Extrablatt Ausgaben Februar 2018 Extrablatt Kanton Schwyz | Page 7
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Interview mit Nationalrat Jean-François Rime
Kommentar
Verträge mit der EU dürfen kein
Klumpenrisiko werden! Kohäsionsmilliarde
wofür?
Nationalrat und Unternehmer Jean-François Rime warnt vor der willfährigen Unterwer-
fung unter ein EU-Diktat durch vollständige Harmonisierung der Rechtssysteme. Er lebt
in Bulle, ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Seit Mai 2012 ist er Präsident
des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Letzten November weilte EU-Kommissi-
onspräsident Jean-Claude Juncker auf
Staatsbesuch in Bern. Der Himmel hing
voller Geigen. Angeblich. Bundespräsi-
dentin Doris Leuthard war hin und weg.
Juncker flötete von «Freundschaft» und
«Kaiserwetter». Dafür erntete er Zusa-
gen in der Höhe von 1,3 Milliarden Fran-
ken. Leuthard bekräftigte stolz, dass
man das Geldgeschenk «ohne Verknüp-
fung politischer Interessen» spreche,
also ohne Gegenleistung.
Als Präsident des Schweizerischen
Gewerbeverbandes mit 300’000 Un-
ternehmen im Rücken stehen Sie mit
Blick auf die Aussenwirtschaftspolitik
vor fast historischen Herausforderun-
gen. Was ist zu tun oder zu lassen, um
die wirtschaftlichen Stärken zu för-
dern?
Unsere Stärken im globalen Umfeld
sehe ich dank hoher Qualität in der In-
novationskraft und Wettbewerbsfähig-
keit, weiter in der Standortattraktivität
und in der Effizienz und Produktivität.
So heben wir uns vom Mittelmass ab.
Diese Stärken gilt es zu bewahren und
zu fördern. Auf keinen Fall dürfen wir
die Verantwortung für unseren wirt-
schaftlichen Erfolg ans Ausland delegie-
ren. Es wäre verheerend, von dort die
Lösung unserer Probleme zu erwarten.
und zwar auf Gegenseitigkeit, gilt rich-
tigerweise die Hauptaufmerksamkeit.
Dabei müssen wir auch auf die Abhän-
gigkeit von der EU achten, weil wir
sonst ein Klumpenrisiko schaffen. Die
volkswirtschaftlichen Möglichkeiten
und Chancen der Schweiz reichen weit
über den EU-Raum hinaus. Ich erinne-
re daran, dass die Schweiz 2013 als ers-
tes Land Europas ein Freihandelsab-
kommen mit der Volksrepublik China
unterzeichnen konnte.
Und wie soll sich die Aussenwirt-
schaftspolitik im Verhältnis zur EU
positionieren?
Es gilt vor allem, die Vorteile und die
guten Bedingungen der bilateralen
Verträge mit der EU zu pflegen und
weiter zu entwickeln. Herausgefordert
sind jetzt mehr denn je die verhand-
lungsstarken Kräfte unserer Wirt-
schaftsdiplomatie. Nicht Überheblich-
keit oder Arroganz helfen uns, sondern
selbstbewusste Besinnung auf unsere
Stärken. So wird man als Verhand-
lungspartner ernst genommen. Bittstel-
ler, die mit vorauseilendem Gehorsam
vorgehen, haben verloren, bevor sie den
Sitzungstisch in Brüssel erreichen. Gift
für unseren Wirtschaftserfolg sind auch
die unsäglichen Swiss-Finish-Regulie-
rungen. Als Musterknaben befolgen wir
diese hausgemachten Knebelvorschrif-
ten punktgenau, nur um unsern Ver-
handlungspartnern zu gefallen, aber
wir schwächen uns selber damit.
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen
des von der EU so dringend gewünsch-
Wo sehen Sie Ansatzpunkte, um mit
dieser Strategie zum Erfolg zu kom-
men?
Ich nenne zwei Stichworte: Franken-
stärke beziehungsweise Euroschwäche
und Regulierungskosten. Weil die
Schweiz keinen direkten Einfluss auf
die EU-Probleme hat, müssen wir den
Hebel anderswo ansetzen. In den Un-
ternehmen wurde bereits ausserordent-
lich viel getan. Die Politik ist hingegen
noch im Verzug. Dies wegen der selbst
verursachten, viel zu hohen Regulie-
rungskosten. Seit 2010 wissen wir, dass
wir uns damit nur behindern und
strangulieren. Vermeidbare und über-
flüssige Regulierungskosten fressen
rund zehn Milliarden Franken unseres
Bruttoinlandprodukts weg. Seit 2013
liegen Pläne in der Schublade des Bun-
desrates, um diese hausgemachte Be-
nachteiligung gegenüber der Ausland-
konkurrenz abzufedern.
Trifft die Vermutung zu, dass sich der
Bundesrat vor allem auf die Bezie-
hungen zur EU zu konzentrieren
scheint, oder täuscht dieser Eindruck?
Ganz und gar nicht! Der EU als dem
wichtigsten Handelspartner der Schweiz,
ten institutionellen Rahmenabkom-
mens mit der Schweiz?
Ich warne vor der willfährigen Unterwer-
fung un ter ein EU-Diktat durch vollstän-
dige Harmonisierung der Rechtssysteme.
Das würde unseren globalen Handlungs-
spielraum zunichte machen und unsere
Position dauerhaft schwächen. Denn
vielfach ist es richtig und besser, wenn wir
anders handeln und uns anders entwi-
ckeln als die EU. Wir würden mit einem
Rahmenabkommen nach Vorstellungen
der EU als bedeutungsloser Kleinstaat
sang- und klanglos untergehen, ohne der
EU beizutreten. Die bessere Alternative
sehe ich in der sorgfältigen Pflege der bi-
lateralen Abkommen, weil uns dieses
Vertragssystem Rechtssicherheit garan-
tiert. Die bilateralen Verträge sind Ver-
träge auf Augenhöhe. Kein Partner ist
dem anderen unterstellt, kein Partner
muss Regulierungen oder die Gerichts-
barkeit des anderen übernehmen. Damit
das so bleibt, haben wir unsere Verant-
wortung selber wahrzunehmen und die
direkte Demokratie, die uns Selbstbe-
stimmung sichert zu schützen.
Wussten Sie, dass ... Scherbenhaufen
Mittlerweile liegt Leuthards Diplomatie
des Geldverteilens in Scherben. Die Ge-
schenke brachten nichts. Katzenjammer
folgt auf Kaiserwetter. Junckers Gesäu-
sel entpuppt sich als getarnter Stich in
den Rücken der Bundespräsidentin.
Brüssel macht nicht Freundschafts-,
sondern, wen wunderts, Interessenpoli-
tik: Leuthards Kumpel Juncker will die
Schweiz gewaltsam in eine institutionel-
le Zwangsehe mit seiner EU hebeln,
fremde Richter inbegriffen.
… die Schweiz einer der wichtigsten
Handelspartner der EU ist?
Obwohl die EU auf der ganzen Welt Handel
treibt, war die Schweiz auch im Jahr 2016
erneut der drittwichtigste Warenhandels-
partner der Europäischen Union. Ganze
7,7% (264 Milliarden Euro) des Gesamt-
warenverkehrs der EU fanden im Aus-
tausch mit der Schweiz statt. Die Spitzen-
plätze wurden belegt von China (15,2%)
und den USA (17,7%). Damit ist die
Schweiz als Warenhandelspartner für die
EU wichtiger als Russland (5,5%), die Tür-
kei (4,2%) oder Japan (3,6%). Erpressung
Konkret: Die EU verlangt, dass wir künf-
tig automatisch europäisches Recht
übernehmen. Im Zweifelsfall soll der
Europäische Gerichtshof entscheiden.
Weigert sich die Schweiz, droht Brüssel
mit Schikanen gegen den Finanzplatz.
Immerhin wissen wir jetzt, was Jun-
ckers EU unter Freundschaft versteht.
Es ist die Freundschaft eines Mafiapa-
ten, der dir freundschaftlich den Arm
bricht, wenn du dich seinen Forderun-
gen widersetzt.
… die Schweiz mehr Arbeitslose hat
als Deutschland?
Gemäss dem Internationalen Arbeitsamt
(ILO) liegt im Jahr 2016 die jahresdurch-
schnittliche Jugend-Erwerbslosigkeit in
der Schweiz mit 8,6% höher als in
Deutschland mit 7%. Gleiches gilt für die
Erwerbslosenquote im Jahr 2016, die für
die Schweiz 5% und für Deutschland
4,1% beträgt. Unredlichkeit
Jetzt rächt sich das jahrelange Doppel-
spiel des Bundesrats und seiner Diplo-
maten. Denen in Brüssel erzählten sie,
man werde die widerspenstige Schweiz,
bilateral, Stück für Stück doch noch ir-
gendwie in die EU heran- bzw. hinein-
führen. Gegenüber den Schweizern sag-
te man, das Ziel sei die bilaterale
Unabhängigkeit. Jetzt hat die EU die
Schummelei bemerkt und ist erzürnt.
Man kann es fast verstehen.
… das Produktivitätswachstum in der
Schweiz seit Einführung der vollen
Personenfreizügigkeit negativ ist?
Das Produktivitätswachstum ist in der
Schweiz seit 2007 insgesamt sogar nega-
tiv. In der Dekade davor verzeichneten
wir noch ein jährliches
Wachstum von knapp 2
Prozent (BCA Research
2017).
Verena Herzog,
Nationalrätin,
Frauenfeld
Volkswille? Direkte Demokratie? Abstimmungsentscheide? – Für EU-Brüssel
ist der Wählerwille vor allem eines: Störend!
Was will das EU-Rahmenabkommen?
Ende 2012 teilte die EU der Schweiz mit, weitere bilatera-
le Verhandlungen kämen nur noch in Frage, wenn sich
die Schweiz mit einem institutionellen Rahmenabkom-
men stärker in die EU einbinde. Wer Zugang zum Bin-
nenmarkt haben wolle, müsse bedingungslos heutiges
und künftiges EU-Recht akzeptieren und sich dem EU-
Gerichtshof unterstellen. Dieser entscheidet im Streitfall
abschliessend, was zu Sanktionen (Strafmassnahmen)
führen kann. Für die Schweiz hätte ein solches Rahmen-
abkommen schwerwiegende Auswirkungen:
• Ob ein EU-Gesetz auch die bilateralen Verträge mit der
Schweiz betrifft, entscheidet allein die EU. Gegebenen-
falls müsste die Schweiz alle EU-Gesetze übernehmen,
die auch die bilateralen Verträge mit der Schweiz betref-
fen. Beim Abschluss der bilateralen Abkommen wurde
durch die Schweiz der damalige Stand des EU-Rechts
übernommen. Seither wurde das EU-Recht weiterent-
wickelt. Aus Brüsseler Sicht entsprechen heute manche
Abkommen nicht mehr dem neuesten EU-Recht. ge Gegenleistung für den Zugang zum EU-Binnenmarkt
hätte die Schweiz in Zukunft der EU jährliche Beiträge
abzuliefern.
• Wenn es zu Konflikten über die Auslegung der bilatera- • Das Abkommen ist kein Vertrag zwischen gleichbe-
• Statt der bisherigen «Kohäsionsmilliarden» als freiwilli- Eine solcher «Freundschaftsvertrag» zur Einbindung der
Schweiz in die EU ist nicht vereinbar mit der direktdemo-
kratischen Schweizer Staatsform und darum von Volk
und Ständen - der obersten Instanz des Landes - mit aller
Kraft zu bekämpfen.
len Verträge kommt, entscheidet abschliessend der EU-
Gerichtshof. Die Schweiz müsste ohne Mitsprache bei
der Urteilsfindung die Entscheide dieses parteiischen
Gerichts anerkennen und vollziehen. Sollte die Schweiz
einem Entscheid des EU-Gerichts nicht Folge leisten,
könnte die EU Strafmassnahmen verhängen. Die heuti-
gen bilateralen Abkommen nennen keine Gerichte, wel-
che im Streitfall entscheiden. Bei Konflikten werden
Differenzen ohne Androhung von Sanktionen auf
diplo matischer Ebene ausdiskutiert.
rechtigten Partnern «auf Augenhöhe», sondern ein ver-
kappter Unterwerfungs- oder Kolonialvertrag. Auch
wenn noch nicht alle Details zum Rahmenabkommen
bekannt sind, zeigt sich bereits jetzt, dass der Schweiz
nur Pflichten auferlegt, aber keine Rechte eingeräumt
werden sollen.
Wie weiter?
Wie weiter? Der Bundesrat muss gegen-
über Brüssel endlich Klartext reden: Die
Schweiz will gute Be ziehungen zur EU,
aber wir wollen keinen Beitritt, keine
Einrahmung, keine automatische
Rechtsübernahme und keine fremden
Richter. Wir wollen auch keine 1,3 Milli-
arden an Länder verteilen, die dank dem
Sponsoring ihre Steuern senken und
unsere Firmen abwerben können. Wir
wollen unsere Zuwanderung wieder sel-
ber steuern!
Keine Zwangsheirat
Die EU wird keine Freude haben, aber
das ist nicht so schlimm. Die EU will viel
von uns, aber wir wollen nichts, was uns
Brüssel geben könnte. Deshalb unser
Rat ins Bundeshaus: Tief durchatmen,
standhaft bleiben; gute Beziehungen
immer, aber bitte keine Zwangsheirat
mit der Europäischen Union. Juncker
wird dieses Freundschaftsangebot ver-
kraften.
Nationalrat
Roger Köppel,
Verleger und
Chefredaktor
Weltwoche,
Küsnacht (ZH)