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AKTUELL

„ RUSSLAND HÄTTE MEHR ZU VERLIEREN “

Die russische Volkswirtschaft würde durch eine Entkoppelung ihrer Handelsbeziehungen von den USA und ihren Partnern langfristig deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen als die der Alliierten . Russlands Wirtschaftsleistung würde in einer Modellierung auf längere Sicht jährlich um knapp zehn Prozent geringer ausfallen , als wenn die Handelsbeziehungen fortbestünden . Die Alliierten hätten dagegen in diesem Zeithorizont deutlich geringere Einbußen zu beklagen . Diese Einschätzungen ergeben sich aus einer Modellsimulation , die jetzt in einem gemeinsamen Arbeitspapier von Forschern des Kiel Instituts für Weltwirtschaft ( IfW Kiel ) und des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts ( WIFO ) veröffentlicht wurde .
„ Ein Handelskrieg zwischen Russland sowie den USA und ihren Verbündeten würde Russlands Wirtschaft langfristig empfindlich treffen . Die Alliierten dürften zwar kurzfristig ebenfalls zum Teil stark betroffen sein , auf längere Sicht haben sie aber im modellhaft simulierten Fall insgesamt nur eine um jährlich 0,17 Prozent geringere Wirtschaftsleistung zu befürchten “, sagt Alexander Sandkamp , Handelsforscher am IfW Kiel und der Kieler Christian-Albrechts-Universität .
Die Berechnungen wurden mit dem KITE-Modell ( Kiel Institute Trade Policy Evaluation ) vorgenommen . Das Modell kann simulieren , wie sich Handelsströme langfristig anpassen , wenn internationale Lieferbeziehungen unterbrochen sind , und wie sich das auf die Wachstumsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft auswirkt . Die kurzfristigen Effekte gegenseitiger Sanktionen , die in der Regel auf beiden Seiten zu Einkommensverlusten führen , sind dabei nicht abgebildet . Das Modell simuliert eine Verdoppelung von Handelsbarrieren abseits von Zöllen ( nichttarifäre Handelshemmnisse ), bildet aber nicht aktuell beschlossene Sanktionspakete ab .
Der Grund für die ungleiche Verteilung der Kosten liegt vor allem in der
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„ Sanktionen zeigen kurzfristig meist wirtschaftliche , aber keine politische Wirkung . Halten sie lange an und sind umfassend , kann sich ihr politisches Wirkungspotenzial vergrößern . Die Simulationsergebnisse geben einen Eindruck , was langfristig für beide Seiten auf dem Spiel steht : Nach einer Anpassungsphase im Welthandel wird Russland deutlich geschwächt dastehen , der Schaden für die Alliierten ist dagegen überschaubar “, sagt Gabriel Felbermayr , Direktor des WIFO .
Allerdings sind die Kosten der Simulation zufolge auch bei den Alliierten sehr ungleich verteilt . Stärker betrof-
fen wären langfristig osteuropäische Länder wie Litauen ( im Modellfall : -2,5 Prozent ), Lettland ( -2,0 Prozent ) und Estland ( -1,1 Prozent ). Deutschland und Österreich müssten mit Verlusten in Höhe von 0,4 Prozent bzw . 0,3 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts rechnen , die USA lediglich mit Verlusten in Höhe von 0,04 Prozent . Diese Zahlen zeigen die stärkere Verflechtung Russlands mit der EU .
Als Folge des Konflikts könnte Russland zwar seinen Handel mit anderen Ländern wie China ausweiten und insbesondere mehr in diese Länder exportieren . Im Jahr 2020 gingen knapp 14,6 Prozent der russischen Exporte nach China , allerdings kamen nur knapp 2,8 Prozent der chinesischen Importe aus Russland . Selbst wenn Russland nun vermehrt nach China exportiert , dürften die Auswirkungen auf China sich in Grenzen halten . Ähnlich sieht es bei den russischen Importen aus . So kamen knapp 23,7 Prozent der russischen Importe aus China . Gleichzeitig gingen jedoch nur knapp 2 Prozent der chinesischen Exporte nach Russland . Insgesamt würde sich das Realeinkommen in China daher im Modell lediglich um 0,02 Prozent jährlich erhöhen . Wirtschaftlich wäre China also nicht der große Krisengewinner .