+3 Magazin September 2021 | Page 9

STAAT NEU DENKEN

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Ronald de Jonge , Partner und Operating Officer Public Sector , Sopra Steria
Bund und Länder setzen die Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes ( OZG ) um . Auch auf kommunaler Ebene ist die Transformation in vollem Gange . Aus Sicht von Verwaltungskenner Ronald de Jonge , Partner und Operating Officer Public Sector bei Sopra Steria , darf der Fokus nicht darauf liegen , Leistungen einfach nur ins Digitale zu überführen . Im Interview plädiert er für einen radikaleren Umbau der öffentlichen Verwaltung – technologisch und organisatorisch . dass Bürgerinnen und Bürger online einen gewissen Komfort gewohnt sind , wie beim Interneteinkauf und Online-Banking . Genau das braucht es auch für Behördengänge – online wie offline und ohne Medienbrüche . Bei der Gestaltung der Leistungen sollten sich Bund , Länder und Kommunen somit fragen , in welchem Umfang Bürgerinnen und Bürger am Verwaltungsprozess aktiv beteiligt werden müssen , um eine Leistung zu erhalten . Ist es möglich , die Mitwirkung auf ein Minimum zu reduzieren ? Eine Verlängerung der Gültigkeit von Dokumenten ließe sich etwa automatisieren , sodass Bürgerinnen und Bürger eventuell nur ein aktuelles Foto hochladen und Daten aktualisieren müssen . Noch besser wäre es zu überdenken , ob eine Gültigkeitsverlängerung überhaupt noch notwendig ist .
Welche konkreten Weichen sollte die öffentliche Verwaltung für einen solchen Minimal-Government-Ansatz stellen ?
Zentrale Voraussetzungen sind die Vernetzung in die privaten Ökosysteme hinein , eine übergreifende Kooperation zwischen Bund , Ländern und Kommunen sowie die Öffnung bestehender Datengrenzen . Technisch betrachtet , bedeutet das eine umfassende API-Orientierung in der gesamten öffentlichen IT . Ansätze wie „ Whole-Gov-API- Approach “ sind im Ausland erprobt und wurden in diesen Ländern zu wichtigen Treibern für Smart-City-Konzepte auf Basis von Open Data und Internet of Things . Davon können wir lernen . Organisatorisch bedeutet das einen erheblichen Abbau von Hürden im Bereich der digitalen Kommunikation mit Behörden und beim Ausführen von Transaktionen wie dem Bezahlen einer Verwaltungsleistung . Zudem braucht die öffentliche Verwaltung deutlich mehr digitale Kompetenz in den eigenen Reihen und das richtige Maß an Agilität .
Wie sollte die Zusammenarbeit in und zwischen Behörden sowie Ministerien organisiert sein ?
Die Fachseite sollte in der Lage sein , IT- Fragen in einem gewissen Rahmen mitzudenken . Das erfordert ein verbindliches Maß an IT-Know-how bei allen Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern . In den Büros sollte es mehr Menschen mit Programmierkenntnissen geben . Aktuell kann rund ein Fünftel der Bürobeschäftigten kleinere Apps programmieren , so die Digital- Skills-Gap-Untersuchung der Initiative D21 . Es braucht zudem eine intelligente Verknüpfung der klassischen mit der agilen Welt . Innovation Hubs , Kollaborationsräume und Accelerators sind in der Verwaltung keine Fremdwörter . Aber : Die agilen Erprobungsräume bleiben oftmals isoliert . Spill-over-Effekte aus agilen Showcases in die Kernverwaltung finden kaum statt . Vollagile Organisationen sollten somit nicht das Ziel sein . Standardprozesse , Rechnungsprüfung , Revision , Haushalt und Mitzeichnung benötigen auch in naher Zukunft Linie und Einheit . Ressortübergreifende Lösungsentwicklung und Innovation in schwach strukturierten Prozessen sind mit agilem Mindset und agilen Methoden effektiver .
Wir plädieren deshalb für eine sogenannte Merged Bimodal Organisation . Agilität nach unserem Verständnis meint nicht „ ganz oder gar nicht “. Crossfunktional arbeitende Teams werden nur an jenen Stellen eingesetzt , an denen dies einen Mehrwert verspricht .
Mehr Informationen unter : soprasteria . com
Herr de Jonge , was fehlt Ihnen bei den aktuellen Strategien und Maßnahmen ?
Die gute Nachricht ist : Sechs von zehn Behörden und Ministerien in Deutschland stellen derzeit ihre Organisation um oder überprüfen sie . Das ergab die aktuelle Studie „ Potenzialanalyse Organisation x . 0 “ von Sopra Steria . Die Dimension einer echten Neuorganisation der öffentlichen Hand , aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger gedacht , kommt für meine Begriffe jedoch zu kurz . Jetzt besteht die Chance , staatliches Handeln radikal neu zu denken und zu organisieren . Wenn bald viele Menschen in der öffentlichen Verwaltung in den Ruhestand gehen , müssen Aufgaben neu zugeschnitten und beispielsweise Selfservice-Angebote zur Verfügung gestellt werden . Wenn wir Smart Cities und eine an Alltag und Routinen der Bevölkerung ausgerichtete Verwaltung bauen wollen , dann müssen wir heute die Weichen stellen , damit die Innovationsfähigkeit gesteigert wird .
Wie lässt sich der öffentlichen Verwaltung mehr Kundenorientierung einhauchen ?
Bürger und Unternehmen müssen den Mehrwert in der Interaktion mit Behörden deutlich spüren , sonst schaffen wir digitale Servicewüsten . Wenn laut „ eGovernment MONITOR “ der Initiative D21 drei Viertel der Menschen den Personalausweis im Scheckkartenformat besitzen , aber nur sechs Prozent die elektronische Ausweisfunktion schon benutzt haben , ist das ein klarer Auftrag , eine Reorganisation der Leistungen insgesamt anzugehen . Denn die Nutzungszahlen stagnieren , obwohl die Anwenderfreundlichkeit stetig besser wurde . Dazu kommt ,
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