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24 I SCHWERPUNKT EMOTIONEN SCHWERPUNKT EMOTIONEN I 25 Wenn Trauer zur Krankheit wird Unter Leitung des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie an der KU erforschen bundesweit vier Universitäten die Behandlung der Anhaltenden Trauerstörung. „Meine Frau ist bereits vor sieben Jahren gestorben. Im Laufe der Zeit nahm aber der Schmerz nicht ab. Ich bin immer noch traurig, manchmal auch wütend und dann denke ich, ich habe etwas falsch gemacht, damals bevor sie starb.“* In einem grünen Gebäude mit den kunterbunt über dem Eingang tänzelnden Buchstaben „Via Vitae“, was auf Deutsch so viel heißt wie „Weg des Lebens“, finden Patienten Hilfe, die den Tod eines wichtigen Menschen nicht überwinden können. Der Schmerz über den Verlust lässt bei ihnen nicht nach. Manche können den Tod des geliebten Menschen nicht akzeptieren. Viele führen ihr Leben so weiter, als wäre der Verstorbene noch da, manche leben in Verbitterung und Trauer. Menschen, die an der sogenannten Anhaltenden Trauerstörung lei- den, finden an der psychotherapeutischen Hochschulambulanz der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt professionelle Unter- stützung. Die Einrichtung in Ingolstadt gehört zum Lehrstuhl für Bio- logische und Klinische Psychologie der KU und erforscht zurzeit zwei Therapieverfahren der Anhaltenden Trauerstörung. Unter Leitung von Lehrstuhl-Inhaberin Prof. Dr. Rita Rosner startete im April 2017 eine bundesweite Studie an den Universitäten in Frankfurt, Marburg, Leipzig und Eichstätt-Ingolstadt. Die sogenannte PROGRID-Studie („Prolonged Grief Disorder“) wird mit einer Million Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und läuft drei Jahre. „Es gibt Phasen, in denen es mir gelingt, wenig an meine Frau zu denken. Es reicht aber aus, ein Bild zu sehen oder ihre Lieblingsme- lodie zu hören und ich bin wieder in einem Kreis aus Sehnsucht und Schmerz gefangen.“ „Es geht nicht darum, normale Trauer zu pathologisieren“, betont Professor Rosner. Um die Anerkennung der Anhaltenden Trauer gab es heftige wissenschaftliche Diskussionen. Kritiker befürchteten, dass man die normale Trauer durch die Anerkennung einer Trauerstörung stigmatisieren könnte. Deshalb gibt es im wissenschaftlichen Diskurs eine klare Trennung zwischen einem normalen Trauerverlauf und der Anhaltenden Trauerstörung. Während der Verlustschmerz bei nor- maler Trauer innerhalb eines halben Jahres langsam abnimmt und der Angehörige keine Einschränkungen im täglichen Leben hat, tre- ten bei Anhaltender Trauer weit darüber hinaus heftige Sehnsucht, Hilflosigkeit, Angst oder Wut auf. Gefühle, die den Betroffenen über- wältigen. „Bei vielen Patienten liegt der Tod der Bezugsperson schon viele Jahre zurück“, erklärt Rosner. Doch sie litten noch immer unter dem Verlust. In den meisten Fällen helfe dann eine Psychotherapie. Medikamente greifen bei Anhaltender Trauerstörung nicht. „Ich muss tagtäglich an sie denken. Dann bin ich zornig auf den Au- tofahrer, der den Autounfall verursachte und fühle mich schuldig, weil ich meine Frau nicht begleitet hatte. Sofort werde ich von einer tiefen Traurigkeit überrollt sowie Angst, diese Gefühle nie wieder loswerden zu können. Ich kann mich auch gar nicht mehr richtig freuen.“ Unter Anhaltender Trauerstörung verstehen Psychologen eine in- tensive Reaktion auf den Verlust einer Bezugsperson, mehr als sechs Monate über den Todeszeitpunkt hinaus. Die Reaktionen können dabei vielfältig und durchaus unterschiedlich sein: Manche Betroffe- ne können den Tod nicht akzeptieren und verhalten sich, als ob der Verstorbene noch lebt, andere ziehen sich aus dem Freundes- und Familienkreis zurück. Wieder andere geben sich die Schuld am Ver- lust. Außerdem verspüren sie eine große Sehnsucht nach dem Ver- storbenen oder leben in Verbitterung. In dem Therapie-Manual „An- haltende Trauerstörung“, das Rita Rosner mit verfasst hat, sind Fall- beispiele enthalten, die sich aus realen Patientengesprächen ableiten. So erwähnen die Autoren etwa eine Mutter, deren 13-jährige Tochter vor acht Jahren ums Leben kam. Die Mutter ließ das Kinderzimmer unverändert, selbst die Bettwäsche wollte sie nicht wechseln. Auch die Zahnbürste des Mädchens blieb im Bad stehen. Jeden Morgen sah die Mutter das Zahnputzzeug ihres toten Kindes und erinnerte sich an den Verlust. Im Laufe der kognitiven Therapie lernte die Frau, den Tod ihrer Tochter besser zu akzeptieren. Sie konnte Veränderungen umsetzen. So funktionierte sie das Kinderzimmer zum Gästezimmer um. Gleichzeitig entschied sie sich, bestimmte Dinge unverändert zu lassen. So ließ sie die Zahnbürste stehen. Denn auch wenn es sie trau- rig machte, wollte die Mutter weiterhin jeden Morgen an ihre Tochter denken. „Ich denke dauernd an sie. Ich habe solche Sehnsucht und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass sie nur wieder da sein könnte.“