+3 Magazin März 2020 | Page 20

+3 20 Marc Evers, Leiter Referat Mittelstand, Existenzgründung, Unternehmensnachfolge, Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Gemeinsam stärker Demografie, Digitalisierung und zu- nehmende konjunkturelle Unsicher- heiten machen das Umfeld für Unter- nehmen immer komplexer. Das gilt besonders für den Mittelstand, wo viele Unternehmen häufig über keine eigenen Innovations-Labs oder -Hubs verfügen. Doch auch hier ist der In- novationsdruck hoch. Gemeinsam mit Startups können Mittelständler Her- ausforderungen nicht selten in Chan- cen verwandeln. Die Möglichkeiten sind dabei so vielfältig wie der Mittel- stand selbst. Häufig anzutreffen sind Entwicklungspartnerschaften, Zulie- ferverhältnisse oder auch lose Koope- rationen. Wichtig ist, dass beide Sei- Olaf Künter, Leser Näher als man denkt Beide Parteien können so viel vonein- ander lernen. Startups bringen frischen Wind rein, neue Ideen und neue Arten, Unternehmen zu führen. Da sollte der eingefleischte Mittelstand ruhig mal genauer hinschauen. Doch von wem können Startups besser lernen als vom Mittelstand, der schon wissen sollte, wie der Hase läuft? So unähnlich sind sie sich nämlich gar nicht. Mario Ohoven, Präsident Bundesverband mittelständische Wirtschaft – Unternehmer- verband Deutschlands (BVMW) Win-Win-Situation Arbeiten Startups und etablierte Mit- telständler zusammen, profitieren davon beide Seiten. Die Kooperation eröffnet am Markt etablierten mit- telständischen Unternehmen den Zugang zu neuen innovativen Tech- nologien und somit auch zu einem erweiterten Portfolio und neuem Um- satzpotenzial. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass mehr als drei Viertel der Klein- und Mittelbetriebe im Tech- nologiebereich bereits erfolgreich mit Startups zusammenarbeiten. Und so- gar 90 Prozent möchten mit Startups, die neue Produkte entwickeln, koope- rieren. Startups wiederum profitieren von der Erfahrung etablierter Mittel- ständler. Außerdem erhoffen sie sich neue Unternehmenskontakte. Umso bedenklicher ist die seit Jahren sin- kende Zahl der Unternehmensgrün- dungen in Deutschland. Ende 2018 wurde mit 547.000 neuen Existenz- gründungen der bisherige Tiefpunkt erreicht – ein Rückgang von 10.000 Existenzgründungen gegenüber dem Jahr zuvor. Zugleich wandern junge ten von Anfang an klarstellen, was sie voneinander erwarten und wie sie ein gemeinsames Win-Win schaffen wol- len. Trotz mancher Unterschiede etwa in puncto Etikette oder Hierarchien, eines haben Mittelstand und Startups in Deutschland oft gemeinsam: die hohe Identifikation mit dem eigenen Unternehmen. Eigentum und Leitung liegen zumeist in einer Hand. Anknüp- fungspunkte können Startups und Mittelständler etwa über die 79 Indus- trie- und Handelskammern finden. Als neutrale Partner bringen sie vor Ort branchenübergreifend Kleine und Gro- ße, Etablierte und Startups zusammen. Die Palette reicht von Fachausschüssen über Gründertalks und Wettbewer- be, Mentoren-Services und Pitching- Events mit Finanzierern bis hin zum Format „Start.up! Germany“, einer Roadshow für Startups aus aller Welt, die von den Auslandshandelskammern ausgewählt und begleitet werden. ZUSAMMENARBEIT Der Mittelstand und seine Erfahrungen mit Startups Zufriedenheit mit den Kooperationsbeziehungen Gesamt In den für die Unternehmen relevanten Zielfeldern Erschließung neuer Technologien 73% 23% 3% 3% Gestaltung der Digitalisierung 71% 28% 70% (Sehr) zufrieden 27% 3% Produkt-/Dienstleistungsentwicklung 64% 33% Zugang zu neuen Märkten 62% 33% 5% Zugang zu talentierten Fachkräften 58% 39% 3% Teilweise zufrieden 3% (Sehr) unzufrieden Mögliche Probleme in der Zusammenarbeit mit Startups 48% Unterschiedliche Unternehmenskulturen 32% 31% Probleme bei der Definition gemeinsamer Ziele 21% 29% 23% Unternehmen mit 10% Kooperations- erfahrung 9% Widerstände im eigenen Unternehmen 15% Unzuverlässigkeit der Startups 17% Unternehmen 14% ohne Kooperations- 3% erfahrung Unzureichende Vertrauensbasis Probleme beim Datenschutz 8% Keine gemeinsame Kommunikationsbasis 7% 5% Sonstige 5% 23% Keine Probleme 47% unter 105 Teil: Abweichung › Quellen: IfM Bonn, BDI, Deutsche Bank Startups aus dem IT-Bereich ins Aus- land ab. Im Ergebnis drohen unserem Land die Unternehmer auszugehen. Mit der Kommission „Startups und Unternehmensgründungen“ setzt sich der BVMW gegenüber der Politik da- für ein, dass Startups und Unterneh- mensgründer bessere Rahmenbedin- gungen bekommen. Dazu gehören neben einer Vereinfachung der Grün- dungsfinanzierung vor allem ein Wag- niskapitalgesetz und konsequenter Bürokratieabbau. Kurzum: Unterneh- mertum muss in Deutschland wieder attraktiv werden. Alfred Möckel, Business Angel Früh involviert Nach aktuellem Global Competi- tiveness Index des Weltwirtschafts- forums ist Deutschland noch immer die Nummer eins in der Kategorie „Innovation Capability“. Viele Unter- nehmen leben hierzulande allerdings mehr von schrittweiser Innovation, statt wirklich disruptiv Neues zu Denise Werber, Leserin Trend der Zeit Ist es nicht ein fließender Übergang? Eigentlich wird aus einem Startup mit der Zeit ein Mittelstandsunter- nehmen. Sie sollen wachsen, gedei- hen und in einigen Jahren so stabil und eigenständig sein, dass sie die Wirtschaft maßgeblich mitgestalten können. Aber aktuell ist es ja mo- dern, diese Startup-Philosophie zu leben, egal, wie groß das Unterneh- men ist. Das scheint wahrscheinlich schaffen. Die großen globalen Trends gehen nicht zuletzt deshalb an uns vorbei. Es ist daher dringend gebo- ten, dem deutschen Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirtschaft, eine Frischzellenkur zu verpassen. Die Zusammenarbeit mit Startups bie- tet hier ungeahnte Möglichkeiten. Oft sind Mittelständler allerdings versucht, Startups als Corporate Venture zu sehr an sich zu binden und in bestehende Strukturen einzu- gliedern. Auch Hubs außerhalb der Standorte müssen nicht automatisch zu größeren Freiheitsgraden führen, denn es besteht die Gefahr, dass das unternehmerische Handeln rundge- Nick Martin Willer, Vorsitzender Kommission Startups und Unternehmens- gründungen, Bundesverband mittelständische Wirtschaft – Unternehmerverband Deutschlands (BVMW) Zwei Welten nähern sich Damit Mittelstand und Startups zu- sammenfinden, braucht es zunächst einen Rahmen, um sich kennenzu- lernen. Diesen bieten etwa Verbände wie der BVMW, die über Veranstal- tungen und gezielte Vernetzungen Startups und Mittelstand zusam- menbringen. Die Basis für eine mög- liche Zusammenarbeit sind konkrete Synergien, die für beide Seiten einen relevanten Nutzen bringen. Klassi- scherweise sind das bei etablierten Unternehmen Bestandskunden und Erfahrungswerte und bei Startups in- novative Produkte. So bekommt das Startup einen schnellen und sicheren Markteintritt und der Mittelständler eine innovative Erweiterung seines Produktportfolios. Damit die Zu- sammenarbeit möglichst reibungs- arm läuft, braucht es Menschen, die Brückenfunktionen einnehmen. Das können externe Berater sein oder interne Mitarbeiter, die sich mit beiden Unternehmenskulturen gut auskennen. Diese unterscheiden sich etwa im Führungsstil, bei den Ar- beitsbedingungen oder im unterneh- merischen Fokus. Startups geht es häufig um schnellstmögliche Markt- durchdringung und exponentielles Wachstum, Mittelständlern eher um Sicherung und den soliden Aus- bau des Status quo. So oder so: Die Welten haben schon lange begonnen, sich anzunähern. Traditionelle Un- ternehmen adaptieren immer mehr agile Methoden und New Work für sich, um auch in der Zukunft wettbe- werbsfähig zu sein. Und Startups, die eine gewisse Größe überschreiten, werden etablierten Unternehmen strukturell immer ähnlicher. heutzutage einfach ein Muss zu sein. Die Unternehmen müssen sich wan- deln und attraktiver werden für die paar Fachkräfte, die wir noch haben. schliffen wird. Gerade unternehme- risch denkende Gründer fühlen sich durch solche Strukturen stark einge- schränkt. Die besten Gründer sind somit dafür schwer zu gewinnen, die an sich sehr gute Idee wird kon- terkariert. Viel besser funktioniert es, wenn sich Mittelständler selbst als Business Angel in frühphasigen Startups engagieren, um damit ganz direkt mit unkonventionellen Ideen, neuen Techniken, Trends und den unterschiedlichsten Businessplänen konfrontiert zu werden. Das kann den Horizont erweitern und unseren Mittelstand besser dazu befähigen, neue Innovationen hervorzubringen.