+3 Magazin Juni 2019 | Page 16

+3 16 › Gisbert L. Brunner, Uhrenjournalist und Buchautor Konstant in Mode Alle Welt redet von Ökologie und Nach- haltigkeit. Und das völlig zu Recht. Mechanische Armbanduhren leisten zweifellos einen zwar kleinen, aber keineswegs zu unterschätzenden Bei- trag zum Schutz unserer Umwelt. Ihr Ausstoß an schädlichem CO 2 ist näm- lich gleich null. Um eine der traditi- onsreichsten Maschinen am Laufen zu halten, genügt – man mag es fast nicht glauben – eine Milliardstel Pferdestärke. Natürlich geht es auch hier nicht ohne Energie. Aber die kommt allein durch körperliche Bewegung zustande. Auch in anderer Hinsicht besitzt diese zeit- bewahrende Tradition beachtliches Zu- kunftspotenzial. Bei regelmäßiger Pflege lassen sich die stoisch tickenden Objek- te nämlich über Generationen hinweg vererben. Mit etwas Glück und Geduld wächst dabei auch noch der Wert. Mehr kann man eigentlich nicht erwarten. Die moderne Seite der Tradition zeigt sich schließlich auch bei der Herstellung. Umweltfreundliche Handarbeit besitzt auch im 21. Jahrhundert einen hohen Stellenwert. Viele Uhrenfabrikanten nutzen mittlerweile erneuerbare Ener- gien, gewinnen die von Produktions- maschinen erzeugte Wärme zurück und bereiten Flüssigkeiten sorgfältig auf. Bei Gebäuden in der Uhr-Schweiz heißt das Zauberwort „Minergie“. Folglich passt die konsequente Bewahrung des Über- lieferten perfekt in unsere schnelllebige Zeit. Das Ticken der mechanischen Uhr ist und bleibt der Herzschlag menschli- cher Kultur, auch wenn Smartwatches etwas anderes glauben machen. TRADITION TRIFFT MODERNE So viele Handwerksbetriebe hat 2017 die Digitalisierung erreicht Anteil nach Gewerbegruppen 54% 20% 36% 38% 26% 26% 24% Gesundheit Kfz Lebensmiel Gewerblicher Bedarf Ausbaugewerbe Umfrage unter 8.912 Handwerksbetrieben, 1. Quartal 2018 Rainer Rother, Künstlerischer Direktor Deutsche Kinemathek Im Gedächtnis bleiben Ob Tradition modern sein kann, ent- scheidet sich bei Filmen heute zu- nächst nicht nach Bedeutung, Aktu- alität oder ästhetischer Innovation eines sogenannten alten Werks. An- dere Künste bleiben mit ihrer Tra- dition präsent – in Ausstellungen, in Bibliotheken, im Repertoire. Die Öf- fentlichkeit entscheidet, was bleibt. Die Tradition des Films dagegen ver- schwindet durch einen technischen Umbruch. Die Präsentation, die Ver- triebswege funktionieren nicht mehr, sie sind bis auf wenige noch auf ana- loges Filmmaterial eingerichtete Kinos und Filmmuseen vollständig digital geworden. Kino, TV, DVD und Blu- Ray oder Video on Demand schließen „nur“ analog verfügbare Titel und da- mit das, was Tradition heißen könn- te, aus. Grob gesprochen sind alle bis etwa 2010 entstandenen Filme un- sichtbar geworden. Wieder sichtbar werden sie nur, wenn sie digitalisiert und damit in den neuen Vertriebswe- gen auch zeigbar werden. Was modern sein kann an der Tradition – bei über 100.000 abendfüllenden Titeln al- lein in der deutschen Filmgeschichte – wird zur Frage der Auswahl, der Bauhauptgewerbe Personenbezogene Dienstleistungen Quellen: ZDH, Statista Sigrid Förster, Leserin Ursprüngliche Kraft Für mich ist die schönste und auch die modernste Tradition das Segeln auf alten Windjammern – nachhaltig aus Holz gebaut, nicht aus profanem Plas- tik. Diese Schiffe verkörpern Tradition, Eleganz und nutzen auf ganz moder- ne Weise die Naturgewalt des Windes zur Fortbewegung. Mein Lieblings- schiff wurde vor über 130 Jahren als viktorianischer Rennkutter für einen Lord in Southampton auf Kiel gelegt. Nach ihrer Zeit als Rennyacht diente sie der Schmuggelbekämpfung in den englischen Küstengewässern und als Hausboot. Seit einigen Jahren hat man die Gelegenheit, auf diesem Stück Ge- schichte zu segeln und die See zu erle- ben. Schon das Schwanken des Schiffs und die Gerüche unter Deck versetzen Priorisierung für die Digitalisierung. Ist Gerhard Lamprechts Film „Kat- zensteg“ tatsächlich der immens mo- derne Film, als den ihn der mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Regisseur Andres Veiel – zu Recht – beschrieben hat? Die Deutsche Kine- mathek restauriert und digitalisiert ihn nun. Dann wird er als bislang unbeachtetes Meisterwerk erkennbar werden, das zur Tradition wie zu Mo- derne gehört. einen in eine andere Zeit. Der schönste Augenblick ist, wenn nach dem Aus- laufen die Segel gesetzt werden und dann die Maschine gestoppt wird. Die einsetzende Stille, verbunden mit den Geräuschen von Wind und Wasser, macht einem bewusst, dass man nah an der Natur ist und sich vom Alltag immer weiter weg entfernt. Rainer Fein, Vizepräsident Zentralverband der Deutschen Goldschmiede, Silberschmiede und Juweliere Sag es in Gold Schon in vorchristlicher Zeit ha- ben Goldschmiede in ihrem Beruf auf Tradition besonderen Wert ge- legt. Dies haben wir uns bis heute bewahrt. Deshalb ist heute wie in der nahen Zukunft gerade in die- sem Handwerk Tradition so mo- dern wie noch nie. Wir setzen uns durch immer wieder neue Ideen in der Gestaltung von Schmuck mit dem Neuen, aber auch mit der Be- wahrung von Altem auseinander. Gerade bei hochwertigem Schmuck legen immer mehr Kunden Wert auf Individualität. Die Gesellschaft hat heute viel mehr Möglichkeiten des Vergleichens. Genau darin liegt die Nicolas Flessa, Chefredakteur Zeitschrift „bauhaus now“ Untrennbar verbunden Ich kenne mich. Nachdem ich diesen Beitrag fertiggestellt habe, werde ich ihn auf meinem virtuellen „Schreib- tisch“ speichern. Auf einem Schreib- tisch, der keine Füße mehr hat. Und doch ist er, wie jeder echte Schreib- tisch, ein Spiegelbild der Seele sei- nes Benutzers. Auf meinem Schreib- tisch tummeln sich Dutzende von Dateien und natürlich ein PDF zum Bauhaus und der Moderne. Die Mo- derne hat sich immer auch als Zei- tenbruch verstanden. Diese Lesart haben wir bis heute beibehalten, wenn wir anlässlich des Bauhaus- Jubiläums auch den Anbruch der Moderne feiern. Doch wie modern ist eine Moderne, die man feiert wie eine gute alte Tradition? Wer heute von Wurzeln, Heimat und Identi- tät spricht, befindet sich leicht auf einer politisch abschüssigen Seite. Zu tiefgreifend war der Missbrauch, den diese Begriffe erfahren haben. Ist Tradition daher zwangsläufig antimodern? Ich glaube nicht. Als Walter Gropius seine Schule, die er allein der Gegenwart verpflichtet se- hen wollte, benannte, orientierte er sich dafür an einer Institution des Mittelalters: der Bauhütte. Schöner kann man die gegenseitige Abhän- gigkeit von Tradition und Moderne kaum auf den Punkt bringen. Der Computer, auf dem ich diese Zeilen schreibe, steht übrigens auf einem realen Schreibtisch, den ich vor dem Sperrmüll bewahrte. Letztes Jahr fand ich heraus: Er stammt aus der Feder eines Bauhäuslers. Ein sol- cher Klassiker wird mein virtueller Schreibtisch wohl kaum werden – oder etwa doch? Chance, sich von den Massenherstel- lern zu unterscheiden, indem man durch hohe Handwerkskunst wieder auf alte Traditionen Wert legt und sie zu neuem Leben erweckt. In der Branche zeigt sich, dass gerade Ma- nufakturen, die sich mit alten Tradi- tionen beschäftigen, großen Erfolg am Markt haben. Schmuck war und ist in der Zukunft eine Möglichkeit, sich zu individualisieren. Mit edlem Schmuck haben sich Menschen in al- ten Kulturen wie in der heutigen Zeit von der Masse abgesetzt. Um diese Handwerkskunst zu erhalten, bedarf es einer qualifizierten Ausbildung, die mit dem Abschluss der Meis- terprüfung enden sollte. Dadurch wären die Perspektiven für junge, gut ausgebildete Goldschmiede und Goldschmiedinnen so gut wie noch nie. Einen Leitspruch halte ich gera- de in der heutigen Zeit für unabding- lich, der da heißt: Das Alte bewahren und dem Neuen aufgeschlossen ge- genüberstehen.