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„Die KU ist ein Ort, an dem
Forschung leichtgemacht wird“
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Jens Hogreve, Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, über
die strukturellen Entwicklungen und Perspektiven von Forschung, das Thema Digitalisierung in Geistes-, Kultur-
und Sozialwissenschaften sowie die Bedeutung von angewandter Forschung und Grundlagenforschung.
Was bedeutet Wissenschaft für Sie – als Forscher und als Vizepräsi-
dent für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs?
Hält man sich eng an die Definition, so ist Wissenschaft der struk-
turierte Prozess des Forschens und Erkennens. Ziel und Auftrag von
Wissenschaft ist es, belastbare und intersubjektiv nachvollziehbare
Ergebnisse hervorzubringen. Das Privileg wissenschaftlich Arbeiten
zu dürfen bedeutet für mich aber auch, die Freiheit zu haben, sich
einem Forschungsthema sehr intensiv und im Austausch mit anderen
Disziplinen widmen zu können. Der Auftrag von Wissenschaft be-
steht dann aber nicht nur darin zu ergründen, sondern auch Wissen
weiterzugeben und zu teilen – sei es in Form von Lehrveranstaltun-
gen, Fachbeiträgen oder Projekten mit Partnern außerhalb von For-
schungseinrichtungen.
Sie sind seit drei Jahren im Amt. Was ist Ihr Antrieb in dieser Funktion?
Die KU ist ein wunderbarer Ort für Wissenschaft und Forschung. Ei-
nem Forscher bieten sich an der KU die unterschiedlichsten Möglich-
keiten, die sich woanders so vielleicht nicht bieten. Gerade erst haben
wir durch die Einrichtung des KU Zentrums „Religion, Kirche und
Gesellschaft im Wandel“ und die Gründung des Zentrums „Flucht
und Migration“ sowie der KU Forschungskollegs „Dialogkulturen“
und „Mensch und Natur“ weitere Räume für Forschung schaffen kön-
nen, die hoffentlich rege genutzt werden. Das Gestalten dieser Räu-
me und die Zusammenarbeit mit unseren vielfältigen Fächern und
Fachkulturen bereitet mir große Freude. Mir ist es darüber hinaus ein
Anliegen, die KU als Marke in Wissenschaft und Forschung zu posi-
tionieren und weiter zu etablieren. Unsere Stärke liegt in der inter-
disziplinären Verzahnung der Fächer. Das ist ein Aspekt, auf den wir
an der KU weiterhin setzen sollten, aber noch zu wenig hervorheben.
Eine weitere Motivation ist für mich die Möglichkeit der Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses. Ich hatte das Glück, sehr früh
Nachwuchswissenschaftler begleiten zu dürfen, daher ist mir die Eta-
blierung von Fördermöglichkeiten des wissenschaftlichen Nachwuch-
ses sehr wichtig. Sei es in Form von Lehrangeboten, Coachings oder
Mentoringangeboten. Die Weiterentwicklung der Graduiertenakade-
mie werden wir im Team nun verstärkt in der nächsten Zeit angehen.
Um es zusammenzufassen: Die Hauptmotivation ein solches Amt an-
zutreten ist die Möglichkeit, die Zukunft der KU gemeinsam mit den
unterschieAkteuren gestalten zu können.
Die KU hat einen Schwerpunkt in Geistes,- Kultur- und Sozialwis-
senschaften – und sie ist eine Katholische Universität. Wie prägt das
den Charakter von Forschung?
Die KU bietet Raum für Themen, die eine besondere Relevanz für
die Gesellschaft haben und den Menschen in den Mittelpunkt stel-
len. Davon zeugt auch das Thema der Tenure-Track-Initiative. Für
die Bewerbung um das Tenure-Track-Programm haben wir mit dem
Leitthema „Eine am Menschen orientierte digitale Gesellschaft“ be-
wusst eine andere Herangehensweise an das Thema Künstliche Intel-
ligenz und Digitalisierung gewählt. Diese Orientierung am Menschen
war und wird eines der Leitmotive für Forschung und Lehre an der
KU sein. In diesem Kontext hat es mich sehr gefreut, dass über das
Tenure-Track-Programm an fast allen universitären Fakultäten Pro-
fessuren entstehen werden, die das Thema der Digitalisierung aus
unterschiedlichen Perspektiven beleuchten werden. Dabei wollen wir
uns auch Aspekten annehmen, die vielleicht an anderen Universitäten
keinen so großen Stellenwert haben, weil die Themen stärker eines
Austauschs mit der Gesellschaft bedürfen. Wir machen dies alles aber
ohne dabei den universitären Auftrag zur Grundlagenforschung zu
vernachlässigen. Diese ist ein absolutes Muss und Kern der univer-
sitären Forschung. Die Einrichtung der Forschungskollegs ist hierbei
ein deutliches Signal.
Durch die überschaubare Größe bieten sich an der KU zudem Mög-
lichkeiten für den fachübergreifenden Austausch. Das habe ich so
intensiv vorher an keiner anderen Universität erlebt. Ich glaube wirk-
lich, dass wir an einem Ort sind, wo Forschung und Austausch leicht-
gemacht werden. Die Tatsache, dass wir die einzige Katholische Uni-
versität im deutschen Sprachraum sind, gibt uns wiederum die Mög-
lichkeit, Themen zu bearbeiten, die an anderen Universitäten weiße
Flecken sind. So arbeiten an der KU Forscher nicht nur zu Aspekten
von Flucht und Migration oder Nachhaltigkeit, sondern im neu ein-
gerichteten KU-Zentrum „Religion, Kirche und Gesellschaft im Wan-
del“ an den Themen, die Menschen und Gesellschaften bewegen.
Es wird viel von gesellschaftlichen Transformationsprozessen ge-
sprochen. Welche Auswirkungen hat das auf Wissenschaft und For-
schung?
Nehmen Sie das Thema Digitalisierung. Dabei denkt man derzeit in
erster Linie an Technik, technische Innovationen und Algorithmen.
Wir haben jedoch intern einen Prozess angestoßen, der darüber
hinausgeht: Wir gehen der Frage nach, was Geisteswissenschaften,
Sprach- und Kulturwissenschaften zu diesen drängenden Fragen bei-
tragen können. Vor diesem Hintergrund werden wir auch im näch-
sten Jahr in Ingolstadt das „Institut für Angewandte Mathematik, Ma-
schinelles Lernen und Data Science“ gründen. Zugleich müssen wir
grade auch auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftli-
chen Diskussionen unser Profilthema „Nachhaltigkeit“ weiter stärken
und ihm eine größere Sichtbarkeit geben. In diesem Sinne wollen wir
künftig noch stärker aktuelle Themen in der Forschung aufgreifen,
damit öffentliche Akteure basierend auf wissenschaftlichen Erkennt-
nissen informierte Entscheidungen treffen können. Das wird ein Auf-
trag der KU Zentren und KU Forschungskollegs sein. Es geht darum,
mit Forschung Antworten auf Fragen der Zeit zu finden. Transforma-
tion macht aber auch vor der Universität nicht Halt. Auch an der KU
schwingt ein Kulturwandel mit, indem wir nun neue Karrierewege an
der Universität zulassen, durch die Nachwuchswissenschaftlerinnen
und -wissenschaftler viel früher in das universitäre System einsteigen
können. Dies bedeutet keineswegs eine Verringerung der akademi-
schen Qualität, wie vielfach befürchtet. Im Gegenteil, ich bin über-
zeugt, dass uns unsere Tenure-Track-Professuren weitere Sichtbarkeit
in den vielfältigen Forschungs-Communities geben werden.
Was sind rückblickend die wichtigsten Entwicklungen der vergange-
nen drei Jahre?
Die Forschung an der KU ist internationaler geworden. Zudem ha-
ben – nicht erst in den vergangenen drei Jahren – die eingeworbenen
Drittmittel deutlich zugenommen. Viele engagierte Kolleginnen und
Kollegen haben, auch dank der Unterstützung unseres Zentrums für
Forschungsförderung und bedingt durch die großzügige finanzielle
Ausstattung durch die Freisinger Bischofskonferenz, aufwändige An-
tragsverfahren erfolgreich durchlaufen. Eine erste DFG-Forschungs-
gruppe konnte eingeworben werden, KU-Forscher sind an DFG-Gra-
duiertenkollegs oder Anträgen für Sonderforschungsbereiche betei-
ligt. Nicht zu vergessen sind die vielzähligen Anträgen auf EU- und
Bundesebene. Hier haben wir deutlich zulegen können. Forschung
ist zudem ein viel prägenderer Bestandteil der KU geworden. Man
merkt, dass die KU mit dem Zentrum für Forschungsförderung ein
tolles Team hat, das sehr serviceorientiert arbeitet und jeden, der mag,
bei Forschungsvorhaben unterstützt. Das motiviert zusätzlich, um die
mit der Einwerbung von Drittmitteln verbundenen Mühen auf sich
zu nehmen. Dann freue ich mich natürlich, dass wir neben den gro-
ßen Projekterfolgen wie Innovative Hochschule, Tenure Track oder
jüngst die Ausweitung der Mathematik am Standort Ingolstadt, auch
neue Forschungsstrukturen etablieren konnten. Die Einrichtung der
KU Zentren und der Forschungskollegs war eine große Aufgabe der
ersten drei Jahre. Ich bin sicher, dass diese Einrichtungen der KU wei-
tere Sichtbarkeit geben und uns auf dem Weg zum DFG-Beitritt un-
terstützen werden. An dieser Stelle möchte ich den universitären Gre-
mien und auch der Präsidialkommission für Forschung danken, die
diese Prozesse äußerst konstruktiv und unterstützend begleitet haben.
Welche strukturellen Grundlagen werden künftig für die Forschung
an der KU gelegt?
Wollen wir Teil der DFG werden, dann muss noch deutlicher wer-
den, dass Forschung ein immanenter Bestandteil unserer Universität
ist. Durch Verortung kann man für Sichtbarkeit sorgen. Daher bau-
en wir die bereits erwähnten KU Zentren auf. Darüber hinaus ist der
Transfergedanke von Bedeutung – also die Interaktion mit der Gesell-
schaft und der Politik. Mein Wunsch wäre, dass forschungsbasiertes
Lehren und Lernen noch stärker ausgeprägt sind und die Forschung
noch mehr in die Bachelor- und Masterprogramme integriert ist. Der
Austausch in den im Aufbau befindlichen Zentren ist eine wichtige
Grundlage dafür. Zudem gilt es, Freiräume für Forscherinnen und
Forscher zu schaffen, damit sie für einen bestimmten Zeitraum von
alltäglichen Pflichten entlastet werden. Diese werden in den neuen
KU Forschungskollegs zu den Themen „Dialogkulturen. Wissen-
schaftliche Reflexionsräume für Kultur- und Sozialwissenschaften“
sowie „Mensch und Natur“ entstehen. Gleichzeitig wollen wir auch
durch zusätzliche fakultätsübergreifende Angebote den wissenschaft-
lichen Nachwuchs weiter fördern.
Sie warben bei einer Veranstaltung für die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der KU für eine offene Forschungskultur. Was ist da-
mit konkret gemeint?
Es gibt an jeder Universität immer wieder Diskussionen um den
Stellenwert von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter
Forschung. Generell ist für mich Grundlagenforschung eine Suche
nach Erkenntnisgewinn, die zunächst einmal ergebnisoffen und frei
von Anspruchsgruppen ist. Dies gestaltet sich natürlich in jedem Fach
anders. Mir geht es um die breite Akzeptanz dafür, dass es diese ver-
schiedenen Herangehensweisen gibt. Ich würde mir wünschen, dass
wir noch stärker versuchen, die unterschiedlichen „Sprachen“ der Fä-
cher zu übersetzen, um interdisziplinär zu arbeiten. Natürlich ist das
anstrengend, weil jede Disziplin z.B. unterschiedliche Termini für am
Ende gleiche Aspekte nutzt. Ich weiß aber aus eigener Erfahrung, dass
solche Kooperationen eine große Bereicherung sind. Gleichzeitig hat
natürlich auch der Fokus auf das eigene Fach seine Daseinsberechti-
gung. Eine Stärke einer Katholischen Universität sollte es dennoch,
allumfassender und über den eigenen Bereich hinaus zu denken.
Wo wird die Forschung an der KU in den kommenden fünf bis zehn
Jahren stehen?
Mein Anliegen ist es, den wissenschaftlichen Nachwuchs früher an die
Universität zu binden – beispielsweise durch weitere Tenure-Track-
Berufungen. Zudem hoffe ich, dass die geplanten KU Zentren fester
Bestandteil der nationalen und internationalen Forschungslandschaft
werden. Wenn man etwa zu Fragen von Religion, Kirche und Gesell-
schaft forschen möchte, soll man damit automatisch die KU verbin-
den. Das gleiche gilt für die Themen Flucht und Migration und die
weiten Felder der Ethik und der Nachhaltigkeit oder Sustainability.
Zudem wünsche ich mir, dass noch mehr internationale Forscher
gern zu uns kommen, um in diesem wunderbaren Umfeld zu arbei-
ten. Insgesamt sollten wir uns nicht auf den Erfolgen ausruhen, die
wir schon erreicht haben, sondern weiterhin kreativ bleiben und im-
mer wieder auch die Strukturen hinterfragen, die wir aufbauen. Den
Strukturen aber auch die Zeit geben, Früchte tragen zu können… und
am Ende werden wir natürlich DFG-Mitglied sein.
ZUR PERSON
Prof. Dr. Jens Hogreve ist seit 2011 Inhaber des Lehrstuhls für
Dienstleistungsmanagement an der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät Ingolstadt der KU und fungierte seit 2013 als Prodekan seiner
Fakultät. Seine Forschungsschwerpunkte bilden das Management
industrieller Dienstleistungen, technologische Dienstleistungsinno-
vationen Transformative Consumer Research sowie Fragen des Be-
schwerdemanagements. Seit 2016 ist er Vizepräsident für Forschung
und wissenschaftlichen Nachwuchs.