+3 Magazin September 2018 | Page 8

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Rutger Bregman , Journalist und Autor
Utopie wird Realität
Es ist Zeit komplett zu überdenken , was wir unter Arbeit verstehen . Heutzutage gibt es eine Vielzahl von Menschen , die zwar hart arbeiten , aber kaum etwas zum Allgemeinwohl beitragen . Damit sind natürlich nicht Krankenpfleger oder Lehrer gemeint , sondern Berater , Banker oder Unternehmensanwälte – Menschen , die oft selbst ihren Job als ziemlich nutzlos beschreiben . Würden sie in Streik treten , es hätte kaum Auswirkungen . Der einzige Bankerstreik , den ich kenne , fand 1970 in Irland statt . Alle Experten waren sich sicher , er würde zu einem Infarkt der Wirtschaft führen . Tatsächlich passierte kaum etwas . Es ist offensichtlich , dass ein neues Verständnis von Arbeit mit dem Umdenken in der Bildung beginnt . Unser heutiges Bildungssystem ist darauf ausgerichtet , Kinder so schnell wie möglich in einen gutbezahlten Job zu bringen . Aber Geld ist kein guter Ausdruck für Werthaftigkeit . In der Zukunft sollte Schule junge Menschen nicht für die Arbeit , sondern für das Leben vorbereiten . Wie werden Historiker zukünftig
AUSBILDUNG WEITERBILDUNG BERUFLICHE REHA FERNSTUDIUM
auf unsere Zeit zurückschauen ? Wie werden sie über die Gefängnisse , die wir „ Büros “ nennen , urteilen , in denen Millionen von Menschen zwar vorgeben zu arbeiten , in der Realität aber nur Berichte schreiben , die nie-
Bruttostundenverdienst in Euro
19,87
Männer
4,43
15,44
Frauen
www . eckert-schulen . de
mand liest , und auf Facebook unterwegs sind ? Eines ist sicher : Es kann keine ökonomischen Gründe geben , die Dinge auf diese Weise anzugehen . Dahinter muss eine bizarre Ideologie stehen , oder eine Religion .
GENDER PAY GAP IM FOKUS Der Gehaltsnachteil bei Frauen hat verschiedene Ursachen
Gründe für den Unterschied
1,16
0,13
0,42
1,33
0,94
0,46
unerklärter Rest ( bereinigter Gender Pay Gap )
Bildung und Berufserfahrung
Beschäftigungsumfang
Beruf und Branche
Führungs- und Qualifikationsanspruch
sonstige Faktoren
Quelle : Statistisches Bundesamt
Mirela Puljic , Kassenwartin des heute ältesten deutschen Fußballvereins B . F . C . Germania 1888
Erfüllende Aufgabe
Ich bin seit 2012 ehrenamtlich als Kassenwartin tätig und für mich bedeutet diese Arbeit mein Leben . Angefangen habe ich im Spielbetrieb Jugend und jetzt bin ich dort Schatzmeisterin . Meine ehrenamtliche Arbeit im Verein zählt also im doppelten Wortsinn . In meiner erwerbstätigen Arbeit bin ich Verkäuferin , inhaltlich liegen Arbeit und Ehrenamt damit nah beieinander . Für mich ist mein Ehrenamt allerdings keine Arbeit : Ich muss es nicht machen , ich möchte es machen . Die Papiere durchsehen , die Kasse überprüfen , checken , ob alle Beiträge bezahlt sind – das gehört einfach zu meinem Leben dazu und ist selbstverständlich . Ich bekomme sehr viel und gebe damit etwas zurück . Mein Mann und mein Sohn spielen aktiv im Verein und wir verbringen als Familie jede freie Minute dort , auch wenn spielfrei ist . Es gibt immer etwas zu tun . Meine Freizeit ist mein Ehrenamt . Ich denke schon , dass meine Tätigkeit auch von den Vereinsmitgliedern anerkannt wird und sie zu schätzen wissen , dass wir Ehrenamtliche uns schnell um alles kümmern , was anliegt . Der erste Vorsitzende des immerhin ältesten noch bestehenden Fußballvereins in Deutschland macht das seit 50 Jahren . Er ist das Herz des
Gisela Kurz , Leserin
Richtige Adresse
Wir kommen alle auf die Welt und wir sterben alle . Warum nutzen wir nicht die Zeit dazwischen ganz egoistisch , um denen ihre Arbeit mit finanziellen Aufstockungen zu erleichtern und ihnen hohe soziale Wertschätzung zu gewähren , deren „ Nutznießer “ wir alle sind : den Müttern und den Hebammen , die uns auf die Welt bringen , und allen Kranken- und Pflegekräften , die uns den Abschied von dieser Welt erträglich machen . Reicht dafür das richtige Häkchen auf zukünftigen Wahlzetteln ?
Rolf Müller , Leser
Spüre die Kraft
Mein erster Gedanke war , dass jede Arbeit zählt . Denn ein Arbeitsplatz sorgt schließlich dafür , dass man sein Leben unabhängig führen kann . Dies gilt natürlich nur , wenn die Arbeit auch bezahlt wird . Doch je länger ich über Ihre Frage nachgedacht habe , desto mehr habe ich für mich persönlich festgestellt , dass Arbeit natürlich nicht gleich Arbeit ist . Ich selbst habe lange Zeit von einer Büroanstellung geträumt , da meine Tätigkeit körperlich sehr anstrengend war . Als ich letztlich in meinem Betrieb in die Verwaltung gewechselt bin , habe ich allerdings auch die Nachteile der Kopfarbeit und die Vorzüge der körperlichen Arbeit kennengelernt . Ich habe nämlich plötzlich auch nach Feierabend gedanklich noch oft Zeit bei der Arbeit verbracht , statt mit dem Feierabend auch wirklich die Arbeit hinter mir zu lassen . Meine Schlussfolgerung war letztlich , dass ich mich in meiner Freizeit vermehrt mit körperlicher Arbeit in unserem Garten abgelenkt habe . Und ich habe festgestellt , dass körperliche Arbeit für mich einen viel größeren Wert hatte als zuvor .
Gustav Heinrich , Leser
Aktiv bleiben
Als ich vor zehn Jahren meine Arbeit als Ingenieur verloren habe – heute bin ich 73 – war ich zu stolz , um eine Arbeit anzunehmen , die unter meiner Qualifikation lag . Ich bin in Frührente gegangen und habe die finanziellen Einbußen hingenommen . Denn diese kann ich verkraften . Aber rückblickend betrachtet bereue ich dies , denn jede Arbeit zählt .
Vereins , ohne ihn gäbe es den Verein vielleicht nicht mehr . Das könnte eine Vision sein : Ich möchte auch in 50 Jahren noch im Verein stehen . Der Wert meiner Arbeit lässt sich nicht in Geld auszahlen , sondern in dem Gefühl , dass mich das Ehrenamt einfach glücklich macht .