Business World Wieder mehr „ Fake-President “ -Fälle
Wirtschaftskriminelle surfen weiterhin auf der Homeoffice-Welle und „ Social Engineering ” bleibt bei Betrügern ein Kassenschlager . Besonders die Betrugsmasche Zahlungsbetrug ( Payment Diversion ), bei der Zahlungsströme umgeleitet werden , verzeichnete 2022 laut der Allianz Trade in Deutschland Schadensstatistik mit + 29 % im Vergleich zum Vorjahr einen deutlichen Anstieg bei den Fallzahlen . Bei der Höhe der Schäden war es mit + 33 % sogar ein Drittel mehr als noch 2021 . Der Trend hält auch im bisherigen Jahresverlauf an : 2023 dürften die Fallzahlen nach Schätzungen von Allianz Trade auf Basis des bisherigen Jahresverlauf um weitere rund 15 % zunehmen , bei den von Unternehmen gemeldeten Schäden um 21 %.
„ Spannend ist , dass Fake- President-Betrugsfälle bei Wirtschaftskriminellen wieder in Mode kommen “, sagt Rüdiger Kirsch , Betrugsexperte bei Allianz Trade . „ In den letzten Jahren haben Fallzahlen stagniert und die durchschnittliche Schadenshöhe ist sukzessive gesunken . Nun deutet sich hier eine Trendwende an : 2022 gab es 15 % mehr Fälle als im Vorjahr und die gemeldeten Schäden stiegen sogar um 38 %. 2023 zeichnet sich bisher ein ganz ähnliches Bild mit + 17 % bei den Fallzahlen und + 24 % bei den gemeldeten Schäden der Unternehmen . Die meisten Fälle liefen nach dem ganz klassischen Schema ab – waren aber sehr gut gemacht . Und das war noch vor ChatGPT . Mit neuen KI-Anwendungen dürfte es für Betrüger noch leichter werden , den richtigen Ton zu treffen und die Mitarbeitenden so zu manipulieren , dass sie entsprechende Zahlungen anweisen .“
„ Innentäter “ richten weiterhin die meisten und größten Schäden an Die meisten und vor allem die größten Schäden richten allerdings noch immer die sogenannten „ Innentäter “ an , also die eigenen Mitarbeitenden eines Unternehmens . Das Verhältnis hat sich zuletzt laut Allianz Trade Schadensstatistik allerdings verschoben – insbesondere bei den Fallzahlen : 2022 haben Innentäter rund 57 % der Fälle verursacht und waren für zwei Drittel ( 73 %) der Schäden verantwortlich . 2023 waren es im bisherigen Jahresverlauf mit 51 % nur noch gut die Hälfte der Fälle , aber weiterhin 69 % der gemeldeten Schäden . Die höchsten Schäden richten laut der Statistik weiterhin gut ausgebildete männliche Führungskräfte , etwa Mitte 40 an , die seit mindestens 10 Jahren im Unternehmen sind .
Weiße Weste als Grundvoraussetzung „ Wirtschaftsstraftäter sind ‚ Latecomer to crime ‘, also Spätzünder bei der kriminellen Karriere “, sagt Prof . Dr . Hendrik Schneider , Rechtswissenschaftler und Kriminologe . „ Das hat mehrere Gründe . Ein Uni-Absolvent hätte zum Beispiel gar nicht die Befugnisse , Transaktionen mit hohen Geldbeträgen anzuweisen . Ein Manager mit langer Betriebszugehörigkeit weiß hingegen , wie der Hase läuft , wo Nischen und Kontrolldefizite sind und hat die notwendigen Befugnisse . Da ist bei dem einen oder anderen die Verlockung groß , eine günstige Gelegenheit auszunutzen . In eine solche Führungsposition kommen allerdings nur selten Menschen , deren polizeiliches Führungszeugnis Eintragungen aufweist . Das heißt : Eine bis dato weiße Weste ist für die Weiße-Kragen- Täter die Grundvoraussetzung .“
Vier Tätertypen Grundsätzlich lassen sich die Wirtschaftskriminellen in zwei
Kategorien und in vier Tätertypen einordnen . Zum einen gibt es einen Unterschied zwischen Gelegenheitssuchern und Gelegenheitsergreifern . Die einen suchen proaktiv nach Schwachstellen , und die anderen reagieren auf eine Gelegenheit . Hinzu kommen personale Risikofaktoren . „ Wir unterscheiden vier Tätertypen : Der Täter mit einem wirtschaftskriminologischen Belastungssyndrom , der Krisentäter , der Abhängige und der Unauffällige “, sagt Schneider . „ Auch bei der Frequenz gibt es einige Unterschiede . Das erste Mal ist entweder tatsächlich eine einmalige Sache – oder aber ein Schrittmacher in die Kriminalität . Beim ersten Mal ist die Hemmschwelle oft hoch . Aber es gibt ein Erfolgslernen und einen Gewöhnungseffekt . Je öfter man lügt oder betrügt , desto geringer ist das Unwohlsein . Irgendwann läuten die Alarmglocken nicht mehr und es läuft dann quasi von selbst . Solange die Fassade und die Tarnung intakt sind , merken Täter oft gar nicht , wie kriminell sie sind , weil es sich durch dieses schrittweise Abrutschen gar nicht so kriminell anfühlt – das kommt oft erst beim Gerichtsprozess .“ Dieses Erfolgslernen deckt sich mit der Allianz Trade Schadensstatistik : Zu Anfang werden häufig zum Beispiel eher kleinere Beiträge veruntreut – mit der Zeit und zunehmendem „ Erfolg “ werden kriminelle Energie und die Beträge zunehmend größer .
Prävention ist ein Balance-Akt und ein Generationen-Thema Bei der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität bleiben gute Kontroll- und Compliance- Systeme , saubere Prozesse und Sensibilisierungsmaßnahmen wie zum Beispiel Trainings für Unternehmen das A und O , denn sie minimieren die Tatgelegenheiten . Dabei ist es wichtig , permanent mitzudenken ,
Die Wirtschaftskriminalität ist weiterhin hoch . Foto : Pixabay
welche neuen Risiken in Zukunft entstehen könnten , durch die Digitalisierung , zunehmende Cyberangriffe , neue Technologien , künstliche Intelligenz wie beispielsweise ChatGPT . „ Das ist tatsächlich auch ein Generationen-Thema “, sagt Schneider . „ Deshalb ist es wichtig , auch junge , technologieaffine Mitarbeitende im Boot zu haben , die sich der damit verbundenen Risiken bewusst sind . Das gilt im Übrigen sowohl für Compliance als auch für Aufsichtsräte . Man kann auch einfach einen Selbsttest machen und es ausprobieren . Schicken sie doch mal eine ChatGPT-Mail in die eigene Organisation . Damit identifizieren sie gnadenlos die eigenen Schwachstellen bei Prozessen und Kontrollmechanismen . Sie können dann nachjustieren , bevor es zu finanziellen Schäden kommt .“
Neue Technologien , neue Betrugshorizonte Dennoch : Die Betrugsmaschen dürften sich in Zukunft ebenso rasant beschleunigen wie der technologische Fortschritt . „ KI-Anwendung eröffnen auch Kriminellen ganz neue Betrugshorizonte “, sagt Kirsch . Trotzdem gibt es Mittel und Wege , mit denen man Betrügern ganz leicht das Handwerk legen kann : Offenheit , eine gute Kommunikation und Fehlerkultur sowie flache Hierarchien . Ein kritisches Hinterfragen von Mitarbeitenden auch bei eiligen Zahlungsanweisungen ist essenziell , das Handeln „ auf Autopilot “ hingegen gefährlich . „ Ein Anruf beim echten Chef genügt , und der Betrug fliegt sofort auf “, sagt Kirsch .
38 edelstahl aktuell | Ausgabe 7 | Oktober 2023