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+2 14 WIE WOLLEN WIR ALT WERDEN? WIR FRAGEN: ... und was ist Ihre Meinung? SCHREIBEN SIE UNS EINFACH AN: www.plus-drei.de [email protected] Mehr als 74 Prozent der Österreicher planen, mindestens bis 69 sexuell aktiv zu sein. Quelle: ProSiebenSat.1 Media, 2012 © Arman Zhenikeyev/Corbis Udo Reiter (†), ehemaliger MDR-Intendant Ein selbstbestimmtes Ende Ich bin durch einen Verkehrsunfall seit 48 Jahren querschnittgelähmt. Heute bin ich 70 und habe trotz Rollstuhl privat und beruflich ein schönes selbstbestimmtes Leben hinter mir. Zwangsläufig stellt sich jetzt die Frage: Wie soll es weitergehen? Und wie soll es aufhören? Ich möchte unter keinen Umständen ein hilfloser, von anderen abhängiger Pflegefall werden. Ich möchte nicht, wie der katholische Theologe Hans Küng es einmal formuliert hat, meine letzten Lebensjahre als „Schatten meiner selbst“ dahin vegetieren. In meiner Autobiographie „Gestatten, dass ich sit- zen bleibe“ habe ich das so beschrieben: „Ich möchte nicht als Pflegefall enden, der von anderen gewaschen, frisiert und abgeputzt wird. Ich möchte mir nicht den Nahrungsersatz mit Kanülen oben einfüllen und die Exkremente mit Gummihandschuhen unten wieder herausholen lassen. Ich möchte nicht allmählich vertrotteln und als freundlicher oder bösartiger Idiot vor mich hindämmern. Und ich möchte selbst entscheiden, wann es soweit ist und ich nicht mehr will. Und wenn ich das entschieden habe, möchte ich mich ungern vor einen Zug rollen oder mir, wie das verschiedentlich empfohlen wird, eine Plastiktüte über den Kopf ziehen, bis ich ersticke. Ich möchte auch nicht in die Schweiz fahren und mich dort auf einem Parkplatz oder in einem Hotelzimmer von Mitarbeitern der Sterbehilfe ‚Exit‘ einschläfern lassen. Ich möchte bei mir zu Hause, wo ich gelebt habe und glücklich war, einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt.“ Eberhard Elbing, emeritierter Professor für Psychologie Einsam im Alter Kein Merkmal des Alterns wird so überschätzt wie Einsamkeit. Empirische Studien zeigen: Einsamkeit ist nicht das Hauptmerkmal des Alterns, außer bei sehr hohem Alter, wenn kognitives und körperliches Siechtum dominieren. Ansonsten ist Verwitwung der höchste Risikofaktor, wobei Männer konstant höhere Einsamkeit aufweisen. Länderübergreifend finden sich nur kleine Prozentsätze für deutliche Alterseinsamkeit, in Deutschland liegt sie bei circa 8,5 Prozent. Vergleiche über mehrere Jahre erbrachten sogar sinkende Einsamkeitswerte. Hierbei zeigen die 55- bis 69-Jährigen konstant die geringste Einsamkeit, die 70- bis 85-Jährigen sind die größten Gewinner eines positiven gesellschaftlichen Trends. Die Befunde signalisieren gesellschaftliche Veränderungen, die eine positive Lebensgestaltung auch im Alter erlauben. Voraussetzungen sind finanzielle Ressourcen, Bildung, passende Wohn-, Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie individuelle Biographien, die Potentiale, Kompetenzen, Ziel- und Handlungsperspektiven nutzen. Fehlen diese Voraussetzungen, verbleibt der gesellschaftliche Auftrag, Einsamkeit induzierende Defizite zu beheben und die durch Einsamkeit beeinträchtigte Lebensqualität zu bessern. Das Klischee des einsamkeitsdurchtränkten Alterns resultiert auf unzulässiger Vereinfachung komplexer Phänomene, einseitiger Auswahl negativer Beispiele und vorschneller Generalisierung von Teilaspekten.