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Lothar H . Wieler , Präsident Robert Koch-Institut ( RKI )
Gemeinsam gegen Resistenzen
Antimikrobielle Mittel sind die Grundlage vieler innovativer Therapien . Wenn sie aber nicht richtig eingesetzt werden – und das ist leider weltweit oft der Fall , egal ob bei Menschen , Tieren , in der Landwirtschaft oder der Umwelt – werden Erreger resistent und lassen sich mit bestimmten Mitteln nicht mehr behandeln . Diese sogenannten Antimikrobiellen Resistenzen ( AMR ) sind eine schleichende Pandemie , die die moderne Medizin bedroht . Was bedeutet das eigentlich ? Eine einfache Operation kann zu einer Infektion führen , die nur noch
Ruth Hecker , Vorsitzende Aktionsbündnis Patientensicherheit ( APS )
Der Zweck bestimmt den Einsatz
Heute wissen wir , dass antimikrobiellen Resistenzen jährlich weltweit etwa 600.000 , in Europa rund 30.000 und in Deutschland zwischen 2.000 und 5.000 Todesfälle zuzuordnen sind . Neben der häufigen und falschen Verordnung von Antibiotika spielen aber nicht nur die Resistenzen eine wichtige Rolle . Gleichzeitig gibt es auch Verbesserungspotenzial beim Erkennen und Behandeln von Sepsis , wofür Antibiotika von zentraler Bedeutung sind . Es gibt also ein Nebeneinander von Über- , Unter- und Fehlversorgung . Der Einsatz von Antibiotika muss generell zielgerichteter werden und wir brauchen dementsprechende Anreize für die Leistungserbringenden in den Praxen und Krankenhäusern . Auch die Weiterentwicklung von Antibiotika und die Rahmenbedingungen für ihren Einsatz sowie die Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung müssen konsequent am Ziel der rationalen Antibiotikatherapie ausgerichtet sein . Hier kommen wir vom Aktionsbündnis Patientensicherheit zum Tragen . Wir prüfen stetig , wie wir mit unseren Möglichkeiten – Vernetzung von Akteuren im Gesundheitswesen , Positionspapiere , Handlungsempfehlungen , Patienteninformationen , Round Table – zur Verbesserung der Patientensicherheit durch eine rationale Antibiotikatherapie beitragen können . „ Rational “ bedeutet in diesem Zusammenhang : Antibiotika genau dort und in der Form einzusetzen , wo sie erforderlich sind , aber nicht darüber hinaus .
schwer oder nicht mehr behandelbar ist . Das ist keine Zukunftsmusik : Schon heute gibt es weltweit pro Jahr schätzungsweise mindestens 700.000 Todesfälle infolge von Infektionen mit resistenten Erregern , Tendenz steigend . Die gute Nachricht ist , dass wir AMR nicht hilflos ausgeliefert sind . Wenn wir jetzt gemeinsam handeln , können wir die Ausbreitung von Resistenzen eindämmen oder – noch besser – ihre Entstehung von vornherein verhindern . Dafür notwendig sind ein angemessener therapeutischer Einsatz und ein gerechter Zugang zu antimikrobiellen Mitteln weltweit , gute Surveillance-Systeme und der One- Health-Ansatz : Die Gesundheit von Mensch , Tier und Umwelt sind eng miteinander verknüpft . Nur wenn alle Sektoren zusammenarbeiten , können präventive Public-Health- Maßnahmen entwickelt und auf globaler , nationaler und lokaler Ebene nachhaltig implementiert werden .
STRESSTEST Im medizinischen Fachpersonal gibt es Wissenslücken
Korrekt beantwortet Nicht sicher Falsch beantwortet Falsche Aussage Richtige Aussage
Antibiotika sind wirksam bei Virusinfektionen
Antibiotika sind wirksam bei Erkältungen und Grippe
Antibiotikaeinnahme kann Nebenwirkungen haben , wie etwa Magenprobleme und Allergien
Unnötiger Einsatz von Antibiotika macht diese unwirksam
Herbert Wensen , Leser
Lücke im System
Ich war es gewohnt , vom Arzt Antibiotika zu bekommen . Durch meinen Umzug habe ich nun einen neuen Arzt . Er erklärte mir die Nachteile von Antibiotika und warum er es mir nur , wenn es absolut notwendig sei , verschreiben werde . Diese Informationen fand ich schockierend – besonders , dass Hausärzte scheinbar für Blutuntersuchungen nur ein vorgegebenes Budget haben , eine Blutuntersuchung aber unerlässlich ist , um festzustellen , ob der Einsatz von Antibiotika sinnvoll ist . Aber neigt sich das Budget dem Ende entgegen , müssen Ärzte häufig auf gut Glück Antibiotika verschreiben . Ich frage mich : Wer gibt dieses Budget vor und wer ist so verantwortungslos ? Warum reagiert unser Gesundheitsministerium oder unsere Regierung nicht ? Und warum erhält man zu dem Thema so wenig Aufklärung ?
Gesunde Personen können antibiotikaresistente Bakterien in sich tragen
Antibiotikaresistente Bakterien können von einer Person auf die andere übertragen werden
Bei jeder mit Antibiotika behandelten Person steigt das Risiko für Antibiotikaresistenzen
0 % 20 % 40 % 60 % 80 % 100 %
U m f ra g e u n te r 18 . 5 0 6 m e d i z i n i sc h e n Fa c h k rä f te n i n 3 0 e u ro p ä i sc h e n Lä n d e r n , J a n u a r- Mä r z 20 19
Katrin Wenz , Referentin für Agrarpolitik , Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland ( BUND )
Noch immer zu viel
Jahrelang war der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung rückläufig . Die Sensibilität für das Thema ist hoch . Politische Maßnahmen wie die Datenbank , in die Betriebe ihre Antibiotikaanwendungen melden müssen , zeigen Wirkung . Dennoch sind 2020 mehr Antibiotika abgegeben worden
Quellen : EDC , Statista
als im Vorjahr – und das , obwohl deutlich weniger Nutztiere gehalten wurden . 701 Tonnen Antibiotika gingen an Tierärztinnen und Tierärzte – 31 Tonnen mehr als noch 2019 . Insbesondere die Abgabe von sogenannten Fluorchinolonen hat zugenommen . Sie gehören zu den sogenannten Reserveantibiotika , werden aber dennoch oftmals in der Geflügelmast eingesetzt . Durch den weiterhin hohen Einsatz in der Intensivtierhaltung sind Antibiotikaresistenzen ein massives Problem . Krankheitserreger können im schlimmsten Fall nicht mehr mit Medikamenten bekämpft werden . Um die Gabe von Antibiotika weiter zu redu-
Expertise zählt
Neben der Entwicklung von Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen ist für eine nachhaltige Eindämmung der Antibiotikaresistenz eine rationale und intelligente Verordnung von Antibiotika essenziell . Wie lässt sich dies effizient sicherstellen ? Unerlässlich ist die bessere Ausbildung und ärztliche Weiterbildung . Dafür sind wiederum Lehrer mit Expertise und klinischer Erfahrung gefragt . Expertise am Krankenbett und kritische Analyse durch Infektionsspezialisten werden auch gebraucht für die Entwicklung optimierter Behandlungsstrategien , gleich mit welchen innovativen Wirkstoffen – neben einer zuverlässigen , präziseren , aber auch verfügbaren Labordiagnostik . Wir haben in Deutschland eine entsprechende Antibiotic Stewardship Initiative mit Fokus auf die Krankenhausmedizin etabliert , mit der viele dieser Komponenten adressiert werden . Schwerpunkt ist die curriculare Fortbildung in rationaler Antibiotikaverordnung , die nebenberuflich machbar ist und eigene Projekte und Praxiserprobung einfordert . Zur Initiative gehört auch das Erstellen einer Leitlinie , welche Infrastruktur und Instrumente sich bewährt haben und im Krankenhausbereich empfohlen werden können . Dazu gehören auch die Förderung der Weiterbildung in Infektiologie , die Entwicklung von Qualitätsindikatoren in diesem Bereich und die Analyse von Antibiotika- Verbrauchsdaten . Die bessere Qualität der Antibiotikaverordnung , sofern diese überhaupt notwendig ist , muss Thema bleiben
Irene Mahr , Leserin
Winfried Kern , Professor für Infektiologie , Universitätsklinikum Freiburg und Mitbegründer Antibiotic Stewardship Initiative Deutschland
Warum verfolgt man nicht die in Deutschland leider nicht zugelassene , jedoch erstaunlich erfolgreiche Therapie mittels Bakteriophagen ? So könnte das Problem gelöst werden , dass sich Antibiotika zunehmend als unwirksam erweisen .
zieren , muss die neue Bundesregierung den Umbau der Nutztierhaltung endlich beginnen . Die Tiere brauchen deutlich mehr Platz . Es braucht auch weniger Nutztiere , die dafür artgerecht gehalten werden . Je weniger Tiere in einem Stall sind , desto weniger müssen auch behandelt werden , wenn ein Tier Symptome zeigt . Betriebe mit tiergerechter Haltung sollten deutlich mehr finanzielle Unterstützung erhalten . Vor allem muss umgehend der Einsatz von für den Menschen lebensrettenden Reserveantibiotika in der Intensivtierhaltung verboten werden – unsere Gesundheit steht auf dem Spiel .