+3 Magazin Mai 2019 | Page 4
+1
4
WIR FRAGEN:
WEM GEHÖRT
DIE STADT?
... und was ist
Ihre Meinung?
www.plus-drei.de
[email protected]
Der Berliner Alexanderplatz ist fest in der Hand von Investoren:
Neun Hochhäuser von bis zu 130 Metern Höhe sollen dort in den
kommenden Jahren entstehen.
Quelle: Tagesspiegel
Birgitte Svarre,
Architektin und
Stadtplanerin
Städte neu denken
Es ist leicht gesagt, dass eine Stadt für
alle da ist. Aber sie so zu gestalten, dass
sie für alle funktioniert, ist eine große
Herausforderung. Das Kopenhagener
Büro, für das ich arbeite, hat eine lange
Tradition in der Erhebung relevanter
Daten über das Leben in der Stadt. Die
sind entscheidend, um zu verstehen,
was funktioniert und was nicht, wer
sich wie in der Stadt bewegt und was
Menschen von städtischen Räumen
ausschließt – etwa Kinder oder ältere
Menschen. Das klingt simpel, ist aber
nicht die Norm. Traditionell zählen
Städte Autos und richten ihre urbanen
Strategien primär am Autoverkehr
aus. Zum Glück ändert sich das gera-
de. Die Untersuchung des öffentlichen
Lebens im Verhältnis zum vorhan-
denen Raum gewinnt an Bedeutung.
Dadurch erhalten wir aussagekräfti-
ge Daten, die es uns erlauben, Städte
für die Menschen zu designen. Das ist
auch eine Antwort auf die Forderung
unserer Kinder, uns endlich den Her-
ausforderungen des Klimawandels zu
stellen. Wir sollten ihnen zuhören und
gewohnte Verhaltensmuster im Bezug
auf Mobilität und Bauen – den größ-
ten Emissionsquellen in unseren Städ-
ten – überdenken. Lasst uns die „Das
geht hier nicht“-Perspektive über Bord
werfen und den Mut haben, die Vision
einer fairen Stadt zu verfolgen, die den
Menschen Raum, umweltfreundliche
Transportsysteme und eine saubere
Umgebung bietet. Dafür müssen wir
kreativ denken, Experten aus verschie-
denen Disziplinen zusammenbringen
und auf neuen Wegen miteinander
kollaborieren.
© iStock./hanohiki
Tim Renner,
ehemaliger
Staatssekretär
für Kultur,
Stadt Berlin
Komplexe Aufgabe
Wer stabile Verhältnisse mag, lebt in
der falschen Zeit. Alles ist im Wan-
del, egal ob Digitalisierung, Globali-
sierung, Klimakatastrophen, Trump,
umkippende Alterspyramide. Die
Gesellschaft ist mit Phänomenen
beschäftigt, die maximale Unsicher-
heit schaffen. Weltweit gilt: Noch
nie ging es uns so gut wie heute, aber
parallel ist die Menschheit kollektiv
in Angst wie vielleicht niemals zu-
vor. Wer Angst hat, zieht sich zurück.
Der Rückzug führt in die eigenen vier
Wände. Die eigene Wohnung wird
zum letzten Zufluchtsort. Dort zit-
tert dann besonders, wer zur Miete
wohnt. Wohnungsnot ist eine greifba-
re Angst. Es verhält sich wie vor zwei
Sommern mit dem Thema Migration:
Populisten nutzen Ängste schamlos
aus – egal ob sie von links oder rechts
kommen. Sie bieten einfache, radika-
le Lösungen. Egal ob „Grenzen dicht“
oder „Deutsche Wohnen und Co. ent-
eignen“ – wir reden hier jeweils über
Maßnahmen, die sich historisch be-
reits als falsch erwiesen haben. Sie
lösen das eigentliche Problem nicht.
Wer der Sache auf den Grund gehen
will, muss ein Grundrecht auf Woh-
nen einführen, Wohnungen bauen,
Mieten begrenzen, Mieterrechte aus-
bauen, überlegen, wie Wohnen und
Arbeiten in der digitalisierten Gesell-
schaft funktioniert, sich um die Infra-
struktur auf dem Land kümmern und
vieles mehr. Ja, das ist mühsam und
komplex, aber für die Betroffenen
weit wirkungsvoller als über Enteig-
nung zu debattieren, durch die kein
neuer Wohnraum entsteht.