+3 Magazin November 2020 | Page 8

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Baptist Gallwitz , Sprecher Deutsche Diabetes Gesellschaft ( DDG )
Hier leisten Diabetes-Abteilungen viel und dürfen nicht aus ökonomischen Gründen „ wegrationalisiert “ werden . Die über sieben Millionen
von Diabetes in Deutschland Betroffenen brauchen eine flächendeckende Versorgung , um Lebensqualität zu erhalten .
Stephan Martin , Direktor Westdeutsches Diabetes- und Gesundheitszentrum ( WDGZ ) Düsseldorf
Hilfe in der Fläche
Ein gesunder Lebensstil mit ausreichend Bewegung und gesundem Essen ist wichtig , um einem Diabetes Typ 2 vorzubeugen . Dies sind auch die ersten therapeutischen Maßnahmen , um den erhöhten Blutzucker dauerhaft zu senken und zu kontrollieren . Hierbei ist der Patient besonders gefordert , denn seine Motivation ist entscheidend für den Erfolg . Bei einem fortgeschrittenen Typ-2-Diabetes , bei dem der Körper nicht mehr ausreichend Insulin produziert , sowie bei einem Diabetes Typ 1 , der meist in frühen Lebensjahren auftritt , reicht eine Lebensstilanpassung allein nicht aus . Hier gehören die unverzichtbare Insulintherapie und mehrmals tägliche Blutzuckerkontrollen lebenslang dazu . Betroffene müssen ihre Tagesaktivitäten mit Essen , Sport und allem anderen genau planen und eigenverantwortlich mit ihrer Therapie umgehen . Diese Herausforderungen können Ängste und Unsicherheiten hervorrufen , bei denen ein Diabetes-Team und oft das soziale Umfeld helfen können . Auch hier sind Motivation , Vorausschau und Rückgriff auf gute Erfahrung für alle Menschen mit Diabetes hilfreich . Daher sollten Betroffene uneingeschränkt und nahtlos ambulante sowie stationäre medizinische und psychologische Hilfe erhalten können .
Lukas E ., Leser
Hilfe der anderen Art
Als ich mit Mitte 20 die Diagnose Diabetes bekam , war das für mich ein Schock . Zum Glück hatte ich gute Ärzte und Berater , die mir zeigten , dass ein normales Leben weiter möglich ist . Wenn mich jemand nach den Einschränkungen fragt , antworte ich : „ Wenn ich Kuchen essen möchte , nehme ich halt vorher Insulin .“ Sicher ist es in der Realität etwas komplexer , aber die Grundregeln hatte ich schnell verinnerlicht . Seit Einführung der CGM-Geräte hat man den Blutzucker live auf dem Handy und das lästige „ in den Finger piksen “ entfällt . Die Krankheit schränkt mich im Alltag kaum noch ein . Die technische Entwicklung hilft dabei enorm . Herausforderungen gibt es an ganz anderen Stellen : Wem erzähle ich wann von meiner Krankheit ? Anfangs habe ich sogar bei Dates meinen Diabetes verheimlicht . Die Erfahrung zeigt aber : Je länger man sich versteckt , desto komplizierter wird es später . Oder : Schließe ich nach der Diagnose noch eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu deutlich schlechteren Konditionen ab oder lasse ich das besser ? Fragen , bei denen kein Arzt hilft .
TYP 1 TYP 2
• 5 Prozent der Menschen mit Diabetes
• meist unter 40 Jahre
• eher schlank
• Symptome : Müdigkeit , starkes Durstgefühl , häufiger Harndrang , Acetongeruch im Atem
Autoimmunerkrankung : genaue Auslöser nicht bekannt , aber genetische Veranlagung und bestimmte Umweltfaktoren können eine Rolle spielen
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Das Immunsystem zerstört die Betazellen der Bauchspeicheldrüse .
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VOLKSKRANKHEIT DIABETES Die wichtigsten Fakten zu den beiden Erkrankungsformen
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Die Bauchspeicheldrüse kann kein Insulin bilden .
• lebenslange und regelmäßige Blutzuckerkontrolle und Insulingabe
• bislang keine Heilung möglich
URSACHEN
• 95 Prozent der Menschen mit Diabetes
• meist über 40 Jahre , zunehmend jüngere Menschen
• eher übergewichtig
• Symptome : zunächst keine Beschwerden , im späteren Stadium Müdigkeit , Schmerzen und Durchblutungsstörungen an Füßen und Händen , schlechte Wundheilung , Sehstörungen
In der Regel Übergewicht und Bewegungsmangel , erbliche Faktoren
Die Glukose kann nicht in die Zellen gelangen – der Blutzucker ist erhöht .
Claudia Langenberg , Professorin für Computational Medicine , Berlin Institute of Health ( BIH )
Den Ursachen auf der Spur
Stell dir vor , du hast Diabetes und niemand findet es heraus . Das passiert häufiger , als viele vermutlich denken . Tatsächlich lebt eine große Zahl von Menschen mit Diabetes , ohne es zu wissen . Während ein Leben mit der Diagnose Diabetes große Herausforderungen für Patienten birgt , nimmt ein Leben ohne Diagnose jede Chance zur Kontrolle der Krankheit und zur Minimierung ihrer Folgen . Das Problem ist , dass ein großer Teil dieser Menschen auch durch empfohlene , klinisch etablierte Tests nicht auffällt . Sie haben eine isolierte metabolische Störung der Zuckertoleranz , die nur durch einen aufwendigen Glukosetoleranztest entdeckt und mit schwerwiegenden Komplikationen einhergehen kann . Diese Menschen haben ein besonders hohes Risiko , zum Zeitpunkt der ( verspäteten ) Diagnose bereits irreversible Schäden , zum Beispiel ihres Sehvermögens , zu haben .
BEHANDLUNG
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Die Bauchspeicheldrüse bildet Insulin .
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Das Insulin kann nicht an der Zelle andocken .
• Diät und körperliche Bewegung können Beschwerden eindämmen
• je nach Schwere Antidiabetikaund Insulingabe
Quellen : Diabetesinformationsdienst München , DDG
Technische Neuerungen , insbesondere die Möglichkeit , selbst in einer normalen Blutprobe Tausende von Proteinen auf einmal schnell messen zu können , ermöglichen es uns jetzt , diese Information zu nutzen , um solche und andere spezifischen „ Subtypen “ des Diabetes Typ 2 in Studien aufzuspüren . Das Potenzial , Schaden zu vermeiden , ist enorm , insbesondere für ältere Menschen und andere Bevölkerungsgruppen , die häufiger als andere an diesen Diabetesformen erkranken .
Gudrun Mattes , Leserin
Wer rastet , der rostet
Um sich fit zu halten , darf Sport und Bewegung im Leben eines Diabetikers nicht fehlen . Morgens habe ich mein Ritual : Noch im Bett fange ich mit Übungen wie Fahrradfahren , mit angehockten Beinen hin- und herschaukeln sowie Dehn- und Streckübungen für alle Gliedmaßen an . Auf der Bettkante geht es weiter : Ich kreise langsam mit dem Kopf , hangele mich mit beiden Armen nach oben und lasse den Oberkörper wieder nach unten fallen . Dann kräftige ich meine Waden- und Fußmuskulatur und schüttele die Gliedmaßen kräftig aus . Auf dem Bett-
Ist Typ-2-Diabetes heilbar ?
Bisher galt : einmal Diabetes , immer Diabetes . Doch für den Typ-2-Diabetes gibt es nun wissenschaftliche Studien , die belegen , dass diese Erkrankung durch eine radikale Änderung des Lebensstils besiegt werden kann . Von Heilung sollte man nicht sprechen , denn wenn man in alte Verhaltensmuster zurückfällt , kommt die Erkrankung zwangsläufig zurück . In Studien aus England , aber auch aus Katar war der vorübergehende Einsatz von Proteinshakes – sogenannten Formuladiäten – der Schlüssel zum Erfolg . 70 Prozent der Personen , die im Mittel bereits vier Jahre an einem Typ-2-Diabetes erkrankt waren und zum Teil mehrere Diabetesmedikamente einnehmen mussten , konnten nach einer Gewichtsabnahme von 15 Kilogramm den Diabetes besiegen . Um nach der Gewichtsabnahme die Erfolge zu bewahren , ist eine Low-Carb- Ernährung sehr hilfreich . Zusätzlich sollten die Betroffenen die körperliche Aktivität deutlich steigern . Nach unseren Erfahrungen mit diesem Ansatz ist es sogar möglich , bei sehr übergewichtigen Patienten mit Typ- 2-Diabetes eine Insulintherapie zu beenden . Diese neuen Erkenntnisse werden es aber in der klinischen Praxis nicht einfach haben , denn die „ sprechende Medizin “ wird unzureichend honoriert und die finanziellen Anreize , früh Insulin zu verordnen , sind nicht nur bei Ärzten , sondern auch bei den gesetzlichen Krankenkassen hoch . Die Forschungsdaten zeigen aber , dass ein Umdenken dringend notwendig ist .
läufer mache ich im Vierfüßlerstand noch ein paar Gymnastikübungen . Danach geht es raus in den Garten . Bei Wind und Wetter laufe ich barfuß über die Wiesen im Storchengang . Ich liebe es , das noch feuchte Gras an meinen Fußsohlen zu spüren . Hinter dem Haus dehne ich an der Wäschestange Beine und Arme wie in einem Karussell . Arm- und Bein-Kneippen und im Sommer Ganzkörpergüsse bilden den Abschluss meines Morgensports . Danach bin ich fit für den Tag . Bewegung und Kneippen sind mir ein tägliches Bedürfnis geworden . Inzwischen baue ich auch Yogaübungen mit ein . Gut gelingt mir der „ Baum “, die anderen wie „ Krieger “ oder „ Hund “ sind noch nicht so perfekt , da heißt es dranbleiben und üben . Leider ist mein Körper nicht mehr so gelenkig . Sport und Bewegung sind gesund und wirken sich positiv auf den Zuckerwert aus . Denn wie heißt es so schön : Wer rastet , der rostet .