+3 Magazin September 2021 | Page 4

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WIR FRAGEN :

WIE VIEL SICHERHEIT

BRAUCHT DIE FREIHEIT ?

Im Jahr 2018 gab es 15.019 Arbeitsunfälle mit Augenverletzungen .
Quelle : Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung © iStock ./ ridvan _ celik
Ulrich Kelber , Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
Säule der Freiheit
Immer wieder werden neue Sicherheitsgesetze geschaffen oder bestehende erweitert . Anlass sind meist einzelne Ereignisse , die große Aufmerksamkeit erregen . Der Gesetzgeber hat die Befugnisse der Sicherheitsbehörden über Jahrzehnte kontinuierlich erweitert und immer wieder urteilte das Bundesverfassungsgericht gegen ihn . Mitunter entsteht der Eindruck , die Politik wolle schnell einen Lösungsansatz präsentieren , um Diskussionen über mögliche Versäumnisse oder Vollzugsdefizite zu verhindern . Probleme in der Vollzugspraxis lassen sich in der Regel nicht mit neuen Gesetzen lösen .
Wenn etwa nicht genug Streifenwagen im Einsatz sind oder Polizeibehörden nicht über ausreichend IT-Experten verfügen , dann lenkt ein neues Gesetz nur von diesen Problemen ab . Ich halte es für dringend geboten , dass die Regierung die schon länger geforderte Überwachungsgesamtrechnung in Auftrag gibt , die durch eine unabhängige Stelle durchgeführt werden sollte und wissenschaftlich fundiert sein muss . Dabei müssen die gesetzgeberischen Ziele in den Blick genommen und mit der Vollzugspraxis abgeglichen werden . Entscheidend ist , die gesetzlichen Regelungen übergreifend zu betrachten . Wurden die bestehenden Möglichkeiten ausschöpft ? Welche Auswirkungen haben die gesetzlichen Regelungen und die Vollzugspraxis in ihrer Gesamtheit auf die Bürgerrechte und die Freiheit ? Nur auf einer derart gesicherten Basis kann sinnvoll über neue Sicherheitsgesetze entschieden werden .
Markus N . Beeko , Generalsekretär Amnesty International Deutschland
Sicherheit muss der Freiheit dienen
„ Jede ( r ) hat das Recht auf Leben , Freiheit und Sicherheit der Person .“ Nach dem Gleichheitsgrundsatz in Artikel 1 und dem Diskriminierungsverbot in Artikel 2 stellt Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte klar : Leben , Freiheit und Sicherheit sind eng miteinander verknüpft . Die oft bemühte Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit greift zu kurz : Der Staat ist in der Pflicht , Sorge für ein Leben in Freiheit und Sicherheit zu tragen . Freiheit ist dabei Recht und Möglichkeit , frei von der Willkür anderer und
des Staates selbstbestimmt in Würde leben zu können . Sie endet , wo sie die Freiheit und Unversehrtheit anderer bedroht oder verletzt . Sicherheit muss der staatliche Schutz vor genau solchen Bedrohungen durch andere sein . Es kann nicht die Sicherheit sein , die Zuhälter , Mafiabosse , totalitäre Staatenlenker oder eine allgegenwärtige digitale Überwachung versprechen – Schutz , der nur gegen die Aufgabe von Freiheiten und Menschenrechten gewährt wird . Es ist und muss die besondere Stärke von offenen demokratischen Rechtsstaaten mit Gewaltenteilung und Minderheitenschutz bleiben , dass sie „ die Freiheit aller sichern “ und dass sich jede Freiheitseinschränkung ( Sicherheitsmaßnahme ) der ständigen Überprüfung von Notwendigkeit , Verhältnismäßigkeit und einer engen unabhängigen juristischen und parlamentarischen Überwachung stellen muss . Wie sicher wir leben , misst sich an der Freiheit , die wir haben .