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Anna Listrer, Leserin
Das Ganze sehen
Die kleinste Einheit in der Gesellschaft
bildet die Familie. Doch was macht Familie eigentlich aus? Ich würde behaupten, es ist die bedingungslose Liebe, die
dazu führt, dass man sich gegenseitig
unterstützt und das eigene Wohl auch
so manches Mal hinter das des anderen
stellt. Dies lässt sich aber nicht so einfach auf einen größeren Kreis übertragen. Hier ist es eher das Bedürfnis, der
Würde der anderen Menschen auch gerecht zu werden, bis hin zu Mitleid, die
uns andere unterstützen lässt. Es kann
auch die Begeisterung für eine Sache
sein, die der Gesellschaft dient. Wenn
der Kreis aber noch größer und abstrakter wird, helfen oft nur noch Regeln
und Gesetze, durch die wir verpflichtet
werden, anderen in bestimmten Situationen zu helfen. Oder auch die Steuerabgaben, die ein Wohl für die ganze
Gesellschaft schaffen. Doch weil wir die
Personen und Gruppen, die wir damit
unterstützen, nicht persönlich kennen,
sind viele eher darauf erpicht, diese
Abgaben möglichst gering zu halten.
Durch Medien können die Gruppen,
die gestärkt werden, ein Gesicht bekommen, doch sie werden einem natürlich nie so nah sein wie die Menschen
aus dem nahen Umfeld.
WAS SIND DIE HERAUSFORDERUNGEN UNSERER ZEIT UND WO ENGAGIERT SICH DER EINZELNE?
Ergebnisse von Umfragen zu den größten Problemen von heute (links)
und den Arten des politischen und sozialen Engagements (rechts) in Deutschland
Soziale Sicherung
37
Wirtschafts- und
Finanzpolitik
29
Rentenpolitik
24
Kriminalität/Frieden/
Sicherheit
20
Umweltschutz
19
Arbeitsmarktpolitik
18
Migration/Ausländer
Thomas Krüger,
Präsident Bundeszentrale
für politische Bildung
(bpb)
Wieder mehr Diskurs
Unsere Gesellschaft wird immer vielfältiger. Verschiedene Teile dieser
Gesellschaft fühlen sich aus unterschiedlichen Gründen politisch nicht
mehr repräsentiert. Ob dieses Gefühl berechtigt ist, sei dahingestellt.
So geht es nicht weiter. Vielleicht ist
es an der Zeit, die statisch gewordene Repräsentativdemokratie durch
mehr Diskurs zu ergänzen? Unsere
Gesellschaft ist herausgefordert, ein
neues „Wir“ auszuhandeln. Demokratie ist mehr als nur das Durchsetzen
von Mehrheitsmeinungen. Sie beruht
auch darauf, Minderheitenrechte zu
garantieren und baut fest auf die Gewaltenteilung. Integration ist eine Herausforderung für alle Menschen und
nicht nur für jene, von der die Mehrheit sagt, sie müssten sich integrieren.
Auch hier gilt, was Paul Watzlawick
einst sagte: „Man kann nicht nicht
kommunizieren.“ Kontroverses muss
auch kontrovers diskutiert werden.
Für mich hieße das: mehr öffentliche
Diskussion, mehr öffentliches Abwägen und Aushandeln von Positionen und ja, auch mehr öffentlicher
Konflikt. Gute Zeiten für politische
Bildung und eine große Chance, die
Bürger wieder als aktive Demokraten
zu gewinnen. Denn warum sollten
sie sich deren Feinden motiviert entgegenstellen, wenn sie selbst nur aus
Vertrauensverlust
in die Politik
Bildungspolitik
Gesundheitspolitik
Allein, durch
persönliche Aktivität
35%
Anderes
Wirkungsfeld
26,1%
Verein
39,7%
Schule, Hochschule
23%
Kirchengemeinde,
kirchliche Gruppe
15,2%
18
Jugendorganisation,
Jugendgruppe
11,5%
12
Projekt, selbst
organisierte
Gruppe
11%
7
Reungsdienst,
freiwillige
Feuerwehr
7%
Hilfsorganisation
3,7%
4
2%
Bürgerinitiative,
Bürgerverein
2%
0
5
10 15
20
Anteil der Befragten in %
Gregor Gysi,
ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Linken im
Deutschen Bundestag
Gesellschaft für alle
Eine starke Gesellschaft zeichnet sich
durch Solidarität, ein hohes Maß an
sozialer Gerechtigkeit, die immer
auch Steuergerechtigkeit beinhalten
alter Gewohnheit an das Versprechen
von Mitsprache und Gemeinwohl
glauben? Also: Raus aus dem modernen Biedermeier! Die Schleusen auf
und den politischen Diskurs von der
Leine! Heute gilt mehr denn je: Kopf
hoch und nicht die Hände!
25
30
35
40
Partei
1,9%
Quellen: BMUB, Shell,
Umweltbundesamt, Statista
muss, aus. Nur Chancengleichheit
in der Bildung und beim Zugang zur
Kunst und Kultur, unabhängig von
Einkommen der Eltern, garantieren
Kindern und künftigen Generationen
optimale Möglichkeiten der sozialen,
demokratischen und kulturellen Teilhabe in unserer Gesellschaft. Die freie
Entfaltung der Persönlichkeit als das
Ziel eines jeden Menschen ist noch
eine Utopie, denn sie ist abhängig von
den Bildungschancen, den beruflichen
Möglichkeiten, den Verdienstmöglichkeiten jenseits von prekärer Beschäftigung, die wir überwinden müssen.
Nach neuesten OECD-Studien zeichnen sich höchst ungleiche Gesellschaften, in denen die Kluft zwischen
Armut und Reichtum besonders groß
ist, durch niedrigere wirtschaftliche
Wachstumsraten aus. Armut erweist
sich auch als wirtschaftliches Hemmnis. Der Leistungsgedanke wurde ad
absurdum geführt. Er sollte für alle
Gewerkschaft
gelten, beim Einkommen, aber auch
bei Beiträgen in Form von Steuern und
Vermögensabgaben. Das gilt auch für
weltweite Konzerne, die Steuerzahlungen vermeiden. Eine starke Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass
sie sozial Benachteiligte fördert und
Menschen integriert statt ausschließt.
Das gilt in besonderem Maße auch für
die aus Not Zuflucht Suchenden.
Max Stange, Leser
Gesunde Basis
Unsere Gesellschaft ist dadurch stark
geworden, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Weil unabhängige Gerichte entscheiden und keiner sich über
das Gesetz erheben darf. Das ist nicht
selbstverständlich.