+3 Magazin Mai 2019 | Page 14

+3 14 WIR FRAGEN: WARUM BIN ICH PLÖTZLICH ALLERGIKER? ... und was ist Ihre Meinung? www.plus-drei.de [email protected] Keine Angst vor Apfelbäumen: Dank Fremdbestäubung können auch Allergiker die Blütezeit von Obstbäumen in vollen Zügen genießen. Quelle: Nabu Jörg Kleine-Tebbe, Sprecher Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) Ein Puzzle mit vielen Teilen Die Frage klingt simpel, die Antwort ist es nicht. Bei Allergien kennen wir nicht nur eine, sondern viele Teilur- sachen. Grob vereinfacht: Alles dreht sich um Vererbung, Umwelt und Lebensstil – und diese Größen sind eng verzahnt. Hier kommt die Epige- netik ins Spiel, die die Einflüsse der Umwelt auf unsere Erbanlagen un- tersucht. Viele Allergie-Gene sind be- reits bekannt. Sie erklären allerdings nur einen Teil der Vererbbarkeit bei Heuschnupfen, allergischem Asthma oder Neurodermitis. Die weltweite Zunahme allergischer Erkrankungen beruht eher auf Umweltfaktoren: Diskutiert werden urbaner Lebens- stil, frühkindlicher Keimkontakt, Mi- krobiom, Ernährung, Umweltbelas- tungen, Medikamente und Allergene. Diese und andere Faktoren steuern wahrscheinlich auch die individuelle Allergiekarriere und ihren Start. Was nützt das dem Allergiker? Ehrlich gesagt wenig, wenn die Allergie be- reits besteht. Eher dürften zukünftige Risikokinder aus Allergikerfamilien profitieren. Zuvor muss es gelingen, erfolgreich Tipps zur Vorbeugung zu prüfen und umzusetzen. Statt linearer Kausalität entdecken wir eine Welt vernetzter Teilursachen: Allergien gelten als Paradebeispiel komplexer Gen-Umwelt-Interaktionen. Warum bin ich also plötzlich Allergiker? In- dividuell lässt sich das schwer ent- wirren und endet meist in Spekulati- onen. Für den weltweit wachsenden Bevölkerungsanteil mit Allergien se- hen wir schon klarer: Viele Faktoren beeinflussen die Allergieentwicklung. © iStock./mammuth Erika von Mutius, Leiterin Institut für Asthma- und Allergieprävention, Helmholtz-Zentrum München Immunsysteme können lernen Warum Kinder Allergien entwickeln, ist ein Thema, das mich als Kinder- ärztin und Forscherin seit langem beschäftigt. In meiner Sprechstunde sehe ich das ganze Spektrum allergi- scher Erkrankungen, fast so vielfältig wie die Kinder, die ich behandle. Im Einzelfall ist diese Frage nicht zu be- antworten. Wissenschaftlich sieht es so aus, dass viele Bausteine zusam- menkommen müssen, damit ein Kind eine Allergie entwickelt. Der Endef- fekt ist, dass das Immunsystem nicht gelernt oder verlernt hat, nicht auf natürliche Substanzen in der Umwelt wie Pollen, Tiere, Hausstaub oder Nahrungsmittel zu reagieren. Diese Bausteine haben bei allen Kindern un- terschiedliche Gewichte. Bei manchen mag die Genetik eine Rolle spielen, wobei es viele verschiedene Gene gibt, die zu einer Allergie beitragen können. Bei manchen mögen schädigende Um- welt- und Lebensstilfaktoren die Waa- ge zur Allergie hin drücken. Die Frage kann man aber auch umdrehen: Wa- rum bekommen die meisten Kinder keine Allergie? Es gibt heute Hinweise darauf, dass das Nichtreagieren auf Umweltallergene ein aktiver Prozess ist, ein wirkliches Lernen von Tole- ranz, und dass daher die Vermeidung dieser Allergene nicht sinnvoll ist. Für ein erfolgreiches Lernen sind wahr- scheinlich Lernhilfen notwendig, zum Beispiel das Aufwachsen auf einem traditionellen Bauernhof, zahlreiche Geschwister, ein Hund früh im Leben und das Fehlen von lernbehindernden Faktoren, etwa eine bestimmte geneti- sche Ausstattung.