Da wo die Stühle wachsen – oder: ein neuer Weg
In aller Kürze: Schon bald wachsen im
Osten Augsburgs, im Wittelsbacher Land,
ganze Möbelstücke auf einer Plantage!
Das klingt natürlich erst einmal komisch.
Immerhin wächst ja das Holz für jedes
Möbelstück irgendwann einmal auf einer
Plantage. Das stimmt. Aber es gibt einen
Unterschied: diese Möbelstücke werden
in ihrer endgültigen Form, vom ersten Tag
an, aus einer einzigen Pflanze gezogen.
Was passiert denn – vereinfacht dargestellt
– bei der konventionellen Möbelherstellung, bis wir als Kunden einen Stuhl oder
einen Tisch, in den eigenen vier Wänden
stehen haben? Zunächst müssen Bäume
gepflanzt werden. Da manche Baumarten schneller wachsen als andere, werden
vor allem schnell wachsende Gehölze wie
Fichten gepflanzt. Dadurch verändert sich
die natürliche Zusammensetzung unserer
Wälder dramatisch und der Artenreichtum
sinkt immer weiter. Die Zeit bis zur „Ernte“
kann aber trotzdem schon mal bis zu 50
Jahre dauern, damit ein Baum einen ausreichenden Durchmesser zur Verarbeitung
erreicht hat. Nach dem Fällen wird der
Baum, mit Hilfe von Maschinen, aus dem
Wald abtransportiert und gelagert, bis das
Holz trocken ist. Anschließend zerlegt man
den Stamm, mit Hilfe von weiteren Geräten, in Stücke oder Bretter und verarbeitet ihn weiter. Auch dafür werden wieder
Geräte eingesetzt und Kleber, Schrauben
sowie menschliche Arbeitszeit, bis am
Ende ein Möbelstück daraus geworden ist.
Aber hier endet der Weg des Möbels noch
nicht. Bis jemand das Stück aussucht und
kauft, müssen die einzelnen Produkte erst
einmal in den Einzelhandel und schließlich
in ein Geschäft in die Nähe des Kunden
gelangen, wieder durch den Einsatz von
Fahrzeugen. All dies kostet Energie und
Zeit – auf Kosten unserer Umwelt.
Was kann man also anders machen? Eine
Antwort lieferte eine uralte Technik, die bis
heute nicht nur von den Bewohnern des
nordöstlichen indischen Bundesstaates
Meghalaya in beeindruckender Weise angewendet wird, um die berühmten „lebenden Brücken“ zu bauen. Auch hier bei uns,
in vielen Gärten, ist diese Kunst in Form
von Obstspalieren zu finden: das Len-
ken, Erziehen und Veredeln von Bäumen.
Die Idee ist so simpel wie genial: warum
sollte man Pflanzen nicht einfach gleich in
der Form des gewünschten Möbelstückes
wachsen lassen? Damit würde man nicht
nur Zeit und Geld einsparen, sondern auch
eine Menge Arbeitsschritte mit Maschinen,
die wiederum Energie benötigen. Genau
mit dieser Idee startete im englischen Derbyshire der Brite Gavin Munro vor über 10
Jahren die ersten Versuche – damals noch
im Garten seiner Schwiegermutter. Selbstverständlich ist nichts so leicht, wie es sich
in der Theorie anhört, und so wurde und
wird immer noch viel an der Technik verbessert. Mittlerweile ist aus einem Traum
eine eigenständige Firma geworden: Full
Grown Ltd. Aus dem Garten wurde ein
ganzes Feld mit unterschiedlichsten Möbelstücken, Baumarten und – ganz besonders – viel ursprünglicher Natur! Denn die
Devise des Unternehmens lautet: „so viel
Maschinen und Eingriff in die Natur wie
nötig, aber so wenig wie möglich!“ Daher wird bis heute jeder Arbeitsschritt per
Hand ausgeführt. Keine großen Maschinen