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Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?
Das Bild vom Wolf als blutrünstiges Monster ist tief verankert in Märchen und Volksglaube des deutschsprachigen
Raums. Wie tief, das belegen die Reaktionen in der Öffentlichkeit, wenn es um die Rückkehr von Wolfsrudeln in
Siedlungsnähe geht.
Schule‘ verortet“, sagt Schröder, die für ihre
Arbeit auch den Deutungsrahmen (engl.
Frame) untersucht, in dem öffentlich über
den Wolf verhandelt wird. Wie aus ihren
Untersuchungen hervorgeht, werden Wölfe
in den Medien mehrheitlich mit negativen
Passwörtern, wie beispielsweise „Problem“,
„Gefahr“ oder „Verlust von Scheu“ verbun-
den, während Themen wie die „ökologische
Funktion“ oder die „ausgeprägte Sozialität“
der Tiere ausgeblendet werden. „Aus diesen
Ergebnissen sowie dem Umgang ‚mit Neuem
und Unbekanntem‘ – dem Wolf – lässt sich
vieles über eine Gesellschaft ablesen“, gibt die
Geographin zu verstehen.
Es sei daher ratsam, Medienberichte über
den Wolf kritisch zu lesen, denn sie stellen
immer eine selektive Wahrnehmung dar. Die
für ihre Untersuchung herangezogene Fra-
mingtheorie besage zudem, dass die wieder-
holte, mediale Verbindung von Wölfen mit
negativen Deutungsrahmen zur Folge habe,
dass Menschen diese so genannten assozia-
tiven Netzwerke in ihrem Gehirn speichern
und abrufen, sobald sie mit dem Begriff
„Wolf “ konfrontiert werden. „Im Kontext der
Wolfsrückkehr bedarf es sprachlicher Alter-
nativen, will man eine Pluralität von Denk-
weisen langfristig bewahren.“
„Das Image vom ,bösen Wolf ‘ greift jedoch
nicht in der Realität. Stattdessen ist in Ge-
bieten mit Wölfen ein dynamischer Prozess
zwischen Mensch und Tier im Gange, bei
dem der Mensch erst noch praktische Er-
fahrungen sammeln, eine neue Rolle finden
und Routine im Umgang mit diesen Tieren
zurückgewinnen muss“, erklärt die Geogra-
phin Verena Schröder vom Lehrstuhl für
Humangeographie der Katholischen Uni-
versität Eichstätt-Ingolstadt. Am Beispiel des
Calanda-Massivs im schweizerischen Grau-
bünden und St. Gallen untersucht sie für ihre
Doktorarbeit, welche Auswirkungen ein in
der dortigen Region lebendes Wolfsrudel auf
das alltägliche Leben hat und wie der Mensch
selbst das Verhalten der Tiere beeinflusst.
Das Untersuchungsgebiet ist auch deshalb
interessant, da das Streifgebiet der Wölfe in
unmittelbarer Nähe zur Stadt Chur liegt.
Schröder befragte unter anderem Schaf- und
Viehlandwirte, Jäger, Förster, Bewohner so-
wie Funktionäre des Vereins „Lebensraum
Schweiz ohne Großraubtiere“. Letztere brin-
gen unter anderem die Verluste durch vom
Wolf gerissene Schafe als Argument für Ab-
schüsse vor. Der Verein ist sehr aktiv und mit
den regionalen Medien gut vernetzt. Im Hin-
blick auf den öffentlichen Diskurs über Wölfe
sei es wichtig, dass dieser nicht einseitig be-
stimmt werde, erklärt die Geographin. Denn
in der Region rund um das Calanda-Massiv
werde nicht erst seit der Rückkehr der Wölfe
Herdenschutz durch spezielle Hunde betrie-
ben, die mit den Schafen aufwachsen und sie
als ihre vermeintlichen Artgenossen vertei-
digen. „Einige Landwirte hatten sich bereits
vor der Rudelbildung Herdenschutzhunde
angeschafft, deren Einsatz ursprünglich vor
allem gegen wildernde Hunde gerichtet war“,
erläutert Schröder. Ebenfalls ist der Einsatz
von Hirten bei entsprechender Herdengrö-
ße weit verbreitet. Der Staat fördert diese
Maßnahmen und leistet Entschädigungszah-
lungen, sofern man Herdenschutz betreibe.
Jedoch müsse von letzteren verhältnismäßig
wenig Gebrauch gemacht werden, da sich
das Rudel des Calanda-Massivs einerseits auf
Rothirsche spezialisiert habe, gefolgt von Re-
hen und Gämsen und andererseits die um-
fassenden Herdenschutzmaßnahmen zum
Greifen kämen.
Neben dem finanziellen Aspekt spielt in der
Diskussion um die Rückkehr der Wölfe vor
allem die Frage von Sicherheit eine Rolle.
Dabei sei der Zungenschlag in der medialen
Berichterstattung häufig einseitig: „Wildtier-
risse in Siedlungsnähe werden gerne ,mit-
ten im Dorfzentrum‘ oder ,direkt neben der
Der Mensch habe selbst Einfluss darauf, wie
nah Wölfe sich Siedlungen nähern: „Der
Wolf folgt seinen Beutetieren. Wenn man
in der Nähe von Ortschaften beispielsweise
Winterraps anbaut, der Rot- und Rehwild
anlockt, werden dort dann auch Wildtiere
gerissen.“ Gleiches gelte für sogenannte Lu-
derplätze in der Nähe von Siedlungsgebieten,
mit denen Jäger Füchse durch Köder anlo-
cken. Diese Form der Fuchsjagd wurde im
Untersuchungsgebiet daher für das Umfeld
von Ortschaften verboten.
Generell hat sich, wie die Gespräche Schrö-
ders vor Ort zeigten, der Charakter der Jagd
geändert: Das Wild sei nicht mehr so bere-
chenbar zu finden wie in früheren Zeiten und
weicht während der Hochjagd im September
nicht mehr in ausgewiesene Wildschutzge-
biete aus, in denen es anfangs von den Wöl-
fen erwartet und auch teilweise den Jägern
zugetrieben wurde. Rehe versteckten sich
nun noch mehr, Gämsen hielten sich wieder
näher am Fels auf und Hirsche wanderten in
die tiefer gelegenen Laubwälder. Diese Ent-
wicklung mache die Jagd sportlicher und
herausfordernder, sowohl für den Menschen
als auch für den Wolf. Während einige Jäger
diesem Wandel kritisch gegenüberstehen,
gibt es andere, die in der Rückkehr der Wölfe
eine Bereicherung sehen und ihre erlegten
Tiere nun wieder stärker wertschätzten. Hin-
zu komme, dass die Wölfe sehr selektiv Beute
machen, so dass sich vor allem gesunde und
starke Tiere fortpflanzen würden. Außerdem
sei seit der Rückkehr der Wölfe die für den
Schutzwald sehr wichtige Weißtanne wieder
höher gewachsen, da der Verbiss an jungen
Bäumen durch Rot- und Rehwild abgenom-
men habe bzw. diese nun stärker im Raum
verteilt wären.
Ein Großteil der Befragten hat eines oder
mehrere Tiere des Calanda-Rudels bereits
gesehen. „Für alle Interviewpartner waren
die Begegnungen sehr eindrücklich und die
meisten gingen mit einem positiveren Gefühl
heraus, weil sie gemerkt haben, dass die Wöl-
fe an ihnen nicht interessiert waren.“ Dabei
könne es gelegentlich vorkommen, dass sich
die Tiere anders verhalten als etwa Füchse
oder anderes Wild, das schnell die Flucht
ergreife. „Wölfe sind sehr schlaue und neu-
gierige Tiere. Sie können einem auch mal in
die Augen sehen und sich erst nach ein paar
Sekunden zurückziehen. Das mag manche
Menschen irritieren, ist aber nicht unge-
wöhnlich“, so die Geographin.
Es brauche längere Erfahrung, um langfristig
die Gewissheit zu vermitteln, dass es den bö-
sen Wolf nur im Märchen gibt, fährt sie fort.
Dabei erwarte sie sich von politischen Ent-
scheidungsträgern, dass diese Ängste nicht
schüren oder instrumentalisieren, sondern
zu einer Versachlichung beitragen. Darüber
hinaus wünsche sie sich, dass das Thema
Wolf ganzheitlicher betrachtet wird und Un-
verhältnismäßigkeiten häufiger aufgedeckt
werden: Denn ein Blick in die Statistiken der
Schweiz zeige, dass „die Wahrscheinlichkeit
als Reh von einem Wolf gefressen zu werden
um ein Vielfaches niedriger ist, als durch den
Autoverkehr oder landwirtschaftliche Ma-
schinen umzukommen. Aber dieses Thema
wird von den meisten Medien weitestgehend
ausgeblendet, wo wir wieder beim Stichwort
‚Framing‘ angelangt wären.“
ZUR PERSON
Verena Schröder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für
Humangeographie der KU. In Rahmen ihrer Doktorarbeit beschäftigt sie
sich mit dem Forschungsfeld Animal Geography und greift Fragen zu Mensch-
Wolf-Beziehungen auf. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit dem Thema
der regionalen Unternehmensverantwortung von Seilbahnunternehmen in Tirol.