Bücher über Interreligiöse Spiritualität, Meditation und Universaler Sufismus Die Erleuchtung des Schattens - Leseprobe | Page 31
– I. Prolog : Dem Lehrer begegnen –
Der Krishna-Archetyp beinhaltet eine direkte Identität mit der
Unschuld jugendlichen Begehrens und jugendlicher Liebe, während
Bacchus ein erwachsener Mann ist, der diesen Impulsen als Instrument
dient.
Aber in der Bhagavad Gita ist Krishna der vollendete Meister,
wie er Arjuna anleitet, den Kampf des Lebens ohne Anhaftung an
Sentimentalität zu kämpfen. Das weibliche und das männliche Prinzip,
in Sufibegriffen Jemal und Jelal, wird in Krishnas jeweiliger Beziehung
mit den Gopis und Arjuna gezeigt. Bei den Milchmädchen agiert Krishna
mit Liebe und Entzücken, bei Arjuna ermuntert er zum Gebrauch des
Schwertes, bis der Prinz sein Geburtsrecht spiritueller Souveränität
gewinnt. In beiden Geschichten ist Krishna der Held. Wie kann das sein?
Es ist so, weil Krishna der Meister beider Wege ist, des weiblichen und
des männlichen, in der Hinduterminologie Bhakti und Jnana genannt.
In diesen Geschichten geht es nicht um irgendeinen Glückspilz, der
aufwacht und sich von schönen jungen Frauen umringt sieht, oder um
einen jungen Soldaten, der seine Feinde niederschlägt, bis er die Welt
unter Kontrolle hat – obwohl, wenn wir genau hinschauen, es Teile in
uns gibt, die es genau so haben wollen. Was die Geschichten bedeuten,
ist, d ass wir auf der weiblichen Seite Empfindungen des emotionalen
Feingefühls, der Liebe und des Nährens haben und auf der männlichen
Seite Empfindungen des ernsthaften Willens, sinnvolle Ziele zu
erreichen. Wir müssen beide Seiten würdigen, weiblich und männlich,
da die beiden Hälften der Psyche, wenn sie in heiliger innerer Hochzeit
vereint sind, die Ganzheit weiser Liebe formen.
Wenn wir nun zum Madzub kommen, gilt es, klar darüber sein,
dass wir über eine Seele sprechen, die unrettbar in die Dimension der
spirituellen Essenz getaucht ist, welche die „Nacht der Macht“ genannt
wird. Die Sufilegende von Leila und Majnun zeigt die Verfassung des
Madzubs: ein ausgesprochenes Wrack in der Persönlichkeit, bis er seine
geliebte Leila findet. Der Name Majnun bedeutet „wahnsinnig“ oder
„verrückt“, der Name Leila bedeutet „dunkle Nacht“.
Bevor Majnuns Seele die „dunkle Nacht“ der spirituellen Ewigkeit
betritt, verhält er sich wie besessen.
Es gibt eine wunderbare Geschichte in Attars „Konferenz der Vögel“.
Majnun weint, während er den Staub der Straße wieder und wieder
durch seine Finger rieseln lässt. Ein Freund fragt ihn, was er da tue. „Ich
suche Leila“ sagt er. „Aber Majnun“, antwortet der Freund, „wie kannst
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