+3 Magazin Mai 2015 | Page 5

+1 Ulrich Mückenberger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik Schopenhauer weiß es Auch im Alter fühle ich mich nicht auf der (Zeit-)Verliererspur. Die Verteilung meiner Zeit auf Wissenschaft, Musik, Politik, Freundschaft und Verwandtschaft fällt mir leichter als während der Phase der Berufstätigkeit. Klar fühlt sich Zeit im Alter anders an, Carola Lentz, Professorin für Ethnologie, Johannes-GutenbergUniversität Mainz Andere Länder, anderes Zeitmanagement Als Professorin reise ich zu Feldforschungen mit eigenem Zeitmanagement im Gepäck. Semesterzeiten, Finanzen, Flugpläne: Solche Zwänge stecken den zeitlichen Rahmen ab, und am Ende soll ich ja daheim Greifbares berichten. Manchmal werde ich dann ungeduldig, wenn die Zeitorganisation meiner Interviewpartner so gar nicht zu meinen Plänen passt. In nordghanaischen Dörfern zum Beispiel sollte man Gespräche möglichst erst nach der harten Feldarbeit am Morgen führen, aber noch ehe sich der erschöpfte Bauer zum Markt aufgemacht und das wohlverdiente Hirsebier seine Wirkung getan hat. Auch wird niemand einfach so über die Dorfgeschichte sprechen, selbst wenn er gerade Zeit hätte. Die Höflichkeit gebietet mindestens zwei 5 sie vergeht schneller als in der Jugend. „Warum“ – fragt Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit – „erblickt man im Alter das Leben, welches man hinter sich hat, so kurz? Weil man es für so kurz hält, wie die Erinnerung desselben ist. Aus dieser ist nämlich alles Unbedeutende und viel Unangenehmes herausgefallen, daher wenig übriggeblieben.“ Zeiterleben mit Erinnerungsfähigkeit in Verbindung zu setzen ist genial. Das macht Zeit im Alter knapp – was übrigens mit „allgemeiner Beschleunigung“ herzlich wenig zu tun hat. Es gibt moderne Zeitdiebe, mit denen die Generationen unterschiedlich umgehen – neue Medien, soziale Netzwerke; da sind wir Älteren mal auf der unterlegenen, mal auf der überlegenen Seite. Es kommt wirklich alles auf die Zeitkultur an – und diese zu ermöglichen und zu ermutigen ist ein Kernanliegen der Zeitpolitik. Wir sollten dafür sorgen, dass Menschen über ihre Zeit je nach Geschlecht und Herkunft, nach ihrer Lebenslage und Lebensweise selbst bestimmen können und dass sie individuell und gemeinsam zu selbstbestimmtem Zeitgebrauch und zu Widerstand gegen Zeitdiebstahl befähigt werden. Jonathan S., Leser Besuche: einmal zum Grüßen und Verabreden, dann zum eigentlichen Gespräch. Wenn beim zweiten Termin aber eine Beerdigung zu begehen ist, muss ich mich noch ein drittes oder viertes Mal auf den Weg machen. Und in der Trockenzeit gibt es fast immer irgendwo eine Beerdigung. Das Zeitmanagement von Bürokraten und Politikern in der Stadt ist nicht einfacher. Auch hier kann man nicht mit der Tür ins Haus fallen, der Kalender ist eng getaktet. Manchmal komme ich nach endlosem Verkehrsstau im Büro an, nur um zu erfahren, dass der Gesprächspartner eben zu einem unvorhergesehenen Termin eilen musste. Gelegentlich ist das eine Ausrede, aber mir haben Informanten auch schon auf dem Weg zu meinem Rückflug Interviews gegeben. ins Bockshorn jagen lassen würden. Nieder mit der „Regelstudienzeit“ – wer macht diese Regel überhaupt? Lobbyismusgeprägte Politiker. Neoklassische Alles-muss-wachsen-Philosophie zwingt den Mensch zur Eile. Macht euch frei davon, dann habt ihr auch Zeit! Als ich vor ein paar Jahren einen Party- und Streetstyle-Blog gründete, hatte ich keinen großen Plan oder Hintergedanken, was daraus werden würde. Dennoch, er schlug sofort ein. Fast über Nacht fanden sich viele Leser, Magazine wollten meine Fotos kaufen, große Marken mit mir kollaborieren. Schnell erkannte ich, was ich nie zuvor für möglich gehalten hätte – ich konnte meinen Beruf mittels eines Blogs meinen Interessen genau anpassen. Noch mehr als Fotos machen liebte ich Reisen und startete einen Reiseblog für Frauen. Dieser verbucht mittlerweile über eine halbe Million Hits im Monat und wir werden in alle Herren Länder eingeladen, um über diese zu berichten. Das Internet ist wie ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die Währung ist Ambition. Sie ist die einzige Investition, die man tätigen muss, um hier etwas zu erreichen. Ein Job im Netz bedeutet in der Regel selbstbestimmte Arbeitszeiten und Ortsunabhängigkeit. Und seien wir mal ehrlich – fühlt sich Arbeit noch wie Arbeit an, wenn man sie in einer Hängematte mit Meerblick verrichtet? Jonathan, Leser Macht kaputt, was ... Studenten hätten noch Zeit. Wenn sie sich nicht so von Regelstudienzeit und irgendwelchen Wirtschaftsfuzzis Katja Hentschel, Bloggerin und Gründerin von travelettes.net Berufung größer Beruf gleich Freizeit Montags um zehn auf dem Balkon frühstücken, einmal im Monat verreisen, nur Dinge tun, auf die man auch Lust hat. Klingt paradiesisch, ist aber einfach, wenn man einen Beruf wählt, der sich nicht wie Arbeit anfühlt, der Unabhängigkeit schafft und den man selbstbestimmt ausführen kann. Keine Ausreden gelten lassen Wenn wir sagen „Ich habe keine Zeit gehabt“, meinen wir fast immer, dass wir sie uns nicht genommen haben. Wenn wir bewusster mit der