20 I SCHWERPUNKT EMOTIONEN
SCHWERPUNKT EMOTIONEN I 21
Check-In mit gemischten Gefühlen
Wer sich auf Reisen begibt, für den ist die Hotelrezeption oft der erste Anlaufpunkt am Urlaubsort. Wie sich das
dortige Personal gegenüber den Gästen verhält, bildet einen zentralen Faktor in der Bewertung von touristischen
Dienstleistungen. Mit welchen Emotionen die Kunden auf die Mitarbeiter am Empfang reagieren, untersuchte ein
Projekt des Lehrstuhls Tourismus modellhaft in der Nürnberger Service-Manufaktur „JOSEPHS“ der Fraunhofer-
Gesellschaft untersucht. Dabei nutzten sie eine spezielle Technik, die Gefühle in Echtzeit aus der Mimik abliest.
Mit viel Vorfreude auf die anstehende Ur-
laubswoche betritt ein Paar die Eingangshal-
le des Berghotels, das im Internet von den
meisten Gästen hochgelobt wurde. Doch der
Anblick des Portiers irritiert: Fast wie in ei-
ner Kneipe stützt er sich mit verschränkten
Armen auf den Tresen, sein Kopf ist nach un-
ten gebeugt. Als er die Gäste bemerkt, richtet
er sich auf und begrüßt sie: „Willkommen im
Hotel Josephs! Entschuldigen Sie bitte, aber
mein Kopf bringt mich heute noch um. Wie
kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Der Kunde
stellt sich mit Namen vor und reicht ihm den
Ausdruck einer Reservierungsbestätigung.
Aber der Mitarbeiter kann die Buchung im
Computer nicht finden. Das Paar schaut sich
wortlos an…
So beginnt eines von mehreren Szenarien,
welches Studierende des Lehrstuhls Tou-
rismus in der Rolle des Hotelpersonals mit
unterschiedlichen „Drehbuchanweisungen“
nachgestellt haben. Jedoch nicht in einem
echten Hotel, sondern in der Service-Ma-
nufaktur „JOSEPHS“, die vom Fraunhofer-
Institut für Integrierte Schaltungen IIS be-
trieben wird. Dort können Besucher mitten
in der Nürnberger Innenstadt auf über 400
Quadratmetern neue Produkte und Dienst-
leistungen aus verschiedenen Lebensberei-
chen entdecken und testen. Ziel des viermo-
natigen Projektes im Rahmen des Seminars
„Tourismusgeographie und -management“
war es, die Reaktion von Gästen unmittelbar
zu erfassen und so Empfehlungen für den
Umgang mit Kunden abzuleiten. Dabei kam
für die touristische Forschung erstmals ein
vom IIS entwickeltes Verfahren zum Einsatz,
das Emotionen im laufenden Gespräch an-
hand der Mimik erfasst.
Auf diese Weise ließ sich ein Grundproblem
bisheriger Untersuchungen vermeiden: „Stu-
dien zeigen, dass sich Aussagen von Proban-
den zu erlebten Emotionen verändern, wenn
sie erst rückblickend dazu befragt werden
und nicht in der Situation selbst“, erklärt Prof.
Dr. Harald Pechlaner, Inhaber des Lehrstuhls
Tourismus. Bislang bot sich keine andere
Methode als Gäste nach dem Ende ihrer Rei-
se zu interviewen bzw. wenn sie ein weiteres
Mal eine Unterkunft buchten. Forscher such-
ten daher nach Möglichkeiten, um authenti-
sche Aussagen in Echtzeit zu gewinnen, ohne
dabei ein Gespräch mit dem Hotelpersonal
oder ein touristisches Erlebnis unterbrechen
zu müssen. Einen ersten Schritt in diese
Richtung gingen vor einigen Jahren ameri-
kanische Wissenschaftler, die zwei Reisende
mit Sensoren ausstatteten, welche den Haut-
widerstand messen – als Indikator für Ent-
spannung bzw. Anspannung. Anschließend
schickten sie die Probanden zu verschiede-
nen Sehenswürdigkeiten in Philadelphia.
Zwar konnten sie bei einer anschließenden
Befragung nur Teile ihrer Tour bewusst be-
werten. Anhand der gewonnenen Daten
zeigte sich jedoch, dass sie auf viele Stimuli
reagiert hatten – seien es die Sehenswür-
digkeiten, ihre eigenen Aktivitäten oder die
Begegnung mit anderen Touristen. Im Ver-
gleich dazu deutlich differenziertere Aussa-
„Mood Detection“: Das vom Fraunhofer-Institut entwickelte System „SHORE“(Sophisticated High-Speed Object Recognition Engine) erkennt in Videoaufnahmen
Gesichter und kann nicht nur mit hoher Zuverlässigkeit Alter und Geschlecht der Personen vor der Kamera bestimmen, sondern anhand ihrer Mimik auch die
Ausprägung der Grundgefühle Freude, Trauer, Wut und Überraschung erfassen. (Foto: Kurt Fuchs/Fraunhofer IIS)
gen ermöglicht das vom Fraunhofer-Institut
entwickelte System „SHORE“(Sophisticated
High-Speed Object Recognition Engine).
Diese Software erkennt in Videoaufnahmen
Gesichter und kann nicht nur mit hoher Zu-
verlässigkeit Alter und Geschlecht der Per-
sonen vor der Kamera bestimmen, sondern
anhand ihrer Mimik auch die Ausprägung
der Grundgefühle Freude, Trauer, Wut und
Überraschung erfassen. Durch den Zeit-
stempel der Videoaufnahmen lassen sich in
Verbindung mit Bild und Ton Rückschlüsse
auf die im Gesprächsverlauf erzeugten Emo-
tionen ziehen.
Für das Projekt erwartete die Besucher im
„JOSEPHS“ eine Hotel-Rezeption samt Tre-
sen, an dem sie gebeten wurden, einzuche-
cken. Im Hintergrund war eine kleine Kame-
ra angebracht, die den Gast filmte. Studieren-
de des Seminars „Tourismusgeographie und
-management“ führten dann Gespräche mit
den fiktiven Gästen anhand vorgegebener
Leitfäden. Dabei war die Mischung von Ser-
vice- und Beziehungsqualität unterschied-
lich ausgeprägt. Eine hohe Servicequalität
zeichnet sich dadurch aus, dass das Personal
gut geschult ist, seine Dienstleistung struktu-
riert erbringt, jedoch im persönlichen Um-
gang eher zurückhaltend ist. Ein Fokus auf
die Beziehungsqualität spiegelt sich darin wi-
der, dass der Mitarbeiter persönliche Erfah-
rungen und Erzählungen einbringt und sich
mehr auf die Interaktion mit dem Kunden
konzentriert als auf die reine Erfüllung einer
Dienstleistung.
Die Probandinnen und Probanden erwarteten sechs verschiedene Szenarien an der Rezeption:
1. Hohe Servicequalität wird verbunden mit hoher Beziehungsqualität: Der Mitarbeiter ist freundlich, höflich und arbeitet strukturiert.
2. Die Servicequalität ist hoch, aber die Beziehungsqualität ist niedrig: Der Portier arbeitet effizient und ist höflich, jedoch distanziert.
3. D
er Service gestaltet sich in dieser Variante holprig, die Beziehungsqualität jedoch hoch: Der Mitarbeiter am Empfang ist sehr
freundlich, gibt persönliche Tipps, findet aber anfangs die Buchung nicht und gibt den falschen Zimmerschlüssel aus.
4. I n diesem Fall sind sowohl die Qualität des Service als auch des persönlichen Kontaktes niedrig:
Dem Gast berichtet der Mitarbeiter von seinen Kopfschmerzen und findet auf Anhieb nicht die Buchung.
5. Hier wird der Gast zwar freundlich und kompetent bedient, jedoch von Beginn an mit „Du“ angesprochen.
6. Die letzte Konstellation startet ähnlich der vierten Fallstudie mit schlechter Service- und Beziehungsqualität:
Der Mitarbeiter schildert seine Kopfschmerzen und lehnt an der Theke. Auch er findet die Buchung nicht auf Anhieb.
Jedoch ist er dann sehr herzlich, bedient kompetent weiter und gibt dem Gast Insider-Tipps.
Insgesamt führten die Studierenden inner-
halb von vier Monaten 225 Gespräche. An
jedem Untersuchungstag wurde nur eines
der sechs Szenarien durchgespielt. Wenig
überraschend ist, dass sich hohe Service-
und Beziehungsqualität auch in positiven
Emotionen widerspiegelten. Interessant sind
aber die Ergebnisse der Begegnungen, in
denen beide Faktoren unterschiedlich aus-
geprägt waren: Arbeitete der Hotelmitarbei-
ter höflich distanziert und effizient, waren
die fiktiven Gäste zufriedener als bei einem
besonders herzlichen Portier, der aber Pro-
bleme hat, die Buchung zu finden. „Wenn
der Service nicht stimmt, reagiert der Gast
enttäuscht – da hilft auch kein ansonsten
freundlicher Mitarbeiter“, erklärt Christian
Nordhorn, der die Studie als wissenschaftli-
cher Mitarbeiter des Lehrstuhls Tourismus
begleitete und mittlerweile für die IHK Mün-
chen und Oberbayern tätig ist. Jedoch seien
Kunden dazu bereit, Fehler zu verzeihen,
wenn am Ende doch die Leistung passt. Dies
zeigen die Ergebnisse des sechsten Szena-
rios, in dem der Service zunächst nicht passt,
sich der Mitarbeiter aber dann bemüht, den
Kunden freundlich und kompetent zu bedie-
nen. Gerade für diese Konstellation ließ sich
das größte Ausmaß an Freude registrieren.
„Emotionen basieren auf einer Erwartungs-
haltung, die beim Kunden niedrig ist, wenn
er anfangs nicht gut bedient wird. Diese Er-
wartungshaltung wird aber dann übertroffen,
wenn schließlich doch ein freundlicher, guter
Service gelingt“, interpretiert Professor Pech-
laner dieses Ergebnis. Insgesamt betrachtet
erzielte eine gesunde Mischung aus Service-
und Beziehungsqualität bei den Kunden die
höchste Zufriedenheit.
Was die im fünften Szenario durchgängig
praktizierte Anrede des Gastes mit „Du“ be-
trifft, so zeigte sich hier bei den Probanden
ein ambivalentes Ergebnis: Auf der einen
Seite war bei keiner anderen Variante so viel
Wut aus der Mimik abzulesen, auf der ande-
ren Seite reagierten viele Gesprächspartner
auch positiv darauf. Für eine Folgeuntersu-
chung wäre hier interessant, beispielsweise
gezielt die Reaktion unterschiedlicher Alters-
klassen zu verifizieren, da vor allem jüngeres
Publikum an den Versuchen im JOSEPHS
teilnahm. Außerdem handelte es sich bei al-
len „Gästen“ um Erstbesucher, nicht etwa um
Stammkunden, deren Reaktion unter Um-
ständen wiederum anders ausfallen könnte.
Das Ziel der Wissenschaftler ist eine Wieder-
holung ihrer Untersuchung im Alltag eines
realen Hotelbetriebes, was jedoch eine Rei-
he an – insbesondere rechtlichen und ethi-
schen – Herausforderungen mit sich bringen
würde: So müssten die Gäste zu Beginn des
Gesprächs um ihr Einverständnis für eine
Aufzeichnung per Video gebeten werden.
Damit hätte die Situation wieder eher den
Charakter eines Versuchs und nicht eines
authentischen Gesprächs. Aber auch die Er-
gebnisse der Tests in der Nürnberger Service-
Manufaktur geben erste Hinweise, an denen
bereits die Praktiker der Tourismusbranche
interessiert sind, wie erste Anfragen an den
Lehrstuhl Tourismus zeigen.