+3 Magazin Juni 2020 | Page 20

20 +3 › Fügung und Taktik Im Laufe des Lebens nimmt das Glück zu. Das liegt hauptsächlich daran, dass junge Menschen nach vorne blicken und sich dabei fragen, was sie noch nicht erreicht haben und was sie noch besser machen können. Natürlich ist das auch wichtig, um weiterzukommen. Alte Menschen hingegen blicken auf ihr Leben zurück – und sind meist auch zufriedener mit dem Jetzt-Zustand. Da unser Gehirn so angelegt ist, dass wir uns mehr an positive Dinge erinnern, werden wir auch von der ganzen Sichtweise her positiver. Die Forschung hat gezeigt: Wenn wir optimistisch an Aufgaben herangehen, dann haben wir tatsächlich eine 37 Prozent größere Gehirnleistung. Allerdings ist es so, dass wir evolutionsbiologisch und historisch gesehen von einem katastrophischen Gehirn ausgehen. Das heißt, unser Gehirn ist ursprünglich auf negativ programmiert. Es kann ja gut sein, dass ein Säbelzahntiger an der nächsten Ecke lauert. Eine natürliche Angst macht uns umsichtiger – und gleichzeitig auch pessimistischer. Doch das sollte uns nicht negativ stimmen: Beate Hoerkens, Leserin Sven Voelpel, Altersforscher und Professor für Betriebswirtschaft, Jacobs University Bremen Wann, wenn nicht jetzt Es sind vermutlich die Wenigsten, die in die neue Lebensphase hineinstolpern oder sich kaum von ihrer Arbeit trennen, in der sie bis dahin aufgegangen sind. Wir Anderen, vielleicht die Mehrheit, schätzten unsere Arbeit, allerdings in der Hoffnung, eines Tages auch unsere nicht gelebten Seiten zu erkunden. In meinem Fall war es die künstlerische Fotografie. Es ist etwas mühsam, sich selbst einen Weg zu bahnen, wenn eine klassische Ausbildung wie in jungen Jahren nicht mehr zur Debatte steht. Aber die Erfahrung sagte mir: Zuerst geht es ganz praktisch um das Erlernen des Handwerks. Ich suchte und fand im Internet meine erste Mentorin, die mich bis heute begleitet. Nicht zuletzt braucht es die eigene Lust am Lernen, die sich am besten von der Leidenschaft nährt, viel Geduld und eine gewisse Unbeirrbarkeit. Das Ergebnis sind meine Bücher und Bilderserien, eine Website, eine eigene Edition – alles andere als gute Einnahmequellen, aber genau das, was ich machen wollte. Im Grunde ist es nicht entscheidend, woran man sein Herz hängt. Aber es ist wichtig, beizeiten herauszufinden, was es wohl sein könnte, wenn man es nicht schon weiß. Denn es macht froh, oft glücklich, so ein Leben „nach seiner Façon“ und mit eigenen Zielen in größtmöglicher Freiheit. Viele Studien haben gezeigt, dass man sein Gehirn systematisch umprogrammieren kann, indem man versucht, viermal mehr Positives wie Negatives zu sehen. Mit dieser Taktik wird man in allen Lebensbereichen deutlich produktiver. Und das drückt sich auch im Beruflichen aus: Wenn beispielsweise Führungskräfte eine positive Einstellung zum Thema Altern haben, dann steigt die Produktivität der älteren Mitarbeiter. GUT VORGESORGT? Diese Finanzmittel glauben wir im Alter zu haben Staatliche Rente/Pensionen Erspartes und Geldanlagen Selbst genutzte Immobilie Private Rentenversicherung, Lebensversicherung Betriebliche Altersvorsorge Riesterrente Vermögen aus Erbschaft Vermietete Immobilie, Pachteinnahmen Dorothee Döring, Lebensberaterin und Autorin Mentale Frischekur 10% 14% Umfrage unter mehr als 4.000 Personen zwischen 20 und 65 Jahren, Oktober-November 2019 Clarissa Engels, Aufbaustab Bundesfreiwilligendienst, Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) Im Ruhestand und noch etwas vor? Mit dem Thema „drittes Lebensalter“ habe ich mich vor ein paar Jahren aus eigener Betroffenheit intensiv auseinandergesetzt. Meiner Beobachtung nach sehnen die meisten Menschen zunächst den Ruhestand herbei, stolpern aber meist unvorbereitet in den 21% Manfred Olbrisch, Leser Mitten im Leben Für meinen Ruhestand gibt es nur einen einzigen Wunsch: das gemeinsame Leben mit meiner Partnerin und unserer Familie liebevoll weiterzuführen. Dieses Gefühl, angekommen zu sein, bedeutet mir sehr viel. Mit ihnen möchte ich weitergehen, bis unser Weg endet. Dazu habe ich 28% 26% 33% 40% DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE Wer im Ruhestand was erleben und Erfahrungen mit anderen teilen möchte, findet im Bundesfreiwilligendienst beim Technischen Hilfswerk (THW) immer etwas Passendes. In der ehrenamtlich getragenen Einsatzorganisation des Bundes kann man rund ein Jahr lang Gutes für die Gesellschaft tun und die eigenen Stärken einbringen. Egal ob Vollzeit oder Teilzeit, die Möglichkeiten zum Engagement sind vielfältig: Wer einen Bundesfreiwilligendienst macht, unterstützt die ehrenamtlichen Einsatzkräfte und Mitarbeitenden des THW bei Aufgaben und Projekten 70% Quelle: Deutsche Bank rund um den Bevölkerungsschutz – zum Beispiel mit zwischenmenschlichem Schwerpunkt oder in den Bereichen Technik und Verwaltung. Besonders interessant ist das THW für Beamtinnen und Beamte des Bundeseisenbahnvermögens und in den Postnachfolgeunternehmen, die das Angebot des „Engagierten Ruhestands“ wahrnehmen möchten. Der ehemalige Postbeamte Frank Reusch hat in seinem Ruhestand das Abenteuer THW gewagt und mir erzählt: „Meine Erfahrung, die ich in meinem Berufsleben sammeln konnte, kann ich hier eins zu eins umsetzen. Die Gemeinschaft im THW ist kollegial, freundschaftlich und sehr offen. Man ist von der ersten Sekunde an direkt Mitglied.“ Neben dem Bundesfreiwilligendienst sind Menschen jeden Alters natürlich jederzeit willkommen, ein ehrenamtliches Engagement in einem der 668 THW-Ortsverbände aufzunehmen. Der Einstieg ist leicht: Interessierte können einfach das THW in ihrer Nähe kontaktieren. neuen Lebensabschnitt, statt ihn im Voraus zu planen. In der ersten Orientierungsphase, die sich noch wie eine Urlaubsverlängerung anfühlt, fallen diejenigen, für die der Beruf der Lebensinhalt war, in ein tiefes Loch. Damit das nicht passiert, ist die Einstellung wichtig, mit der ein jeder seinen neuen Status „Rentner“ betrachtet. Wer sich guter Gesundheit erfreut und mental von heiterer Gelassenheit unterstützt wird, sucht sich neue Ziele, die er zum neuen Lebensinhalt machen möchte. Einer entdeckt dabei vielleicht die Gartenarbeit als Leidenschaft, ein anderer etwas, das gemein- nur einen einzigen Plan: mit der Zeit gehen. Internet, Smartphone und Digitalisierung sind feste Bestandteile unseres Alltags. Wer damit nicht umgehen kann oder sich verweigert, ist abgehängt vom Leben. Das möchte ich nicht für mich. Die zukünftigen Entwicklungen in den Bereichen IT und Biotech werde ich genauso nutzen wie Jüngere und vielleicht werde ich eines Tages mit einem durch KI-Algorithmen gesteuerten Roboter nicht nur eine Partie Schach spielen, sondern auch ein unterhaltsames Gespräch über die Probleme bei der Pflege meiner Gebissprothese führen – wer weiß. Paul-Gerhardt Voget, Leser Zweite Berufung Acht Mädchen und Jungen der ersten und zweiten Klasse sitzen vor mir. Auf meiner linken Hand sitzt Jakob, ein Rabe, auf der rechten Ophelia, eine Störchin. Sie moderieren eine Vorlesezeit. Ihre Namen habe ich Michael Ende entliehen. Jakob ist frech, vorlaut und durchaus spitzfindig, Ophelia gibt sich ruhig, weise, hat stets ein kleines Gedicht parat, das die Kinder dann „mitnehmen“ können. Die beiden wohnen übrigens in einem über hundert Jahre alten, rot ausgeschlagenen Bandoneonkoffer – und sind inzwischen unverzichtbar für mich. Seit September letzten Jahres habe ich Zeit, lese für und mit Kindern in einer Kita und einem Hort einer Grundschule. Mein Ziel: Freude an Geschichten, an Büchern zu wecken oder wachzuhalten. Fantasie, Fragen, kurz: eigenes Denken zu begleiten. In einem nächsten Schritt werde ich an einer Grundschule einen Philosophiekurs starten. Ein entsprechendes Schreiben ist unterwegs. Nach 40 Berufsjahren mache ich vieles, was man eben so macht im Ruhestand. Zusätzlich habe ich eine großartige Möglichkeit gefunden und ergriffen, auf Kinder zu hören, mit ihren Fragen und Kommentaren meinen Horizont zu erweitern. Mit diesen Kindern, mit Ophelia, Jakob und vielen wunderbaren Büchern erlebe ich kleine, neue Glücksmomente. sam mit anderen ausgeübt werden kann, zum Beispiel Musizieren oder Sport. Manche engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen, wo sie nette Gleichgesinnte und damit Freunde und Zugehörigkeit finden, und beugen damit der Vereinsamung vor. Viele Verwitwete oder Geschiedene, die während ihrer Berufsphase keine Probleme mit dem Alleinsein hatten, versuchen, ein „spätes Glück“ über Dating-Portale im Internet zu finden. Für einen guten Start in den Ruhestand ist es wichtig, sich nicht treiben zu lassen, sondern Ziele zu verfolgen, die Lebensfreude vermitteln.