Ausgebrannt? Rettungspläne für die Demokratie 2/2021 - Page 4

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Tobias SPÖRI

Marietta Le – Ein Gesicht der neuen Stadtpolitik in Budapest

Seit 2019 wird die ungarische Hauptstadt von einem grün-liberalen Bürgermeister regiert . Wie sich der politische Wechsel in der Stadtverwaltung widerspiegelt , veranschaulicht der Politikwissenschaftler Tobias SPÖRI anhand der Veränderungskraft von QuereinsteigerInnen wie Marietta Le .
Seit den Lokalwahlen im Herbst 2019 hat sich einiges in der ungarischen Hauptstadt Budapest gewandelt . Der bis dahin regierende István Tarlós ( Fidesz ) wurde nach zwei Amtsperioden in einer knappen Wahl von Gergely Karácsony abgelöst . Karácsony trat als Spitzenkandidat einer » Anti-Fidesz « -Koalition an , die neben seiner grünen Partei » Dialog für Ungarn « auch eine Reihe an liberalen , grünen und sozialdemokratischen Parteien umfasst . Um einen erneuten Sieg von Fidesz zu verhindern , verzichtete sogar die extrem rechte Jobbik-Partei auf die Nominierung einer eigenen Person und trug somit zum Erfolg von Karácsony bei . Karácsony erzielte bei der Wahl 50,9 % der Stimmen . Amtsinhaber Tarlós landete mit 44,1 % auf dem zweiten Platz .
» Ein besseres , offeneres Budapest « Parteiübergreifende Koalitionen gegen die auf nationaler Ebene regierende Fidesz sind im immer autoritärer werdenden Ungarn keine Seltenheit mehr . Vielmehr ist es bemerkenswert , was sich seit der Wahl 2019 in Budapest demokratiepolitisch getan hat . Die Stadt setzt nun vermehrt auf die Beteiligung der Bevölkerung und implementiert eine Reihe neuer demokratiepolitischer Projekte , wie etwa einen Klimarat oder einen BürgerInnenhaushalt . Mitangestoßen hat das Marietta Le . Sie ist seit Jänner 2020 die Beraterin des Bürgermeisters zum Thema politische Partizipation und leitet seit November 2020 auch die entsprechende Abteilung .
Dr . Tobias Spöri ist Mitglied der Forschungsgruppe Osteuropastudien der Universität Wien und lehrt am dortigen Institut für Politikwissenschaft zu Demokratisierung , politischer Partizipation sowie Zentralund Osteuropa . Er forscht zudem als Research Fellow am Berliner Think Tank d | part und ist in verschiedenen Projekten zu Demokratie und politischer Bildung aktiv .
Ein Gesicht des Wandels Marietta Le steht für eine neue Generation von Menschen , die seit der Wahl 2019 in der städtischen Verwaltung von Budapest arbeiten . Sie studierte Kommunikationswissenschaft an der Budapester ELTE-Universität sowie Soziologie und Sozialanthropologie an der Central European University , die mittlerweile von Ungarn nach Wien zwangsübersiedelt ist . Marietta Le hat keine klassische Karriere in der Verwaltung hinter sich , sondern ist als Quereinsteigerin in die Stadtverwaltung gekommen . Nach einer kürzeren Periode als Journalistin gründete sie 2012 das Online-Tool Járókelő ( zu deutsch : FußgängerIn ). Dieses ermöglicht der Bevölkerung Straßenschäden zu fotografieren und den Behörden umgehend zu melden . Durch diese Art der digitalen Beteiligung , auch Crowdsourcing genannt , können die BürgerInnen selbst dazu beitragen , Mängel in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu beheben . Zudem arbeitete Le auch in Großbritannien für Unternehmen , die auf ähnliche Aspekte sogenannter Schwarmintelligenz , digitaler Kommunikation und auf die direkte Zusammenarbeit von Bevölkerung und Behörden setzen .
Demokratische Innovationen in Budapest Ihre Erfahrungen und Kompetenzen aus dem digitalen Aktivismus und der urbanen Stadtplanung setzt Le nun für die Stadt Budapest ein . Diese hat sich nach der Wahl 2019 das Ziel gesetzt , sich mehr um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu kümmern , deren Anliegen aktiv anzuhören und die Stadt generell » klimafit « zu machen . So ist es wenig überraschend , dass eines der ersten politischen Projekte des grünen Bürgermeisters die Errichtung von neuen Radwegen in der Stadt war . Dies war jedoch erst der Auftakt , um die Stadt für viele lebenswerter zu machen . Wenn Marietta Le über ihre Arbeit spricht , fällt oft der Begriff » partizipative Wende «, die sie stark selbst miteingeleitet hat . Um über die lokalen Auswirkungen des Klimawandels zu debattieren und auch Lösungsvorschläge zu finden , wurde ein Klimarat bestehend aus BewohnerInnen Budapests eingerichtet . Dafür versendete die Stadt 10.000 Einladungen an repräsentativ ausgewählte BewohnerInnen der Stadt . Von diesen meldeten 350 ihr Interesse an der Mitarbeit am Klimarat an . 50 Personen wurden schließlich von der Stadt ausgewählt . Gemeinsam debattierten sie dann Probleme und arbeiteten an Lösungen , so dass sich die Bevölkerung direkt an der Klimapolitik der Stadt beteiligen konnte .
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