Im Rampenlicht
Johnny Keggler
Übersetzung – Nina Rabler Slater
ch traf unseren ersten ‚Spotlight’ Künstler in
ihrem Studio in der Nähe der Roten Fabrik in
Wollishofen. Umgeben von Ihren jüngsten Werken, die unserer Unterhaltung zu lauschen schienen,
sass Valentyna Protsak entspannt und freundlich
lächelnd mir gegenüber und begann ihre Geschichte
zu erzählen.
Valentyna wurde in Kiew geboren und fing bereits mit vier Jahren an zu malen. Sie besuchte spezielle
Kunstkurse, nahm im Alter von sieben Jahren Unterricht an einer Künstlerschule und ging schliesslich
mit 12 Jahren auf das Kunstgymnasium in Kiew.
„Wir studierten und malten Natur, Menschen
und Modelle. Während dieser Zeit konzentrierten
wir uns auch auf plastische Anatomie, d. h. wir
zeichneten die menschliche Muskulatur und untersuchten Position und Bewegungsablauf. Durch das
Studium der Anatomie erlernt man die menschliche
Form realistischer darzustellen“, erklärt Valentyna.
„Ich studierte an einem speziellen Gymnasium
in Kiew – einer zentralen Kunstschule für die gesamte Ukraine. Wir malten jeden Tag 5 Stunden lang
und hatten anschliessend noch eine normale Schulstunde, wie z. B. Mathematik – jeden Tag der gleiche
Ablauf: 5 Stunden Malerei, gefolgt von einer Unterrichtsstunde. Malen, malen, malen – jeden Tag!
Die anderen Kunstschwerpunkte waren Bildhauerei,
Architektur und Dekoration. Die Schule war voll
von talentierten Studenten, aber ich war als angehende Künstlerin selbstbewusst genug, um zu wissen, dass ich dort hingehörte.“
Im Alter von 16 Jahren zog Valentyna mit ihren
Eltern in die Schweiz und besuchte im folgenden
Jahr die Berufsschule für Gestaltung in Zürich.
„Meine allererste Ausstellung war eine Gruppenausstellung in der Galerie Art Seefeld in Tiefen-
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„Als Kind sah ich mal jemandem zu, der nur
Tiger malte. Ich versuchte es auch, fand allerdings,
dass mir das Thema nicht gefiel. Ich hatte stattdessen damals eine Vorliebe für Vögel und Bäume, und
viele meiner Bilder aus der Zeit sind Darstellungen
ArtSuisse
en
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‚Im Rampenlicht’ ist eine Rubrik, die spezielle Künstler in
drei Ausgaben vorstellt. Die erste Ausgabe stellt den Künstler
vor, die zweite befasst sich mit den Besonderheiten ihrer oder
seiner Kunst und die dritte beschäftigt sich mit den Zukunftsvisionen und – plänen des Künstlers.
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Im Rampenlicht
Valentyna Protsak
brunnen. Ich habe einige meiner älteren Gemälde
ausgestellt, die ich in der Schule gemalt hatte. Ich
habe eine Anzahl davon verkauft, habe allerdings
noch einige meiner Bilder aus der Zeit behalten.“
Im Laufe unserer Unterhaltung zeigt mir
Valentyna einige ihrer Arbeiten, die zum Teil bis zu
ihrem sechsten Lebensjahr zurückreichen. Während
wir die Entwicklung ihres Stils und Talents studieren, bemerke ich, dass Bäume und Vögel, speziell in
ihren frühen Werken, eine besondere Rolle spielen.
„Ich glaube, dass man als Kind unbefangener
malt“, sagt sie, „weil man nicht über Stilrichtungen nachdenkt oder vorgefasste Ideen hat – Kinder
malen einfach was sie sehen.“
von Vögeln, Bäumen und Herbstimpressionen, obwohl ich eigentlich kein Fan dieser Jahreszeit bin.
Ich liebe den Sommer!“
„Heute male ich Menschen mit modischem
Stil in städtischer Umgebung“, erklärt sie weiter.
„Meine Malerei war früher realistischer, aber den
Stil, den man heute sieht, habe ich vor vier oder
fünf Jahren entwickelt, nachdem ich erkannt hatte,
was ich wirklich machen will. Ich wusste, dass es
definitiv den Schwerpunkt Mode haben musste.
Ich wollte keinen normalen Stil, und absolut nichts
‚Perfektes’. Der Wunsch, Mode bildlich darzustellen war wie eine brennende Leidenschaft, aus der
über die Jahre zahlreiche Bilder dieser Art entstanden sind. Mittlerweile habe ich einen unverkennbaren Stil entwickelt.“
Unverkennbar und sehr gefragt sind Valentynas
Kunstwerke tatsächlich. Sie haben ein einzigartiges
Flair, das zum Nachdenken anregt und im Betrachter unterbewusst ein Gefühl der Wiedererkennung
auslöst. Auch wenn dem Betrachter Darstellung und
Stil vorher unbekannt waren, scheinen unterbewusst
tiefliegende Erinnerungen wach zu werden. Und
wenn dies noch nicht surreal genug ist: Valentynas
Technik wandelt sich ständig – nicht nur im Sinne
einer Verbesserung, sondern es scheint, als wäre sie
in jeder