Realsatire
DAS PFEFFER 7
Mein Name ist Programm, ich stehe meistens aufrecht und halte Wache. Mal bin ich auf dem Amt, beobachte mit stechendem Blick, horche mit spitzem Ohr und berichte darüber. Am liebsten verfolge ich die Handlungen der seltsamen Spezies Mensch. Ich werde Euch die Geschichten so erzählen, wie sie sich zugetragen haben- auch wenn sie manchmal nur schwer zu ertragen sind.
Vor kurzem aus dem warmen Afrika nach Papenburg gezogen, benötige ich eine Wohnung und ein wenig Hilfe bei der Orientierung in diesem neuen Land, in einer fremden Stadt. Auf dem Einwohnermeldeamt sagt man mir, ich solle ein soziales Amt aufsuchen. Ich denke, welch ´ schönes Wort! Ein Amt, wo das Soziale im Vordergrund steht!
Dort angekommen, konfrontiert mich eine sogenannte Sachbearbeiterin direkt mit ganz viel Papier. Antragsformulare nennt sie das. Während die Frau die Anträge sucht, erklärt sie mir nebenbei, dass sie eine Koryphäe auf diesem Gebiet sei. Das Wort ist mir fremd. Im Duden, den ich extra eingepackt habe, steht die Übersetzung: Es bedeutet „ die Spitze“ oder „ der Gipfel“. Sie nennt mir die ungefähre Summe, die ich nun für vier Wochen Übergangszeit bekommen soll. Ich frage leise, wie das Leben mit der Summe funktionieren soll, wenn doch ein Brot, wie ich gestern feststellte, schon 3,50 Euro kostet. „ Wir sind hier nicht bei Krösus, sondern bei Hartz IV“, freut sich der Gipfel.
Zuhause angekommen, suche ich nach dem, was die Frau so lustig gefunden haben könnte. Ach so, der Peter Hartz, der das einst eingeführt hat, hat Schmiergeld von 2,9 Millionen Euro veruntreut und ist verurteilt. Vielleicht war das nur ein Lächeln aus Verlegenheit, und sie schämt sich in Wirklichkeit, die Gesetzesvorlagen eines Verbrechers umzusetzen, denke ich mitfühlend.
Beim nächsten Termin sitzt, so würden wir in meiner Heimat Afrika sagen, ein Stagiaire, ein Lernender, ich glaube, hier nennt man es Praktikant im Büro der Spitze. Meine Kontoauszüge der letzten sechs Monate muss ich abgeben, obwohl gesetzlich nur drei gefordert sind. Das habe ich nachgelesen. Aber die Spitze sagt schnell: „ Die brauchen wir. Das ist ein neues Gesetz, wegen der Dönerheinis.“ Ich frage: „ Wer sind die Dönerheinis?“- „ Na, die Libanesen,
Darf ich mich vorstellen?
Mein Name ist: Erdmann, Felix Erdmann.
so nennen wir die hier.“ Ich frage mich, was sie über uns Afrikaner denken mag.
Ich höre nicht mehr, was sie von Dönerbuden erzählt. Ich denke an den Zeitungsartikel, den ich im Zug gelesen hatte. Von Attentaten eines Trios, den sogenannten „ Dönermorden“. Mir ist unklar, warum hier Menschen einfach Speisen zugeordnet werden, und ein Begriff wie Mord einfach angehängt wird. Und frage mich, was der junge Mann neben mir wohl denkt. In meiner Heimat gilt, dass gerade bei jungen Menschen so ein Weltbild geprägt wird. Vielleicht gilt das hier nicht, und dieses Land ist noch nicht so weit.
Koryphäen braucht das Land oder sind die Gipfelstürmer die wahren Führer?
Ich versuche telefonisch einen Termin zu vereinbaren, und obwohl meine Sachbearbeiterin Besuch in ihrem Büro hat, nennt sie meinen vollen Namen und nennt persönliche Details von mir. Ich weise Sie auf den sogenannten Datenschutz hin. Davon hält sie gar nichts. Sie legt einfach auf. Ich bin irritiert, wieso soll ich die Gesetze eines Landes lernen, wenn sich hier selbst niemand daran hält?
Erneut auf dem sozialen Amt. Eine junge Frau kommt herein, ein Baby in einer Trage. Das Baby ist niedlich anzusehen und hübsch angezogen. Ich sehe, wie die junge Frau verliebt ihr Kind anschaut. Zufällig blicke ich nach unten und sehe ihre dünnen Halbschuhe mit vorne einem Loch im Schuh. Draußen regnet es in Strömen. Hier im Flur des sozialen Amtes gibt es kaum Spielzeug für Kinder, keine Zeitungen zum Lesen und ich sehe auch keine Toiletten.
Aber ich beobachtete, das zumindest jeder Mitarbeiter einen Schlüssel zu seinem eigenen WC hat. Nicht so an diesem Tag. Die Türen werden neu gestrichen und sind ausgehängt. Ich durchquere den Flur, als ein Mitarbeiter auf der Toilette gerade seinem Kollegen zuruft, er habe vor einem Jahr eine neue Toilettenbürste bestellt für 1,25 Euro. Diese sei nun endlich angekommen. Er freut sich. Großartig, ich freue mich mit ihm. So eine Bürste ist schon was Feines. Dann sagt er, die muss nun bis zur Rente reichen – das sind noch zwanzig Jahre. Ich frage mich, ob es auf Dauer gesund ist, hier zu arbeiten, oder ob der Sarkasmus, mit dem er die Abläufe im sozialen Amt betrachtet, eine Art Therapie für ihn ist, den Arbeitstag besser zu bewältigen.
Ich kaufe neue Gesetzesbücher in der Stadt und gehe dann zum Gipfel des sozialen Amtes. Ich erfahre, dass sie meinen Vermieter angerufen hat- obwohl die Angabe freiwillig ist und sie das aus Datenschutzgründen nicht darf. Wofür habe ich diese Bücher gekauft? Mein Kopf schwirrt. Als es um die Berechnungen geht, folgt: „ Sie brauchen sich nicht an den Chef zu wenden, der hat eh‘ von Berechnungen keine Ahnung. Ich sagte doch schon ‚ Ich bin hier die Koryphäe‘“. Ich atme gelangweilt tief durch und denke: Ein soziales Amt mit einem Gipfel an der Spitze?
Der nächste dahingeschmetterte Satz, musste ebenfalls erst einmal verdaut werden: „ Weiterhin dürfen sie Papenburg nicht länger als acht Stunden verlassen, dann müssen sie sich beim Landkreis abmelden.“ Ich denke an die junge Mutter, an die Libanesen, an diejenigen, die 40 Jahre gearbeitet, Steuern und Versicherungen bezahlt haben und sich nun nicht mehr frei bewegen dürfen. Inzwischen bin ich sicher, dass der Name des Amtes eine Art Witz sein muss.
Ich rufe meine Fallmanagerin an, die ich nun auch habe, und frage nach dieser Acht- Stunden-Regelung. Sie ist irritiert und erklärt: „ Es geht darum, dass sie sich abmelden, wenn sie in Urlaub fahren. Vielleicht habe ich ja in der Zeit einen tollen Job für sie.“ Das bezweifle ich, denn vor mir liegt eine Zeitung namens „ Fokus“ mit einer aktuellen Studie, die besagt, dass nur 7 Prozent der Hartz IV-Empfänger in den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Aber immerhin ist sie freundlich und sachlich. Das tut mir gut, schließlich bin ich in meiner Heimat mehr Wärme gewohnt, und die kommt nicht nur von der Sonne!
Ich war immer schon ein gerechter Erdmann, und langsam verstehe ich meinen Auftrag. Ich denke: Natürlich kann der Gipfel diesen Koryphäen-Unfug erzählen, weil keiner der Empfänger sich aus Scham über Hartz je outen und sich beschweren oder es gar öffentlich machen wird. Und natürlich möchte die junge, alleinerziehende Mutter ihren letzten Stolz für ihr Kind wahren, der sogenannte „ Dönerheini“ seinen Ruf und der, der nach 40 Jahren Arbeit entlassen wurde, ist eh‘ am Boden zerstört.
Ich frage mich: Braucht es diese unmenschlichen Gesetze, wenn die Hartz IV-Empfänger in Deutschland den geringsten Teil der Kosten dieses Landes ausmachen? Und was hat ein solches Verbot- die Stadt nicht verlassen zu dürfen- noch mit Demokratie zu tun? Dabei steht in all‘ den Büchern, die ich kaufte, Deutschland ist eine Demokratie. Und ist es in Ordnung, dass Mitarbeiter des Staates ihre persönliche Frustration an Schwächeren ausleben? Und ich bin immer noch verwirrt darüber, dass ein Amt einen so falschen Namen haben kann.
Mein Auftrag ist beendet, und dies ist mein Abschlussbericht, der leider viele offene Fragen nicht beantworten kann.
Gestatten: Erdmann, Felix Erdmann.
Wenn Sie eine Felix Erdmann-Geschichte zu berichten haben, melden Sie sich bei uns!
Natürlich werden wir keine Namen nennen, aber die reale Begebenheit wird im Vordergrund stehen.