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28 I SCHWERPUNKT EMOTIONEN SCHWERPUNKT EMOTIONEN I 29 Wer hat Angst vor dem bösen Wolf? Das Bild vom Wolf als blutrünstiges Monster ist tief verankert in Märchen und Volksglaube des deutschsprachigen Raums. Wie tief, das belegen die Reaktionen in der Öffentlichkeit, wenn es um die Rückkehr von Wolfsrudeln in Siedlungsnähe geht. Schule‘ verortet“, sagt Schröder, die für ihre Arbeit auch den Deutungsrahmen (engl. Frame) untersucht, in dem öffentlich über den Wolf verhandelt wird. Wie aus ihren Untersuchungen hervorgeht, werden Wölfe in den Medien mehrheitlich mit negativen Passwörtern, wie beispielsweise „Problem“, „Gefahr“ oder „Verlust von Scheu“ verbun- den, während Themen wie die „ökologische Funktion“ oder die „ausgeprägte Sozialität“ der Tiere ausgeblendet werden. „Aus diesen Ergebnissen sowie dem Umgang ‚mit Neuem und Unbekanntem‘ – dem Wolf – lässt sich vieles über eine Gesellschaft ablesen“, gibt die Geographin zu verstehen. Es sei daher ratsam, Medienberichte über den Wolf kritisch zu lesen, denn sie stellen immer eine selektive Wahrnehmung dar. Die für ihre Untersuchung herangezogene Fra- mingtheorie besage zudem, dass die wieder- holte, mediale Verbindung von Wölfen mit negativen Deutungsrahmen zur Folge habe, dass Menschen diese so genannten assozia- tiven Netzwerke in ihrem Gehirn speichern und abrufen, sobald sie mit dem Begriff „Wolf “ konfrontiert werden. „Im Kontext der Wolfsrückkehr bedarf es sprachlicher Alter- nativen, will man eine Pluralität von Denk- weisen langfristig bewahren.“ „Das Image vom ,bösen Wolf ‘ greift jedoch nicht in der Realität. Stattdessen ist in Ge- bieten mit Wölfen ein dynamischer Prozess zwischen Mensch und Tier im Gange, bei dem der Mensch erst noch praktische Er- fahrungen sammeln, eine neue Rolle finden und Routine im Umgang mit diesen Tieren zurückgewinnen muss“, erklärt die Geogra- phin Verena Schröder vom Lehrstuhl für Humangeographie der Katholischen Uni- versität Eichstätt-Ingolstadt. Am Beispiel des Calanda-Massivs im schweizerischen Grau- bünden und St. Gallen untersucht sie für ihre Doktorarbeit, welche Auswirkungen ein in der dortigen Region lebendes Wolfsrudel auf das alltägliche Leben hat und wie der Mensch selbst das Verhalten der Tiere beeinflusst. Das Untersuchungsgebiet ist auch deshalb interessant, da das Streifgebiet der Wölfe in unmittelbarer Nähe zur Stadt Chur liegt. Schröder befragte unter anderem Schaf- und Viehlandwirte, Jäger, Förster, Bewohner so- wie Funktionäre des Vereins „Lebensraum Schweiz ohne Großraubtiere“. Letztere brin- gen unter anderem die Verluste durch vom Wolf gerissene Schafe als Argument für Ab- schüsse vor. Der Verein ist sehr aktiv und mit den regionalen Medien gut vernetzt. Im Hin- blick auf den öffentlichen Diskurs über Wölfe sei es wichtig, dass dieser nicht einseitig be- stimmt werde, erklärt die Geographin. Denn in der Region rund um das Calanda-Massiv werde nicht erst seit der Rückkehr der Wölfe Herdenschutz durch spezielle Hunde betrie- ben, die mit den Schafen aufwachsen und sie als ihre vermeintlichen Artgenossen vertei- digen. „Einige Landwirte hatten sich bereits vor der Rudelbildung Herdenschutzhunde angeschafft, deren Einsatz ursprünglich vor allem gegen wildernde Hunde gerichtet war“, erläutert Schröder. Ebenfalls ist der Einsatz von Hirten bei entsprechender Herdengrö- ße weit verbreitet. Der Staat fördert diese Maßnahmen und leistet Entschädigungszah- lungen, sofern man Herdenschutz betreibe. Jedoch müsse von letzteren verhältnismäßig wenig Gebrauch gemacht werden, da sich das Rudel des Calanda-Massivs einerseits auf Rothirsche spezialisiert habe, gefolgt von Re- hen und Gämsen und andererseits die um- fassenden Herdenschutzmaßnahmen zum Greifen kämen. Neben dem finanziellen Aspekt spielt in der Diskussion um die Rückkehr der Wölfe vor allem die Frage von Sicherheit eine Rolle. Dabei sei der Zungenschlag in der medialen Berichterstattung häufig einseitig: „Wildtier- risse in Siedlungsnähe werden gerne ,mit- ten im Dorfzentrum‘ oder ,direkt neben der Der Mensch habe selbst Einfluss darauf, wie nah Wölfe sich Siedlungen nähern: „Der Wolf folgt seinen Beutetieren. Wenn man in der Nähe von Ortschaften beispielsweise Winterraps anbaut, der Rot- und Rehwild anlockt, werden dort dann auch Wildtiere gerissen.“ Gleiches gelte für sogenannte Lu- derplätze in der Nähe von Siedlungsgebieten, mit denen Jäger Füchse durch Köder anlo- cken. Diese Form der Fuchsjagd wurde im Untersuchungsgebiet daher für das Umfeld von Ortschaften verboten. Generell hat sich, wie die Gespräche Schrö- ders vor Ort zeigten, der Charakter der Jagd geändert: Das Wild sei nicht mehr so bere- chenbar zu finden wie in früheren Zeiten und weicht während der Hochjagd im September nicht mehr in ausgewiesene Wildschutzge- biete aus, in denen es anfangs von den Wöl- fen erwartet und auch teilweise den Jägern zugetrieben wurde. Rehe versteckten sich nun noch mehr, Gämsen hielten sich wieder näher am Fels auf und Hirsche wanderten in die tiefer gelegenen Laubwälder. Diese Ent- wicklung mache die Jagd sportlicher und herausfordernder, sowohl für den Menschen als auch für den Wolf. Während einige Jäger diesem Wandel kritisch gegenüberstehen, gibt es andere, die in der Rückkehr der Wölfe eine Bereicherung sehen und ihre erlegten Tiere nun wieder stärker wertschätzten. Hin- zu komme, dass die Wölfe sehr selektiv Beute machen, so dass sich vor allem gesunde und starke Tiere fortpflanzen würden. Außerdem sei seit der Rückkehr der Wölfe die für den Schutzwald sehr wichtige Weißtanne wieder höher gewachsen, da der Verbiss an jungen Bäumen durch Rot- und Rehwild abgenom- men habe bzw. diese nun stärker im Raum verteilt wären. Ein Großteil der Befragten hat eines oder mehrere Tiere des Calanda-Rudels bereits gesehen. „Für alle Interviewpartner waren die Begegnungen sehr eindrücklich und die meisten gingen mit einem positiveren Gefühl heraus, weil sie gemerkt haben, dass die Wöl- fe an ihnen nicht interessiert waren.“ Dabei könne es gelegentlich vorkommen, dass sich die Tiere anders verhalten als etwa Füchse oder anderes Wild, das schnell die Flucht ergreife. „Wölfe sind sehr schlaue und neu- gierige Tiere. Sie können einem auch mal in die Augen sehen und sich erst nach ein paar Sekunden zurückziehen. Das mag manche Menschen irritieren, ist aber nicht unge- wöhnlich“, so die Geographin. Es brauche längere Erfahrung, um langfristig die Gewissheit zu vermitteln, dass es den bö- sen Wolf nur im Märchen gibt, fährt sie fort. Dabei erwarte sie sich von politischen Ent- scheidungsträgern, dass diese Ängste nicht schüren oder instrumentalisieren, sondern zu einer Versachlichung beitragen. Darüber hinaus wünsche sie sich, dass das Thema Wolf ganzheitlicher betrachtet wird und Un- verhältnismäßigkeiten häufiger aufgedeckt werden: Denn ein Blick in die Statistiken der Schweiz zeige, dass „die Wahrscheinlichkeit als Reh von einem Wolf gefressen zu werden um ein Vielfaches niedriger ist, als durch den Autoverkehr oder landwirtschaftliche Ma- schinen umzukommen. Aber dieses Thema wird von den meisten Medien weitestgehend ausgeblendet, wo wir wieder beim Stichwort ‚Framing‘ angelangt wären.“ ZUR PERSON Verena Schröder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Humangeographie der KU. In Rahmen ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie sich mit dem Forschungsfeld Animal Geography und greift Fragen zu Mensch- Wolf-Beziehungen auf. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit dem Thema der regionalen Unternehmensverantwortung von Seilbahnunternehmen in Tirol.