forum forschung forum forschung 2019 | Page 60

60 I FORUM auf neuronaler Ebene beim Lernen oder Sprechen von Fremdsprachen? Böttger: Man muss da echt vorsichtig sein. Wenn jemand eine Sprache verwendet, dann kann man über Magnetresonanz messen, wie es an bestimmten Stellen im Gehirn, die wir jetzt kennen und eingrenzen können, im Grunde zu einer Konzentration von Blut und Sauerstoff kommt. Ganz besonders zum Beispiel beim Lesen kann man sehen, wie schwer das ist. Das kann ich nicht intuitiv lernen, das geht nur explizit. Ein gelesenes Wort wird von der Netzhaut in den visuellen Kortex geleitet, um dann im linken Schläfen- lappen verarbeitet zu werden. Dort bekommt das Wort auch einen bestimmten Sinn und kann dann eingeordnet werden. Das kann FORUM I 61 ich nachverfolgen und ich kann auch sehen, wie es da passiert und in welcher Stärke. Was wirklich bemerkenswert ist: Wenn jemand zum Beispiel schlecht liest, kann man es mittlerweile sehen. Aber wieder nur fallba- siert, erst mit einer Erhöhung der Proban- denzahl wird das sicherer und man bekommt dann Befunde, die dagegen sprechen und andere, die das dann unterstützen. Und das ist schwierig. Ansonsten dilettieren wir da aus meiner Sicht noch. Da zitiere ich gerne, was der Neurowissenschaftler David Poeppel 2007 gesagt hat: We still don’t know much. Gade: Ich denke, unabhängig von diesen neuronalen Korrelaten, die wir in weiten Tei- len ja noch nicht wirklich gut verstehen, gibt es tatsächlich auch Verhaltensevidenz aus Studien. Wenn jemand in der Lage ist, zwei Sprachen relativ flüssig zu sprechen, sind beide Lexika auch immer aktiv. Ein deutsch- englischer Bilingualer, der ein deutsches Wort aus einer Liste wählen soll, wird sehr wahrscheinlich auch auf das englische Wort schauen, wie die Analyse der Blickbewegung zeigt. Und das ist glaube ich durchaus eine gesicherte Erkenntnis. Wobei unter gesicher- ter Erkenntnis ja immer nicht wahr oder falsch zu verstehen ist in einer empirischen Wissenschaft, sondern eine evidenzbasierte Erkenntnis. Das ist vielleicht auch noch ganz wichtig, dass wir ja empirisch forschen und nicht formal-logisch, das heißt, wir sind auch immer offen für Alternativbefunde und Al- ternativerklärungen. Vielleicht anknüpfend: Sie haben gesagt, es wird speziell auf dem psychologischen Ge- biet sehr viel getestet. Inwiefern hat Mehr- sprachigkeit positive Effekte auf sprachliche Fähigkeiten – auf das Erlernen anderer Sprachen beispielsweise – und auf kognitive Leistungsfähigkeit ganz allgemein? Prof. Dr. Jens Kratzmann Gade: Die Aufgaben, die wir klassischerwei- se verwenden, beschäftigen sich mit Hand- lungskontrolle, also mit dem Erreichen von Zielen und den Möglichkeiten, mein Ziel zu erreichen. Was wir sehen, ist, dass zum Beispiel Kinder in der Lage sind, sehr viel flexibler ihre Aufmerksamkeit auf neue Zie- le zu lenken oder Handlungen schneller ab- zubrechen und neue Handlungsalternativen auszuwählen. Dies versucht man, weiterhin empirisch zu untermauern: über Blickbewe- gungen, Reaktionszeiten, Fehlerraten und eben teilweise neuronale Daten, wobei das bei Kindern tausendmal schwieriger ist, weil wir relativ wenig wissen darüber, wie sich das Hirn eigentlich entwickelt. Und was bedeutet es tatsächlich, wenn ich Veränderungen im Blutfluss messe – vielleicht atmet das Baby auch einfach nur schwer? Man muss sich auch immer klarmachen: Wenn wir hier von verschiedenen Arealen reden, dann reden wir von maximal drei bis fünf Zentimetern, wo das räumlich stattfindet – und so lokal sind leider unsere Aktivierungen nicht. Herr Kratzmann, Sie mit Ihrer Erfahrung speziell mit Kindern mit Migrationshinter- grund: Gibt es da dezidiert positive Effekte, die die Mehrsprachigkeit für diese Kinder hat? Kratzmann: Ich schließe mich in Bezug auf die kognitive Leistungsfähigkeit an. Was diskutiert wird, ist ein metasprachliches Bewusstsein, was sich bei zweisprachig auf- wachsenden Kindern entwickelt, und sie sich dann leichter tun, eine dritte Sprache zu lernen. Man kann Aufmerksamkeit testen, da gibt es Ergebnisse, die zeigen, dass mehr- sprachige Kinder da besser sind. Was man erstmal denkt, ist, dass Migranten Schwierig- keiten beim Erlernen der deutschen Sprache haben und – was auch nachgewiesen ist – sie erstmal zurückbleiben gegenüber anderen. Aber sie holen dann eben später auch wie- der auf und können das ganze wieder aufbe- reiten. Rein kognitiv würde ich zustimmen, dass es regulär Vorteile bringt. Böttger: Wenn die Muttersprache gefördert wird! Migrantenkinder haben ja eine eigene Muttersprache. Es ist ein großes Missver- ständnis, dass ihre Eltern versuchen, die eigene Muttersprache zu vermeiden, um es den Kindern vermeintlich leicht zu machen. Wenn sich die Muttersprache nicht ausbildet, dann fehlt ab dem etwa fünften oder sechsten Lebensjahr in Wortschatz und Grammatik ein Referenzmodell. Und wenn ich da nicht einhake, wird es so bleiben. Da muss ich mit denen nicht über Simple Past oder Present Perfect reden, weil sie es nicht einordnen können, sie haben einfach keinen Vergleich. Wenn dilettiert wird in zwei Sprachen bei natürlich bilingual Aufwachsenden, die also nicht gefördert werden, oder gemixt wird – es gibt ja diese Geschichten, dass Papa und Mama dann meinen, sie müssten ihr Kind bilingual aufwachsen lassen und dilettieren dann –, da kommt es auch zu Sprachverwir- rungen. Das ist aber hausgemacht. Die ko- gnitiven positiven Prädispositionen sind mit Sicherheit da. Aber wir tun oftmals Dinge, auch institutionalisiert, die dem Stand des- sen, was wir wissen, nicht entsprechen. 2019. Mit unseren Kindern. Ist es Konsens in dieser Runde, dass früher Fremdsprachenerwerb generell von Vorteil ist? Alle: Nein (Kopfschütteln, Gelächter). Böttger: Das muss man differenzieren. Gade: Ich glaube, man muss es sehr differen- zieren. Wenn sie einen 20-Jährigen, der eine neue Sprache lernen muss, in 30 Jahren tes- ten, werden Sie nicht merken, wann er die Sprache erlernt hat. Worauf ich auch noch gerne hinweisen möchte: Wir schauen natür- lich auch immer selbst selektierte Stichpro- ben an. Wenn Sie so ein Babylabor haben, schreiben Sie die gesamte Elternschaft an und gelangen natürlich nur an diejenigen, die Interesse haben. Das korreliert natürlich hoch mit dem Bildungsabschluss der Eltern. Das heißt, wir untersuchen ein Umfeld mit hohem sozioökonomischem Status und in der Regel nicht Menschen, die vielleicht mehr in Ihr Klientel fallen, Herr Kratzmann, oder mit denen Sie, Herr Böttger, dann in der Schule zu tun haben, und aus unterschiedli- chen sozioökonomischen Schichten kom- men. Deswegen müssen wir uns immer fra- gen: Wie weit gehen diese Effekte und was ist der Einfluss des sozioökonomischen Status? Dass sozioökonomischer Status generell mit besserer kognitiver Performanz einhergeht, das ist, glaube ich, einer der bestbelegten Ef- fekte in der Bilingualismusforschung. Das ist natürlich ein kleiner Schatten auf diese ganze „Mehrsprachigkeit ist toll“-Geschichte. Böttger: Absolut. Kratzmann: Also ich bin da ein bisschen op- timistischer, zumindest für unsere Studien. Gade: Das ist schön! (lacht, Gelächter). Kratzmann: Unsere Stichprobe aus den Kin- dertageseinrichtungen in Gebieten mit vie- len mehrsprachig aufwachsenden Kindern zeigt, dass wir tatsächlich Kinder haben aus – ich möchte das Wort Schichten vermeiden – Familien mit unterschiedlichem sozio- ökonomischem Status. Der Mittelwert des sozioökonomischen Status stimmt ziemlich genau überein mit dem was wir insgesamt so in Deutschland haben. Wir sind leider noch in der Erhebung, aber wir werden auch für Kinder mit niedrigem sozioökonomischen Status ein bisschen weitreichendere Aussa- gen treffen können. Und vielleicht noch ein anderer Punkt: Ge- rade solche Kinder mit niedrigerem sozio- ökonomischem Status profitieren besonders stark davon, wenn man ihre Erstsprache in die Einrichtung integriert, also in das päd- agogische Konzept der Einrichtung einbaut und eben versucht anhand ihrer Erstspra- chen die Verknüpfung mit und den Aufbau der Zweitsprache herzustellen. Von daher wäre da gerade die Integration der Erstspra- che und das Aufgreifen dieser Sprache eine sinnvolle Sache. Böttger: Es ist dann die Frage, wie man das macht. Generell scheint sich aus Sicht der Di- daktik klar zu manifestieren, dass wir viel zu viel erklären und zwar bereits im frühen Al- ter. Wir müssen einfach intuitivere Möglich- keiten finden – das tun wir ja mit der Erst- sprache. Wenn die Grundlage dieser intuiti- ven Aufnahme gelegt ist, dann hält das eine Zeit lang an. Am Ende der Adoleszenz hat man das nicht mehr und dann stellt man fest, dass das erwachsene Sprachenlernen wieder ganz anders funktioniert: Da wird mehr ex- plizit gelernt, da wird kognitiver gelernt, da wird übrigens auch schneller gelernt und da ist das Sprachenlernen lebenslang möglich – und zwar auf höchstem Niveau. Auch da ist noch eine intuitive Sprachverwendung sehr wohl möglich. Also man kann nicht sagen, früheres Sprachenlernen ist besser. Es ist an-