erst in den vergangenen drei Jahren – die eingeworbenen Drittmittel deutlich zugenommen. Viele engagierte Kolleginnen und Kollegen haben, auch dank der Unterstützung unseres Zentrums für Forschungsförderung und bedingt durch die großzügige finanzielle Ausstattung durch die Freisinger Bischofskonferenz, aufwändige An- tragsverfahren erfolgreich durchlaufen. Eine erste DFG-Forschungs- gruppe konnte eingeworben werden, KU-Forscher sind an DFG-Gra- duiertenkollegs oder Anträgen für Sonderforschungsbereiche betei- ligt. Nicht zu vergessen sind die vielzähligen Anträgen auf EU- und Bundesebene. Hier haben wir deutlich zulegen können. Forschung ist zudem ein viel prägenderer Bestandteil der KU geworden. Man merkt, dass die KU mit dem Zentrum für Forschungsförderung ein tolles Team hat, das sehr serviceorientiert arbeitet und jeden, der mag, bei Forschungsvorhaben unterstützt. Das motiviert zusätzlich, um die mit der Einwerbung von Drittmitteln verbundenen Mühen auf sich zu nehmen. Dann freue ich mich natürlich, dass wir neben den gro- ßen Projekterfolgen wie Innovative Hochschule, Tenure Track oder jüngst die Ausweitung der Mathematik am Standort Ingolstadt, auch neue Forschungsstrukturen etablieren konnten. Die Einrichtung der KU Zentren und der Forschungskollegs war eine große Aufgabe der ersten drei Jahre. Ich bin sicher, dass diese Einrichtungen der KU wei- tere Sichtbarkeit geben und uns auf dem Weg zum DFG-Beitritt un- terstützen werden. An dieser Stelle möchte ich den universitären Gre- mien und auch der Präsidialkommission für Forschung danken, die diese Prozesse äußerst konstruktiv und unterstützend begleitet haben. Welche strukturellen Grundlagen werden künftig für die Forschung an der KU gelegt? Wollen wir Teil der DFG werden, dann muss noch deutlicher wer- den, dass Forschung ein immanenter Bestandteil unserer Universität ist. Durch Verortung kann man für Sichtbarkeit sorgen. Daher bau- en wir die bereits erwähnten KU Zentren auf. Darüber hinaus ist der Transfergedanke von Bedeutung – also die Interaktion mit der Gesell- schaft und der Politik. Mein Wunsch wäre, dass forschungsbasiertes Lehren und Lernen noch stärker ausgeprägt sind und die Forschung noch mehr in die Bachelor- und Masterprogramme integriert ist. Der Austausch in den im Aufbau befindlichen Zentren ist eine wichtige Grundlage dafür. Zudem gilt es, Freiräume für Forscherinnen und Forscher zu schaffen, damit sie für einen bestimmten Zeitraum von alltäglichen Pflichten entlastet werden. Diese werden in den neuen KU Forschungskollegs zu den Themen „Dialogkulturen. Wissen- schaftliche Reflexionsräume für Kultur- und Sozialwissenschaften“ sowie „Mensch und Natur“ entstehen. Gleichzeitig wollen wir auch durch zusätzliche fakultätsübergreifende Angebote den wissenschaft- lichen Nachwuchs weiter fördern. Sie warben bei einer Veranstaltung für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der KU für eine offene Forschungskultur. Was ist da- mit konkret gemeint? Es gibt an jeder Universität immer wieder Diskussionen um den Stellenwert von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung. Generell ist für mich Grundlagenforschung eine Suche nach Erkenntnisgewinn, die zunächst einmal ergebnisoffen und frei von Anspruchsgruppen ist. Dies gestaltet sich natürlich in jedem Fach anders. Mir geht es um die breite Akzeptanz dafür, dass es diese ver- schiedenen Herangehensweisen gibt. Ich würde mir wünschen, dass wir noch stärker versuchen, die unterschiedlichen „Sprachen“ der Fä- cher zu übersetzen, um interdisziplinär zu arbeiten. Natürlich ist das anstrengend, weil jede Disziplin z.B. unterschiedliche Termini für am Ende gleiche Aspekte nutzt. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass solche Kooperationen eine große Bereicherung sind. Gleichzeitig hat natürlich auch der Fokus auf das eigene Fach seine Daseinsberechti- gung. Eine Stärke einer Katholischen Universität sollte es dennoch, allumfassender und über den eigenen Bereich hinaus zu denken. Wo wird die Forschung an der KU in den kommenden fünf bis zehn Jahren stehen? Mein Anliegen ist es, den wissenschaftlichen Nachwuchs früher an die Universität zu binden – beispielsweise durch weitere Tenure-Track- Berufungen. Zudem hoffe ich, dass die geplanten KU Zentren fester Bestandteil der nationalen und internationalen Forschungslandschaft werden. Wenn man etwa zu Fragen von Religion, Kirche und Gesell- schaft forschen möchte, soll man damit automatisch die KU verbin- den. Das gleiche gilt für die Themen Flucht und Migration und die weiten Felder der Ethik und der Nachhaltigkeit oder Sustainability. Zudem wünsche ich mir, dass noch mehr internationale Forscher gern zu uns kommen, um in diesem wunderbaren Umfeld zu arbei- ten. Insgesamt sollten wir uns nicht auf den Erfolgen ausruhen, die wir schon erreicht haben, sondern weiterhin kreativ bleiben und im- mer wieder auch die Strukturen hinterfragen, die wir aufbauen. Den Strukturen aber auch die Zeit geben, Früchte tragen zu können… und am Ende werden wir natürlich DFG-Mitglied sein. ZUR PERSON Prof. Dr. Jens Hogreve ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadt der KU und fungierte seit 2013 als Prodekan seiner Fakultät. Seine Forschungsschwerpunkte bilden das Management industrieller Dienstleistungen, technologische Dienstleistungsinno- vationen Transformative Consumer Research sowie Fragen des Be- schwerdemanagements. Seit 2016 ist er Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs.