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Wenn Trauer zur Krankheit wird
Unter Leitung des Lehrstuhls für Klinische und Biologische Psychologie an der KU erforschen bundesweit
vier Universitäten die Behandlung der Anhaltenden Trauerstörung.
„Meine Frau ist bereits vor sieben Jahren gestorben. Im Laufe der
Zeit nahm aber der Schmerz nicht ab. Ich bin immer noch traurig,
manchmal auch wütend und dann denke ich, ich habe etwas falsch
gemacht, damals bevor sie starb.“*
In einem grünen Gebäude mit den kunterbunt über dem Eingang
tänzelnden Buchstaben „Via Vitae“, was auf Deutsch so viel heißt wie
„Weg des Lebens“, finden Patienten Hilfe, die den Tod eines wichtigen
Menschen nicht überwinden können. Der Schmerz über den Verlust
lässt bei ihnen nicht nach. Manche können den Tod des geliebten
Menschen nicht akzeptieren. Viele führen ihr Leben so weiter, als wäre
der Verstorbene noch da, manche leben in Verbitterung und Trauer.
Menschen, die an der sogenannten Anhaltenden Trauerstörung lei-
den, finden an der psychotherapeutischen Hochschulambulanz der
Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt professionelle Unter-
stützung. Die Einrichtung in Ingolstadt gehört zum Lehrstuhl für Bio-
logische und Klinische Psychologie der KU und erforscht zurzeit zwei
Therapieverfahren der Anhaltenden Trauerstörung. Unter Leitung
von Lehrstuhl-Inhaberin Prof. Dr. Rita Rosner startete im April 2017
eine bundesweite Studie an den Universitäten in Frankfurt, Marburg,
Leipzig und Eichstätt-Ingolstadt. Die sogenannte PROGRID-Studie
(„Prolonged Grief Disorder“) wird mit einer Million Euro von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert und läuft drei Jahre.
„Es gibt Phasen, in denen es mir gelingt, wenig an meine Frau zu
denken. Es reicht aber aus, ein Bild zu sehen oder ihre Lieblingsme-
lodie zu hören und ich bin wieder in einem Kreis aus Sehnsucht und
Schmerz gefangen.“
„Es geht nicht darum, normale Trauer zu pathologisieren“, betont
Professor Rosner. Um die Anerkennung der Anhaltenden Trauer gab
es heftige wissenschaftliche Diskussionen. Kritiker befürchteten, dass
man die normale Trauer durch die Anerkennung einer Trauerstörung
stigmatisieren könnte. Deshalb gibt es im wissenschaftlichen Diskurs
eine klare Trennung zwischen einem normalen Trauerverlauf und der
Anhaltenden Trauerstörung. Während der Verlustschmerz bei nor-
maler Trauer innerhalb eines halben Jahres langsam abnimmt und
der Angehörige keine Einschränkungen im täglichen Leben hat, tre-
ten bei Anhaltender Trauer weit darüber hinaus heftige Sehnsucht,
Hilflosigkeit, Angst oder Wut auf. Gefühle, die den Betroffenen über-
wältigen. „Bei vielen Patienten liegt der Tod der Bezugsperson schon
viele Jahre zurück“, erklärt Rosner. Doch sie litten noch immer unter
dem Verlust. In den meisten Fällen helfe dann eine Psychotherapie.
Medikamente greifen bei Anhaltender Trauerstörung nicht.
„Ich muss tagtäglich an sie denken. Dann bin ich zornig auf den Au-
tofahrer, der den Autounfall verursachte und fühle mich schuldig,
weil ich meine Frau nicht begleitet hatte. Sofort werde ich von einer
tiefen Traurigkeit überrollt sowie Angst, diese Gefühle nie wieder
loswerden zu können. Ich kann mich auch gar nicht mehr richtig
freuen.“
Unter Anhaltender Trauerstörung verstehen Psychologen eine in-
tensive Reaktion auf den Verlust einer Bezugsperson, mehr als sechs
Monate über den Todeszeitpunkt hinaus. Die Reaktionen können
dabei vielfältig und durchaus unterschiedlich sein: Manche Betroffe-
ne können den Tod nicht akzeptieren und verhalten sich, als ob der
Verstorbene noch lebt, andere ziehen sich aus dem Freundes- und
Familienkreis zurück. Wieder andere geben sich die Schuld am Ver-
lust. Außerdem verspüren sie eine große Sehnsucht nach dem Ver-
storbenen oder leben in Verbitterung. In dem Therapie-Manual „An-
haltende Trauerstörung“, das Rita Rosner mit verfasst hat, sind Fall-
beispiele enthalten, die sich aus realen Patientengesprächen ableiten.
So erwähnen die Autoren etwa eine Mutter, deren 13-jährige Tochter
vor acht Jahren ums Leben kam. Die Mutter ließ das Kinderzimmer
unverändert, selbst die Bettwäsche wollte sie nicht wechseln. Auch die
Zahnbürste des Mädchens blieb im Bad stehen. Jeden Morgen sah die
Mutter das Zahnputzzeug ihres toten Kindes und erinnerte sich an
den Verlust. Im Laufe der kognitiven Therapie lernte die Frau, den
Tod ihrer Tochter besser zu akzeptieren. Sie konnte Veränderungen
umsetzen. So funktionierte sie das Kinderzimmer zum Gästezimmer
um. Gleichzeitig entschied sie sich, bestimmte Dinge unverändert zu
lassen. So ließ sie die Zahnbürste stehen. Denn auch wenn es sie trau-
rig machte, wollte die Mutter weiterhin jeden Morgen an ihre Tochter
denken.
„Ich denke dauernd an sie. Ich habe solche Sehnsucht und wünsche
mir nichts sehnlicher, als dass sie nur wieder da sein könnte.“