Gestaltung
Deutschland feiert 100 Jahre
BAUHAUS
Vor einem Jahrhundert gegründet und heute noch von größter
Aktualität: Die Kreativschmiede Bauhaus ist auch für kreative
Fotografen eine fast unerschöpfliche Inspirationsquelle. Zur Feier
des Jahres zeigen wir Ihnen, was Sie von den Gestaltungslegenden in
Sachen Formen und Farben lernen können.
Text: Wolfgang Heinen
O
Paul Klee,
Postkarte Nr. 4
zur Bauhaus-
Ausstellung
in Weimar im
Sommer 1923
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stimmt anzunehmen, dass jeder Künstler das ‚At-
bwohl die Gründung des Bauhauses jetzt
men‘ der noch unberührten Grundfläche – wenn
100 Jahre her ist, gelten die festgelegten
auch unbewusst – empfindet und dass er mehr
Grundlagen für gute Gestaltung nach wie
oder weniger bewusst die Verantwortung gegen-
vor: Punkt, Linie, Fläche, Form, Farbe, Kontrast,
über diesem ‚Wesen‘ fühlt und sich bewusst wird,
Dynamik, Rhythmus, Schwerpunkt, Schrift, Mus-
dass eine leichtsinnige Misshandlung dieses We-
ter, Symbol, Zeichen – alle diese Begriffe wurden
sens etwas vom Mord an sich hat. Der Künstler ‚be-
damals in der Theorie analysiert und in die Praxis
fruchtet‘ dieses Wesen und weiß, wie folgsam und
umgesetzt. Daraus ergab sich unter anderem eine
‚beglückt‘ die Grundfläche die richtigen Elemente
neue avantgardistische Fotografie, die sich durch
in rechter Ordnung aufnimmt.“ Will sagen: Eine
Motive der Industriekultur, extreme Perspektiven,
leere Seite im CEWE FOTOBUCH ist der Beginn
die Beschäftigung mit Oberflächenbeschaffenheit
eines kreativen Schaffensprozesses, bei dem die
und Materialeigenschaften auszeichnete. Aber wel-
verwendeten Elemente (Fotos, Schrift, Grafik) nicht
che Rolle spielt die Bauhaus-Fotografie heute? Was
als Einzelteile wirken, sondern in ihrer Beziehung
können wir von den Thesen und Entwicklungen
untereinander als Teile der gesamten Doppelseite.
von damals für die aktuelle Fotopraxis lernen?
Das nennt man dann „Formbeziehungen“: Diese
Das sogenannte „Neue Sehen“ war vor 200 Jah-
entstehen durch die Anordnung von Formen auf
ren so etwas wie eine visuelle Revolution. Schräge
einer Grundfläche und entscheiden
Perspektiven, dynamische Blickfüh-
wesentlich über Wirkung und Aus-
rungen, angeschnittene Motive: Es
WALTER GROPIUS
geht nicht mehr darum, die Wirklich-
1919 wurde Walter Gropius zum Direktor des druck des Fotobuchs.
Wir fotografieren zwar keine For-
keit auf einem Foto naturgetreu ab-
„Staatlichen Bauhauses in Weimar“ ernannt.
men,
sondern Motive – aber in je-
zubilden, sondern sie individuell und
Neuartig war vor allem die Ausbildung, bei
dem
unserer
Motive ist eine der
neu zu interpretieren. Dies jedoch
der ein Handwerker und ein Künstler die
Grundformen
enthalten: Eine Blüte
nicht einfach so nach gestalterischer
Ausbildung gemeinsam leiteten. Für Gropius
entspricht
einem
Kreis oder einem
Lust und Laune, sondern nach kom-
war das Bauhaus ein intellektuelles Labor,
Punkt,
ein
Berg
lässt
sich formal auf
positorischen Grundprinzipien, die vor
dessen Ergebnis erst erfunden werden sollte.
ein Dreieck reduzieren, ein Haus
allem der Maler Wassily Kandinsky
sieht aus wie ein Rechteck, ein Ge-
formuliert hat. Sein Buch „Punkt und
sicht entspricht mehr oder weniger der Form eines
Linie zu Fläche“ ist auch heute noch eines der wich-
Ovals. Das heißt fürs CEWE FOTOBUCH: Wir ab-
tigsten Standardwerke in der Ausbildung zu krea-
strahieren das Motiv auf seine innere Grundform,
tiven Berufen. Bauhaus-Lehrer Kandinsky hat sich
um diese dann auf der Grundfläche der Doppel-
auch in Sachen Fläche und damit übertragbar auch
seite zu einem harmonischen, spannenden Ganzen
zur Fotobuch-Gestaltung geäußert: „Es ist aber be-
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