+3 Magazin Mai 2019 | Page 8

+1 8 › Michael Ludwig, Bürgermeister der Stadt Wien Miet- und Genossenschaftswohnun- gen. Das ist weltweit ein Unikum. Und wem gehört der größte Immobilien- verwalter Europas? Der Stadt Wien und heißt Wiener Wohnen. Die für die Wiener Bevölkerung erfreulichen Fol- gen liegen auf der Hand: 62 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Wiens le- ben in geförderten oder kommunalen Wohnungen auf hohem Qualitätsni- veau. Niemand muss sich vor Mietkos- tenexplosionen oder Delogierungen fürchten. Zudem weiß sich die Stadt dank der neuen Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ vor Speku- lanten sicher. Bei Umwidmungen in Bauland sind zwei Drittel der Fläche Wien-win-Situation Wem gehört Wien? Den Wienerin- nen und Wienern. Und das ist nicht nur ein wohlfeiler politischer Slogan, das ist eine Tatsache. Heute gibt es in Wien – der laut aktueller Mercer- Studie lebenswertesten Metropole der Welt – 220.000 Gemeindewohnun- gen und mehr als 200.000 geförderte für den geförderten Wohnbau vorge- sehen. Seit 100 Jahren erfolgreich ist auch das Modell der sozialen Durch- mischung. In unseren kommunalen Wohnbauten leben oft Anwälte Tür an Tür mit Briefträgern, Ghettobildun- gen mit Gewaltpotenzial sind ein No- Go. Und während andere Großstädte ihren Wohnraum vor allem verdich- ten, forciert Wien großzügige Stadt- entwicklungsprojekte wie die Smart City Seestadt Aspern. All das veran- lasste Europas oberste Mieterschüt- zerin, Barbara Steenbergen, zu dem Lob: „Wien ist aus Mietersicht ein Vorbild für ganz Europa.“ Das macht mich dankbar und stolz. KNAPPER WOHNRAUM Die Leerstandsquote ist inzwischen auch in Ostdeutschland niedrig 15% Neue Bundesländer 13,5% Gesamt 12,4% 12,5% 11,4% Alte Bundesländer 10,7% 9,8% 10% 8,3% 7,5% 7,1% 6,7% 6,3% 5,9% 5,5% 8% 5,3% 5% 5% 3,2% 3,2% 3,1% 3% 3% 2,9% 2,5% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2,7% 2011 7,7% 4,7% 2,5% 2012 7,4% 4,5% 7,2% 4,4% 2,3% 2,3% 2013 2014 6,8% 4% 6,7% 3,8% 6,5% 3,6% 1,9% 1,9% 1,7% 2015 2016 2017 Quellen: GdW, Statista Carola Schuster, Leserin Sebastian Reuter, Leser Mobile Freiheit Vernachlässigte Oasen Ohne Verkehr funktionieren Städte nicht. Für mich ist das Auto das Mit- tel der Fortbewegung. Mit ihm macht man sich selbstbestimmt und sicher auf seinen eigenen Weg. Allen, die in vollen Bahnen oder durchgefro- ren auf dem Rad unterwegs sind, gilt mein tiefes Mitgefühl. Als Stadtkind erwarte ich von meiner Stadt, dass mein Leben in ihr nicht nur durch die vielen Möglichkeiten einer Metropole wie Berlin bereichert wird, sondern auch, dass zum Beispiel nicht an jeder Ecke Müll liegt oder Parks nicht vertrocknen. In meiner Stadt mag sich keiner so recht um das wenige Grün kümmern. In der Nähe meiner Wohnung liegt der Boxhage- ner Platz, der vielen vielleicht durch den gleichnamigen Film bekannt ist. Vor acht Jahren befand sich dort ein- mal eine grüne Wiese. Mittlerweile ist dort leider nichts Grünes mehr üb- riggeblieben und wenn es mal regnet, gleicht der Platz einer Schlammfläche. Von meiner „grünen“ Bürgermeisterin wünsche ich mir nichts Großes. Nur das Parks wieder aussehen wie Parks. Dieter Reiter, Oberbürgermeister der Stadt München Nur gemeinsam stark Die Stadt gehört allen Menschen, die in ihr leben. Doch gerade beim The- ma Wohnen zeigt die aktuelle Debat- te, wie existenziell die Umwälzungen sind, die wir beobachten. Seit Jahren stemmt sich die Stadt München mit zahlreichen Maßnahmen dagegen, dass Wohnraum immer teurer wird und für viele Menschen nicht mehr bezahlbar ist: Seit 25 Jahren gibt es die sozialgerechte Bodennutzung, die sicherstellt, dass stets ein fester Bestandteil an geförderten Wohnun- gen in Neubaugebieten entsteht. In 23 Münchner Erhaltungssatzungs- gebieten schützen wir heute rund 281.000 Menschen vor Vertrei- bung. Wir haben die Abwendungs- erklärung, mit der Investoren das Vorkaufsrecht der Stadt abwenden können, drastisch verschärft, zuletzt im April. München hat seine eige- nen städtischen Wohnungsbauge- sellschaften mit heute rund 65.000 Wohnungen nie veräußert. Wir kau- fen Wohnungen der GBW, die der Freistaat Bayern verantwortungslos verkauft hat, für Hunderte Millionen Euro zurück, um die Mieterinnen und Mieter zu schützen. In unseren Neubauquartieren zeigen wir außer- dem, dass soziale und ökologische Anforderungen zusammen gedacht werden müssen. Diese Maßnahmen wirken zwar, die Mieten steigen den- noch weiter. Stoppen können wir die dramatische Aufwärtsspirale der Bo- denpreise und der Mieten in Mün- chen daher nur, wenn auch die Bun- desregierung deutlich mehr für den Mieterschutz unternimmt und end- lich eine Reform des Bodenrechts auf den Weg bringt. DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE Kai Warnecke, Präsident Eigentümer- verband Haus und Grund Deutschland Verantwortung leben 66 Prozent aller Mietwohnungen in Deutschland werden von Privatper- sonen angeboten. Um das Mietver- hältnis muss sich der Vermieter also in der Regel neben seiner normalen Arbeit kümmern – häufig abends und am Wochenende. Es gilt, stän- dig kleinere oder größere Probleme zu lösen: ein Wasserhahn tropft, ein Nachbar hört in der Nacht laut Mu- sik und stört andere Hausbewohner oder ein Graffito muss von der Haus- wand entfernt werden. Hinzu kom- men die alljährlichen Betriebskos- tenabrechnungen. Hierum muss sich ein Vermieter regelmäßig kümmern. Die Verantwortung eines privaten Vermieters reicht aber auch über den Tag hinaus. Die gesellschafts- und umweltpolitischen Erwartungen an die Haus- und Wohnungseigentü- mer steigen stetig: Die Eigentümer sollen und wollen ihren Beitrag für den Klimaschutz leisten. Dabei gilt es, die eigenen finanziellen Möglich- keiten und die der Mieter im Auge zu behalten. Ebenso wichtig ist, das Haus oder die Wohnung langfris- tig für Mieter attraktiv zu halten. In einer alternden Gesellschaft ist es unabdingbar, eine Wohnung barrie- rearm umzugestalten. Für eine lang- fristige Vermietbarkeit spielt dazu das nähere Umfeld eine Rolle. Wie präsentiert sich das Quartier insge- samt? Die privaten Eigentümer, die mit ihren Immobilien unsere Innen- städte prägen, haben folglich ein vi- tales Interesse, das Quartier lebens- wert zu halten, damit auch die Erben ihrer Verantwortung für eine gute Wohnraumversorgung gerecht wer- den können. Eva Grunwald, Leiterin Immobiliengeschäft Postbank Zeit zum Gegensteuern Städte gehören den Menschen, die dort wohnen. In Deutschland gilt das nicht mehr uneingeschränkt. Noch nie war Wohnen so teuer wie heu- te. In den Metropolen sind Grund- stückspreise und Mieten oft für Normalverdiener nicht mehr finan- zierbar und ein Ende des Preisan- stiegs ist nicht in Sicht. Das zeigt der aktuelle „Postbank Wohnatlas“ mit seiner Kaufpreisprognose bis 2030 sehr deutlich. Die Gründe dafür sind vielfältig: Grundbesitzer halten Bauland zurück, weil sich sein Wert konstant erhöht. Auch Bund, Länder und Gemeinden wollen beim Verkauf von Grundstücken Gewinn machen. Genehmigungsverfahren und Kauf- nebenkosten verteuern Immobilien zusätzlich – so dass sie nur noch für Investoren interessant sind. Unsere Studie belegt, dass längst auch viele mittlere Städte Schauplätze des Im- mobilienbooms sind. Dadurch fällt der Neubau in Deutschland weiter hinter den Bedarf zurück. Wichtig wäre, dass der Staat bürokratische Hürden beseitigt und die öffentliche Hand zügig mehr Bauland ausweist. Auch eine Ausweitung der staatli- chen Förderung für den Wohnungs- bau und eine Reform der Grund- steuer wären richtige Impulse. Ob auch eine Bodenwertsteuer oder die konsequente Durchsetzung des Bau- gebots, dass Grundstückseigentümer bei Bedarf zum Bau oder Verkauf zwingt, gut wären, mag jeder für sich entscheiden. Fest steht: Wenn wir verhindern wollen, dass sich nur noch Wohlhabende die eigenen vier Wände leisten können, muss die Preisspirale gestoppt werden.