Extrablatt Ausgaben Februar 2018 Extrablatt Kanton Freiburg (D) | Page 7

Kommentar
Kohäsionsmilliarde wofür ?
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Interview mit Nationalrat Jean-François Rime

Verträge mit der EU dürfen kein Klumpenrisiko werden !

Nationalrat und Unternehmer Jean-François Rime warnt vor der willfährigen Unterwerfung unter ein EU-Diktat durch vollständige Harmonisierung der Rechtssysteme . Er lebt in Bulle , ist verheiratet und hat drei erwachsene Söhne . Seit Mai 2012 ist er Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes .
Als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes mit 300 ’ 000 Unternehmen im Rücken stehen Sie mit Blick auf die Aussenwirtschaftspolitik vor fast historischen Herausforderungen . Was ist zu tun oder zu lassen , um die wirtschaftlichen Stärken zu fördern ? Unsere Stärken im globalen Umfeld sehe ich dank hoher Qualität in der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit , weiter in der Standortattraktivität und in der Effizienz und Produktivität . So heben wir uns vom Mittelmass ab . Diese Stärken gilt es zu bewahren und zu fördern . Auf keinen Fall dürfen wir die Verantwortung für unseren wirtschaftlichen Erfolg ans Ausland delegieren . Es wäre verheerend , von dort die Lösung unserer Probleme zu erwarten .
Wo sehen Sie Ansatzpunkte , um mit dieser Strategie zum Erfolg zu kommen ? Ich nenne zwei Stichworte : Frankenstärke beziehungsweise Euroschwäche und Regulierungskosten . Weil die Schweiz keinen direkten Einfluss auf die EU-Probleme hat , müssen wir den Hebel anderswo ansetzen . In den Unternehmen wurde bereits ausserordentlich viel getan . Die Politik ist hingegen noch im Verzug . Dies wegen der selbst verursachten , viel zu hohen Regulierungskosten . Seit 2010 wissen wir , dass wir uns damit nur behindern und strangulieren . Vermeidbare und überflüssige Regulierungskosten fressen rund zehn Milliarden Franken unseres Bruttoinlandprodukts weg . Seit 2013 liegen Pläne in der Schublade des Bundesrates , um diese hausgemachte Benachteiligung gegenüber der Auslandkonkurrenz abzufedern .
Trifft die Vermutung zu , dass sich der Bundesrat vor allem auf die Beziehungen zur EU zu konzentrieren scheint , oder täuscht dieser Eindruck ? Ganz und gar nicht ! Der EU als dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz , und zwar auf Gegenseitigkeit , gilt richtigerweise die Hauptaufmerksamkeit . Dabei müssen wir auch auf die Abhängigkeit von der EU achten , weil wir sonst ein Klumpenrisiko schaffen . Die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und Chancen der Schweiz reichen weit über den EU-Raum hinaus . Ich erinnere daran , dass die Schweiz 2013 als erstes Land Europas ein Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China unterzeichnen konnte .
Und wie soll sich die Aussenwirtschaftspolitik im Verhältnis zur EU positionieren ? Es gilt vor allem , die Vorteile und die guten Bedingungen der bilateralen Verträge mit der EU zu pflegen und weiter zu entwickeln . Herausgefordert sind jetzt mehr denn je die verhandlungsstarken Kräfte unserer Wirtschaftsdiplomatie . Nicht Überheblichkeit oder Arroganz helfen uns , sondern selbstbewusste Besinnung auf unsere Stärken . So wird man als Verhandlungspartner ernst genommen . Bittsteller , die mit vorauseilendem Gehorsam vorgehen , haben verloren , bevor sie den Sitzungstisch in Brüssel erreichen . Gift für unseren Wirtschaftserfolg sind auch die unsäglichen Swiss-Finish-Regulierungen . Als Musterknaben befolgen wir diese hausgemachten Knebelvorschriften punktgenau , nur um unsern Verhandlungspartnern zu gefallen , aber wir schwächen uns selber damit .

Was will das EU-Rahmenabkommen ?

Ende 2012 teilte die EU der Schweiz mit , weitere bilaterale Verhandlungen kämen nur noch in Frage , wenn sich die Schweiz mit einem institutionellen Rahmenabkommen stärker in die EU einbinde . Wer Zugang zum Binnenmarkt haben wolle , müsse bedingungslos heutiges und künftiges EU-Recht akzeptieren und sich dem EU- Gerichtshof unterstellen . Dieser entscheidet im Streitfall abschliessend , was zu Sanktionen ( Strafmassnahmen ) führen kann . Für die Schweiz hätte ein solches Rahmenabkommen schwerwiegende Auswirkungen :
• Ob ein EU-Gesetz auch die bilateralen Verträge mit der Schweiz betrifft , entscheidet allein die EU . Gegebenenfalls müsste die Schweiz alle EU-Gesetze übernehmen , die auch die bilateralen Verträge mit der Schweiz betreffen . Beim Abschluss der bilateralen Abkommen wurde durch die Schweiz der damalige Stand des EU-Rechts
Volkswille ? Direkte Demokratie ? Abstimmungsentscheide ? – Für EU-Brüssel ist der Wählerwille vor allem eines : Störend !
übernommen . Seither wurde das EU-Recht weiterentwickelt . Aus Brüsseler Sicht entsprechen heute manche Abkommen nicht mehr dem neuesten EU-Recht .
• Wenn es zu Konflikten über die Auslegung der bilateralen Verträge kommt , entscheidet abschliessend der EU- Gerichtshof . Die Schweiz müsste ohne Mitsprache bei der Urteilsfindung die Entscheide dieses parteiischen Gerichts anerkennen und vollziehen . Sollte die Schweiz einem Entscheid des EU-Gerichts nicht Folge leisten , könnte die EU Strafmassnahmen verhängen . Die heutigen bilateralen Abkommen nennen keine Gerichte , welche im Streitfall entscheiden . Bei Konflikten werden Differenzen ohne Androhung von Sanktionen auf diplo matischer Ebene ausdiskutiert .
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen des von der EU so dringend gewünschten institutionellen Rahmenabkommens mit der Schweiz ? Ich warne vor der willfährigen Unterwerfung unter ein EU-Diktat durch vollständige Harmonisierung der Rechtssysteme . Das würde unseren globalen Handlungsspielraum zunichte machen und unsere Position dauerhaft schwächen . Denn vielfach ist es richtig und besser , wenn wir anders handeln und uns anders entwickeln als die EU . Wir würden mit einem Rahmenabkommen nach Vorstellungen der EU als bedeutungsloser Kleinstaat sang- und klanglos untergehen , ohne der EU beizutreten . Die bessere Alternative sehe ich in der sorgfältigen Pflege der bilateralen Abkommen , weil uns dieses Vertragssystem Rechtssicherheit garantiert . Die bilateralen Verträge sind Verträge auf Augenhöhe . Kein Partner ist dem anderen unterstellt , kein Partner muss Regulierungen oder die Gerichtsbarkeit des anderen übernehmen . Damit das so bleibt , haben wir unsere Verantwortung selber wahrzunehmen und die direkte Demokratie , die uns Selbstbestimmung sichert zu schützen .
Wussten Sie , dass ...
… die Schweiz einer der wichtigsten Handelspartner der EU ist ? Obwohl die EU auf der ganzen Welt Handel treibt , war die Schweiz auch im Jahr 2016 erneut der drittwichtigste Warenhandelspartner der Europäischen Union . Ganze 7,7 % ( 264 Milliarden Euro ) des Gesamtwarenverkehrs der EU fanden im Austausch mit der Schweiz statt . Die Spitzenplätze wurden belegt von China ( 15,2 %) und den USA ( 17,7 %). Damit ist die Schweiz als Warenhandelspartner für die EU wichtiger als Russland ( 5,5 %), die Türkei ( 4,2 %) oder Japan ( 3,6 %).
… die Schweiz mehr Arbeitslose hat als Deutschland ? Gemäss dem Internationalen Arbeitsamt ( ILO ) liegt im Jahr 2016 die jahresdurchschnittliche Jugend-Erwerbslosigkeit in der Schweiz mit 8,6 % höher als in Deutschland mit 7 %. Gleiches gilt für die Erwerbslosenquote im Jahr 2016 , die für die Schweiz 5 % und für Deutschland 4,1 % beträgt .
… das Produktivitätswachstum in der Schweiz seit Einführung der vollen Personenfreizügigkeit negativ ist ? Das Produktivitätswachstum ist in der Schweiz seit 2007 insgesamt sogar negativ . In der Dekade davor verzeichneten wir noch ein jährliches Wachstum von knapp 2 Prozent ( BCA Research 2017 ).
Verena Herzog , Nationalrätin , Frauenfeld
• Statt der bisherigen « Kohäsionsmilliarden » als freiwillige Gegenleistung für den Zugang zum EU-Binnenmarkt hätte die Schweiz in Zukunft der EU jährliche Beiträge abzuliefern .
• Das Abkommen ist kein Vertrag zwischen gleichberechtigten Partnern « auf Augenhöhe », sondern ein verkappter Unterwerfungs- oder Kolonialvertrag . Auch wenn noch nicht alle Details zum Rahmenabkommen bekannt sind , zeigt sich bereits jetzt , dass der Schweiz nur Pflichten auferlegt , aber keine Rechte eingeräumt werden sollen .
Eine solcher « Freundschaftsvertrag » zur Einbindung der Schweiz in die EU ist nicht vereinbar mit der direktdemokratischen Schweizer Staatsform und darum von Volk und Ständen - der obersten Instanz des Landes - mit aller Kraft zu bekämpfen .

Kommentar

Kohäsionsmilliarde wofür ?
Letzten November weilte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf Staatsbesuch in Bern . Der Himmel hing voller Geigen . Angeblich . Bundespräsidentin Doris Leuthard war hin und weg . Juncker flötete von « Freundschaft » und « Kaiserwetter ». Dafür erntete er Zusagen in der Höhe von 1,3 Milliarden Franken . Leuthard bekräftigte stolz , dass man das Geldgeschenk « ohne Verknüpfung politischer Interessen » spreche , also ohne Gegenleistung .
Scherbenhaufen Mittlerweile liegt Leuthards Diplomatie des Geldverteilens in Scherben . Die Geschenke brachten nichts . Katzenjammer folgt auf Kaiserwetter . Junckers Gesäusel entpuppt sich als getarnter Stich in den Rücken der Bundespräsidentin . Brüssel macht nicht Freundschafts- , sondern , wen wunderts , Interessenpolitik : Leuthards Kumpel Juncker will die Schweiz gewaltsam in eine institutionelle Zwangsehe mit seiner EU hebeln , fremde Richter inbegriffen .
Erpressung Konkret : Die EU verlangt , dass wir künftig automatisch europäisches Recht übernehmen . Im Zweifelsfall soll der Europäische Gerichtshof entscheiden . Weigert sich die Schweiz , droht Brüssel mit Schikanen gegen den Finanzplatz . Immerhin wissen wir jetzt , was Junckers EU unter Freundschaft versteht . Es ist die Freundschaft eines Mafiapaten , der dir freundschaftlich den Arm bricht , wenn du dich seinen Forderungen widersetzt .
Unredlichkeit Jetzt rächt sich das jahrelange Doppelspiel des Bundesrats und seiner Diplomaten . Denen in Brüssel erzählten sie , man werde die widerspenstige Schweiz , bilateral , Stück für Stück doch noch irgendwie in die EU heran- bzw . hineinführen . Gegenüber den Schweizern sagte man , das Ziel sei die bilaterale Unabhängigkeit . Jetzt hat die EU die Schummelei bemerkt und ist erzürnt . Man kann es fast verstehen .
Wie weiter ? Wie weiter ? Der Bundesrat muss gegenüber Brüssel endlich Klartext reden : Die Schweiz will gute Beziehungen zur EU , aber wir wollen keinen Beitritt , keine Einrahmung , keine automatische Rechtsübernahme und keine fremden Richter . Wir wollen auch keine 1,3 Milliarden an Länder verteilen , die dank dem Sponsoring ihre Steuern senken und unsere Firmen abwerben können . Wir wollen unsere Zuwanderung wieder selber steuern !
Keine Zwangsheirat Die EU wird keine Freude haben , aber das ist nicht so schlimm . Die EU will viel von uns , aber wir wollen nichts , was uns Brüssel geben könnte . Deshalb unser Rat ins Bundeshaus : Tief durchatmen , standhaft bleiben ; gute Beziehungen immer , aber bitte keine Zwangsheirat mit der Europäischen Union . Juncker wird dieses Freundschaftsangebot verkraften .
Nationalrat Roger Köppel , Verleger und Chefredaktor Weltwoche ,
Küsnacht ( ZH )