+3 Magazin November 2020 | Page 18

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WIR FRAGEN :

WANN GEHÖRT DAS

TIER ZUR FAMILIE ?

Kinder , die mit einem Familienhund aufwachsen , zeigen 34 Prozent häufiger freundliche Verhaltensweisen als Kinder , die hundelos groß werden .
Quelle : Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte © iStock ./ Sisoje
Jörg Luy , Gründer und Leiter Forschungs- und Beratungsinstitut für Tier- , Natur- und Umweltethik ( INSTET )
Empathie entscheidet
Wenn vermutlich Millionen von Menschen weltweit einzelne Tiere wie Familienangehörige behandeln , ist das ungewöhnlich . Im übrigen Tierreich kommt solche speziesübergreifende Nähe nur sehr selten vor . Voraussetzung dafür , den anderen als Teil der eigenen Familie zu betrachten , ist die Fähigkeit , Mitgefühl zu entwickeln . Das erklärt , warum Menschen und andere empathiefähige Tiere , beispielsweise Hunde , grundsätzlich in der Lage sind , sich gegenseitig zu adoptieren . Im Einzelfall braucht es zusätzlich noch eine große Portion gewachsenes , gegenseitiges
Vertrauen . Interessant ist , dass unser Gerechtigkeitsempfinden funktionell nicht zwischen Angehörigen der eigenen Spezies und fremder Arten unterscheidet , sondern zwischen Individuen , in die es sich empathisch hineinversetzen kann , und Sachen , bei denen es keine Gefühle vermutet . Es beurteilt Handlungen als gerecht , wenn es davon überzeugt ist , dass das behandelte Individuum sie akzeptieren kann . Zu unserem evolutionären Erbe gehört nun allerdings , dass wir die Welt gedanklich aufteilen in zwei Teile : einen , in dem wir aktiv um Gerechtigkeit bemüht sind , und einen , in dem wir im Zweifel diesen Anspruch fallenlassen . Den Teil der Welt , bei dem wir das stärkste Interesse spüren , dass alle Individuen glücklich sind , nennen wir Familie . Hier sind wir am meisten um Gerechtigkeit bemüht – und das schließt auch Tiere ein , wenn sie uns als Individuen ans Herz gewachsen sind .
Hildegard Jung , Tierärztin und Verhaltenstherapeutin
Hund bleibt Hund
Es klingt so einfach : Wir lieben unsere Heimtiere – und entwickeln eine elternähnliche Bindung zu ihnen . Besonders gut untersucht ist dies beim Hund , der uns in seinen Sozialbedürfnissen sehr ähnlich ist . Der Mensch fühlt sich wohl , wenn sein Tier anwesend ist , und vermisst es , wenn es nicht da ist . Er will seinem Hund sicherer Hafen sein und wird bei seinem Fürsorgeverhalten selbst belohnt . Gemeinsam auf der Couch zu liegen und das Fell zu kraulen , erhöht beidseits das „ Kuschelhormon “ Oxytocin . Doch reichen Gefühle für eine gute Beziehung ? Wirklich verstehen können die meisten
Menschen ihr Tier nicht . Studien zeigen , dass nur ein Drittel der Hundehalter feine Signale seines Tieres richtig deuten und darauf Rücksicht nehmen kann . Die Folge : Beziehungsstress . Gerade unser mobiles Leben überfordert viele Hunde . Immer dabei sein zu dürfen , führt leicht zu Schlafmangel . Auch zu Hause zu bleiben ist nicht immer eine gute Alternative , im Rudel wäre er schließlich nie allein . Dies löst leicht Stress oder sogar Panik aus . Einen Auslands-Hund aufzunehmen , liegt im Trend . Doch der ist meist nicht in der Familie aufgewachsen und mit Kuschelnähe und zu vielen unbekannten Eindrücken schnell überfordert . Hunde mögen einen vorhersehbaren Tagesablauf und ein bisschen Kontrolle über ihr Leben . Wir müssen also ganz genau hinsehen , um die individuellen Bedürfnisse unseres Familienmitglieds zu erkennen und den „ besseren Menschen “ auch mal Hund sein lassen .