ATM Prospekt - Info Magazin | Page 70

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Wie sind Sie dann ausgerechnet zur Tiermedizin gekommen ? Tierarzt war mein zweiter Traumberuf . Als ich die Aufnahmeprüfung für das Tiermedizinstudium in Wroclaw bestanden hatte , stand für mich fest , dass ich diesen Weg gehen würde . Nachdem ich in meiner Schulzeit übrigens ein echter Lehrer-Schreck gewesen war , entwickelte ich mich an der Uni zu einem akzeptablen Studenten . Meine Eltern hatten sich meine Zukunft allerdings anders vorgestellt : Sie wollten , dass ich Zahnmedizin studieren und später ihre Praxis übernehmen sollte . Aber statt in Mündern zu bohren , untersuchte ich Rinder – rektal – über 2.000 Mal in einem Jahr . Aber das war mir ehrlich gesagt auch lieber .

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Und doch haben Sie den Tierarztberuf an den Nagel gehängt und sich der Tiernaturheilkunde zugewandt . Warum ? Rückblickend gab es da kein einzelnes auslösendes Ereignis . Das Ganze beruhte eher auf einem Prozess , einer Art Reifeprozess . Ich habe viele Jahre als Tierarzt im Zoo gearbeitet sowie in der Groß- und Kleintierpraxis . Hier wurden wir immer wieder mit Fällen konfrontiert , die wir nicht lösen konnten und bei denen es fast schon sittenwidrig gewesen wäre , sie weiter mit den Mitteln der Schulmedizin zu behandeln und Geld dafür zu nehmen .
Weil wir nicht weiter wussten , schickten wir die Leute zum Tierheilpraktiker , manchmal nur , um sie loszuwerden . Und dann , irgendwann , wurden sie wieder in der Praxis vorstellig , aber wegen etwas ganz anderem , einer Impfung zum Beispiel oder einer kleinen Verletzung . Was das einst unlösbare Problem betraf , so waren die Tiere gesund ! Wir fragten : Hey , was ist passiert , was habt ihr gemacht ? Und die Leute antworteten : Wieso , Sie haben doch gesagt , wir sollen zum Heilpraktiker gehen !?

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Unfassbar war manchmal für uns , dass Tiere nach der einmaligen Gabe weniger Globuli oder nach ein paar Akupunktursitzungen in spektakulärer Geschwindigkeit alle Beschwerden losgeworden waren . Derartige Geschichten geschahen immer wieder . Und schließlich tauchte meine alte Leidenschaft für die Pflanzenheilkunde wieder auf . Ich begann , mich intensiv mit Phytotherapie und Homöopathie zu beschäftigen , nahm wieder an Kräuterwanderungen teil und hatte auf einmal „ Blut geleckt “. Witzig daran ist , dass ich von Kräutern so besessen war , dass ich jedes Pflänzchen in getrocknetem Zustand erkannte – sogar in Pulverform –, aber auf der „ grünen Wiese “ kein Auge dafür hatte und sprichwörtlich alles zertrampelte , wonach wir eigentlich suchten .
Was hat Sie bewogen , die Akademie für Tiernaturheilkunde zu gründen ? An der Tierärztlichen Hochschule in Gießen und an einigen Tierheilpraktikerschulen gab es ein paar Studenten , die von meiner Leidenschaft Wind bekamen und Praktika absolvieren wollten . Das wurden bald so viele , dass ich das nicht mehr bewältigen konnte . Also formierten sich die Studenten zu einer Klasse , und ich unterrichtete . Eine Tierheilpraktikerschule fragte mich dann als Dozent an , aber mir war der praktische Part der Ausbildung zu wichtig , um mich auf Theorie zu beschränken . Ich gründete dann die Norddeutsche Tierheilpraktikerschule . Diese wurde später in Akademie für Tiernaturheilkunde umbenannt .
Worin bestehen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Tierheilpraktiker ? Ich betrachte die Tierheilpraktiker heute als Leute , die ein Kulturgut pflegen , es verbessern – auch durch empirische Studien – und weitergeben .

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Dank der kurativen Tätigkeit der Tierheilpraktiker außerhalb der Medizin eröffnen sich komplementäre Hilfen für Mensch und Tier , wobei viele Naturheilverfahren ursprünglich sogar aus der Medizin stammen und auf breiter Front eingesetzt wurden . Eine Herausforderung sind heute die vielen neuen Verfahren . Jedes erfordert dabei eine eigene Methodik , die der Tierheilpraktiker beherrschen muss .
Was zeichnet einen guten Tierheilpraktiker aus bzw . woran können Tierhalter einen solchen erkennen ? Man darf sich heute nicht erlauben , als Tierheilpraktiker zu arbeiten , ohne auch tiermedizinisches Fachwissen zu besitzen . Ein Tierheilpraktiker muss wissen , was er behandelt , da hinter diversen Symptomen zig Erkrankungen stecken können . Um diese zu identifizieren , sind solide tiermedizinische Kenntnisse unerlässlich . Allerdings ist der Weg der Schulmedizin nicht der einzige , der zur Heilung zur Verfügung steht , und das ist einem Tierheilpraktiker sehr bewusst . Insbesondere ist die Strategie der Unterdrückung von Symptomen nicht die seine .
An der ATM versuchen wir diesbezüglich eine echte „ Erziehung “ unserer Studenten . Wir bilden sie dazu aus , so lange zu forschen , bis sie sozusagen „ die Kranken der Krankheit “ im individuellen Patienten ermittelt haben .
Unsere Absolventen sind eine Art „ Barfuß-Ärzte “, die sprichwörtlich mit allen Sinnen diagnostizieren und therapieren – riechen , spüren , palpieren etc . – und nicht immer gleich zu bildgebenden Verfahren Zuflucht nehmen müssen .
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