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+1 6 › Wolfgang Kaschuba, Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität Berlin Peu à peu Sind wir das nicht schon – jedenfalls im Vergleich zu früheren Generationen? Als Menschen, die in Europa arbeiten und reisen, ohne dabei groß darauf zu achten, was auf dem Pass steht? Stattdessen viel eher auf Interesse und Neugier, auf Geschmack und Gefallen, auf Lebenslust und Lebensstil. Dass dies so vielen Menschen möglich ist, quer über ehemalige Religions-, Währungs- und Landesgrenzen hinweg, jenseits trennender Mauern und Eiserner Vorhänge, das ist für mich etwas sehr Europäisches. Denn Europäisch wäre vielleicht genau dies: offen zu sein für Vielfältiges Moritz Baumgärtner, Jazz-Drummer bei Bonaparte und Melt Trio und Unterschiedliches; sich frei zu fühlen von vielen Zwängen lokaler wie nationaler, ethnischer wie religiöser Enge; reflektiert umzugehen mit individuellen Zuordnungen zu Stilen und Milieus, zu Gruppen und Identitäten; und sich dabei des Privilegs bewusst zu bleiben, in dieser europäischen Landschaft der Gesellschaften und Kulturen zwar Herkunftsheimaten zu besitzen, sie jedoch auch verlassen zu können. Denn abseits der Stammtische und PEGIDA-Parolen und vor allem unter den jungen Generationen, die unterwegs sind zum Erleben, Arbeiten, Studieren, ist Europa vielfach längst Alltag. Nicht als neue Supernation, sondern als offener Raum für Lebensentwürfe, in denen gleichwohl Denk- und Meinungsfreiheit, Grundrechte und Gerechtigkeitsgefühle verbindende Werte bilden können. Anknüpfend an humanistische und demokratische Traditionen der europäischen Geschichte. Nationale Eindrücke verschmelzen Für mich ist Europa eine riesige „Spielwiese“ mit vielen verschiedenen Geschichten, Klängen, Gerüchen und Geschmäckern, derer ich mich bediene, um meine Musik ehrlich und individuell zu gestalten. Viel mehr noch: Musik ist für mich gelebte Einheit. Bei Bonaparte sorgen mittlerweile mehr als 20 Künstler aus allen Ecken Europas und der Welt für einen ganz speziellen Sound – und das Melt Trio, eines meiner neuen Projekte, trägt die Verschmelzung der Stile schon im Namen. KENNEN SIE EIGENTLICH DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN SINTI UND ROMA? Das Schöne an Musik ist, dass sie nur richtig gut funktioniert, wenn wir aufhören, geldpolitische Interessen zu verfolgen und unsere Ängste überwinden. Wenn wir uns anderen Menschen und Lebensarten öffnen, sie als Inspiration zu schätzen lernen und annehmen – das heißt, wenn wir ein gemeinsames Leben leben, bei dem jeder Teilnehmer wie eine Stimme in einer Partitur seinen individuellen Klang und Ausdruck hat und zum Gesamtwohlklang beiträgt. Ob das nun die strahlende Melodiestimme ist oder nur ein einzelner Akzent, der äußerst sparsam eingesetzt wird: Alle Teile eines Ganzen können immer nur zusammen wirken und mit Respekt für einander kommunizieren. Ich habe jeden Tag mit den Grundsätzen dieses „Zusammenspiels“ zu tun. Anders gesagt: Durch mein Schaffen als Musiker werde ich Tag für Tag und Schritt für Schritt zum Europäer. Quellen: Zentralrat der Sinti und Roma, Landesverband der Sinti Hamburg, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Romane Romnja Die zwei Gruppen werden nicht nur von (fast) jedem in einen Topf geworfen, sondern auch dazu angehalten, sich besser zu integrieren. Beide Minderheiten werden in der Schlussfolgerung nicht als Teil der deutschen Nation angesehen. Obwohl sie im Fall der Sinti schon länger in Deutschland leben, als dieses selbst existiert. Das sagt die Geschichte Sinti Roma Deutsche Staatsbürger, Teilgruppe der Roma, Vorfahren seit dem 14. Jahrhundert auf deutschem Boden. Deutsche oder europäische Staatsbürger, in mehreren Phasen eingewandert. * Ab 1900 im Zuge der Industrialisierung aus Polen. Ab den 1950iger Jahren als Gastarbeiter aus Spanien, Ex-Jugoslawien, Griechenland und Türkei. Das sagen die Deutschen Ab den 1990iger Jahren, nach dem Zusammenbruch der UDSSR sowie in Folge der Jugoslawienkriege als Flüchtlinge wegen systematische Vertreibung aus dem Kosovo. Seit 2007, im Zuge der EU-Osterweiterung Teil II aus Bulgarien, Rumänien. Vorschläge der Befragten für ein gutes Zusammenleben, Auswahl von Negativbeispiele 4,6% 79,6% 49,6% 22% Bekämpfung von Leistungsmissbrauch ** Einreisebeschränkungen Abschiebung 91,3% bessere Integrationsangebote Machen Sie einen Unterschied zwischen der Gruppe der Sinti und der Roma? *Die Sprachforschung (Romanes-Linguistik) geht von einem Ursprung der Roma vor über 700 Jahren in Zentralindien aus. Roma-Interessensverbände verweisen darauf, dass ihre Urvätergeneration für sie – so wie für alle anderen Deutschen auch – keinerlei identitätsstiftende Bedeutung habe. **Die Frage ist falsch gestellt, denn niemand ist für Leistungsmissbrauch, bzw. gegen dessen Bekämpfung. Quellen: Zentralrat der Sinti und Roma, Landesverband der Sinti Hamburg, Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Romane Romnja