+3 Magazin September 2016 | Page 22

+3 22 › Anna Listrer, Leserin Das Ganze sehen Die kleinste Einheit in der Gesellschaft bildet die Familie. Doch was macht Familie eigentlich aus? Ich würde behaupten, es ist die bedingungslose Liebe, die dazu führt, dass man sich gegenseitig unterstützt und das eigene Wohl auch so manches Mal hinter das des anderen stellt. Dies lässt sich aber nicht so einfach auf einen größeren Kreis übertragen. Hier ist es eher das Bedürfnis, der Würde der anderen Menschen auch gerecht zu werden, bis hin zu Mitleid, die uns andere unterstützen lässt. Es kann auch die Begeisterung für eine Sache sein, die der Gesellschaft dient. Wenn der Kreis aber noch größer und abstrakter wird, helfen oft nur noch Regeln und Gesetze, durch die wir verpflichtet werden, anderen in bestimmten Situationen zu helfen. Oder auch die Steuerabgaben, die ein Wohl für die ganze Gesellschaft schaffen. Doch weil wir die Personen und Gruppen, die wir damit unterstützen, nicht persönlich kennen, sind viele eher darauf erpicht, diese Abgaben möglichst gering zu halten. Durch Medien können die Gruppen, die gestärkt werden, ein Gesicht bekommen, doch sie werden einem natürlich nie so nah sein wie die Menschen aus dem nahen Umfeld. WAS SIND DIE HERAUSFORDERUNGEN UNSERER ZEIT UND WO ENGAGIERT SICH DER EINZELNE? Ergebnisse von Umfragen zu den größten Problemen von heute (links) und den Arten des politischen und sozialen Engagements (rechts) in Deutschland Soziale Sicherung 37 Wirtschafts- und Finanzpolitik 29 Rentenpolitik 24 Kriminalität/Frieden/ Sicherheit 20 Umweltschutz 19 Arbeitsmarktpolitik 18 Migration/Ausländer Thomas Krüger, Präsident Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Wieder mehr Diskurs Unsere Gesellschaft wird immer vielfältiger. Verschiedene Teile dieser Gesellschaft fühlen sich aus unterschiedlichen Gründen politisch nicht mehr repräsentiert. Ob dieses Gefühl berechtigt ist, sei dahingestellt. So geht es nicht weiter. Vielleicht ist es an der Zeit, die statisch gewordene Repräsentativdemokratie durch mehr Diskurs zu ergänzen? Unsere Gesellschaft ist herausgefordert, ein neues „Wir“ auszuhandeln. Demokratie ist mehr als nur das Durchsetzen von Mehrheitsmeinungen. Sie beruht auch darauf, Minderheitenrechte zu garantieren und baut fest auf die Gewaltenteilung. Integration ist eine Herausforderung für alle Menschen und nicht nur für jene, von der die Mehrheit sagt, sie müssten sich integrieren. Auch hier gilt, was Paul Watzlawick einst sagte: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Kontroverses muss auch kontrovers diskutiert werden. Für mich hieße das: mehr öffentliche Diskussion, mehr öffentliches Abwägen und Aushandeln von Positionen und ja, auch mehr öffentlicher Konflikt. Gute Zeiten für politische Bildung und eine große Chance, die Bürger wieder als aktive Demokraten zu gewinnen. Denn warum sollten sie sich deren Feinden motiviert entgegenstellen, wenn sie selbst nur aus Vertrauensverlust in die Politik Bildungspolitik Gesundheitspolitik Allein, durch persönliche Aktivität 35% Anderes Wirkungsfeld 26,1% Verein 39,7% Schule, Hochschule 23% Kirchengemeinde, kirchliche Gruppe 15,2% 18 Jugendorganisation, Jugendgruppe 11,5% 12 Projekt, selbst organisierte Gruppe 11% 7 Re‘ungsdienst, freiwillige Feuerwehr 7% Hilfsorganisation 3,7% 4 2% Bürgerinitiative, Bürgerverein 2% 0 5 10 15 20 Anteil der Befragten in % Gregor Gysi, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Linken im Deutschen Bundestag Gesellschaft für alle Eine starke Gesellschaft zeichnet sich durch Solidarität, ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit, die immer auch Steuergerechtigkeit beinhalten alter Gewohnheit an das Versprechen von Mitsprache und Gemeinwohl glauben? Also: Raus aus dem modernen Biedermeier! Die Schleusen auf und den politischen Diskurs von der Leine! Heute gilt mehr denn je: Kopf hoch und nicht die Hände! 25 30 35 40 Partei 1,9% Quellen: BMUB, Shell, Umweltbundesamt, Statista muss, aus. Nur Chancengleichheit in der Bildung und beim Zugang zur Kunst und Kultur, unabhängig von Einkommen der Eltern, garantieren Kindern und künftigen Generationen optimale Möglichkeiten der sozialen, demokratischen und kulturellen Teilhabe in unserer Gesellschaft. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als das Ziel eines jeden Menschen ist noch eine Utopie, denn sie ist abhängig von den Bildungschancen, den beruflichen Möglichkeiten, den Verdienstmöglichkeiten jenseits von prekärer Beschäftigung, die wir überwinden müssen. Nach neuesten OECD-Studien zeichnen sich höchst ungleiche Gesellschaften, in denen die Kluft zwischen Armut und Reichtum besonders groß ist, durch niedrigere wirtschaftliche Wachstumsraten aus. Armut erweist sich auch als wirtschaftliches Hemmnis. Der Leistungsgedanke wurde ad absurdum geführt. Er sollte für alle Gewerkschaft gelten, beim Einkommen, aber auch bei Beiträgen in Form von Steuern und Vermögensabgaben. Das gilt auch für weltweite Konzerne, die Steuerzahlungen vermeiden. Eine starke Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie sozial Benachteiligte fördert und Menschen integriert statt ausschließt. Das gilt in besonderem Maße auch für die aus Not Zuflucht Suchenden. Max Stange, Leser Gesunde Basis Unsere Gesellschaft ist dadurch stark geworden, dass wir in einem Rechtsstaat leben. Weil unabhängige Gerichte entscheiden und keiner sich über das Gesetz erheben darf. Das ist nicht selbstverständlich.