+3 Magazin Oktober 2015 | Page 8
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WER IST DIGITAL
SOUVERÄN?
WIR FRAGEN:
... und was ist
Ihre Meinung?
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Der BND speichert 220 Millionen Metadaten
(wer kommuniziert wann wo mit wem und
wie lange) – pro Tag.
Quelle: Zeit Online
© Marc Dozier/Corbis
Ulf Buermeyer,
Richter
am Landgericht Berlin
Digital unsouverän
„Das Internet darf kein rechtsfreier
Raum werden“ – dieser Satz ist einerseits banal und andererseits falsch. Natürlich gelten Gesetze „im Netz“ nicht
weniger als im „wahren Leben“, viele
Regelungen gelten sogar speziell für
digitale Inhalte. Wahr ist allerdings,
dass ihre Durchsetzung schwierig sein
kann – etwa gegenüber Menschen in
fernen Ländern. Aber ist das Recht generell in die Defensive geraten? Ganz
im Gegenteil: Das Netz vergisst nichts.
Wer das Netz oder auch nur ein Handy nutzt, hinterlässt Datenspuren in
einer Dichte, von der Ermittler noch
vor kurzem nicht zu träumen wagten.
Wer in den 1990er-Jahren einen Brief
schickte und keine Fingerabdrücke
hinterließ, konnte relativ sicher sein,
anonym zu bleiben – ein Briefkasten
erfasst keine Absender. Ganz anders
in der digitalen Welt: E-Mails enthalten verräterische IP-Adressen.
Mobilfunk-Provider speichern HandyPositionen mit großer Genauigkeit und
ermöglichen so komplette Bewegungsprofile. Suchmaschinen protokollieren
Suchanfragen und damit alles, was
uns über Jahre interessiert hat – ein
virtuelles Abbild der Persönlichkeit.
Staatliche Stellen können auf diese
Daten relativ leicht zugreifen, oft brauchen sie nicht einmal eine richterliche
Genehmigung. Wer digitale Medien
nutzt, gibt allzu leicht seine digitale
Souveränität auf. Weitere Einschränkungen sind daher nicht erforderlich –
im Gegenteil sollten wir überlegen, wie
wir digital wieder souveräner werden
können.
Carlo von Lynx,
Initiator von
Youbroketheinternet
Ein neues Internet
ist machbar
Massenüberwachung, Wirtschaftsspionage und Cyberkriminalität setzen
schon an den untersten Protokollschichten des Internets an. Im Konkurrenzkampf der politischen und
wirtschaftlichen Macht hat sich ein
Wettrennen ergeben, keine Schwachstellen ungenutzt zu lassen, was mehrere Grundprinzipien unserer demokratischen Verfassung außer Kraft
setzt. Die Rückeroberung der Datensouveränität erfordert eine neue Art
und Weise, wie Daten übermittelt
und verarbeitet werden. Dank neuer
Forschung ist ein sicheres Internet inzwischen technisch möglich. Es bietet:
1. durchgängige direkte Verschlüsselung von Person zu Person oder zu
Personengruppen; 2. Einschränkung
der Analyse sozialer Verhaltensmuster, Verbindungen und Interessen auf
eine verfassungsrechtlich akzeptable
Menge; 3. Authentifizierung der digitalen Identität im persönlichen Austausch oder durch gemeinsame Bekannte, nicht über Drittautoritäten;
4. dezentrale Verteilungsbäume zur
effizienten pluralistischen Vernetzung
von Milliarden von Menschen, als Ersatz für zentralisierte Cloud-Technologien; 5. konsistente Anwendung von
standardisierter freier Software sowie
eine kontinuierliche öffentliche Überprüfung des Systems durch alle hinreichend kompetenten Personen.
Europa hätte nur Vorteile daran, diesen Weg zu beschreiten.