+3 Magazin Juli 2022 | Page 4

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WIR FRAGEN :

WIE STÄRKEN WIR LÄNDLICHE REGIONEN ?

44 Prozent der Deutschen würden am liebsten auf dem Land leben . Quelle : alumniportal-deutschland . org
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Ralph Spiegler , Präsident Deutscher Städteund Gemeindebund
Mit Impulsen wachsen
In aktuellen politischen Debatten um Entlastungspakete kommt oft zu kurz , welch enorme Bedeutung ländliche Räume für Wirtschaft und Gesellschaft im ganzen Land haben . Rund zwei Drittel aller Arbeitsplätze in wissens- und innovationsintensiven Unternehmen befinden sich in ländlichen Räumen . Rückgrat sind viele kleine und mittelständische Unternehmen . Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von „ Hidden Champions “, die Weltmarkführer in ihrem Bereich sind . Hier wird auch an Technologien für den Ausbau erneuerbarer Energien und zur Begrenzung des Klimawandels gearbeitet
. Diese Unternehmen gilt es weiter zu stärken . Gerade in unsicheren Zeiten , die mit zusätzlichen Belastungen verbunden sind , müssen attraktive Bedingungen für die Wirtschaft und gute Lebensbedingungen für die Menschen ineinandergreifen . Voraussetzung ist die zielgerichtete Verbesserung der Finanzkraft der Gemeinden in ländlichen Räumen für mehr öffentliche Investitionen in die Infrastruktur . Diese werden etwa für den Ausbau von Breitband- und Wärmenetzen , Straßen- und Bahnanbindungen , Kulturund Freizeiteinrichtungen benötigt . Man muss die Menschen abholen und mitnehmen . Ihnen ein Umfeld bieten , in dem sie sesshaft werden und so ihre Arbeitskraft – egal , ob in Zukunftsbranchen oder im Pflegebereich – in diese Standorte einbringen möchten . Wichtig wäre , dass der Förderrahmen von Europäischer Union , Bund und Ländern diese Impulsinvestitionen schnell und unbürokratisch ermöglicht .
Mazda Adli , Psychiater und Stressforscher
Sehnsuchtsbild Land
Unsere Zukunft ist urban – und das ist keine schlechte Nachricht . Städte bieten vielfältige kulturelle Angebote , gute ärztliche Versorgung und allerhand Möglichkeiten , sich selbst zu entfalten . Aber : Städte sind auch Stress-Orte . Neben Lärm , Dreck und Hektik gibt es den sozialen Stress , der durch Dichte oder Einsamkeit ausgelöst wird . Dieser ist für die Psyche dann toxisch , wenn man ihm nicht ausweichen kann . Was wir daher brauchen , sind mehr öffentliche , nichtkommerzielle Orte , die Einsamkeit vorbeugen und Raum zum Durchatmen bieten . Ist es für unsere
Psyche dann nicht besser , aufs Land zu ziehen , werde ich oft gefragt . Meine Antwort lautet : Nein . Klar , die Pandemie hat den Städten größere Wunden zugefügt als ländlichen Regionen , die für viele Menschen ein Sinnbild für räumliche Freiheit , mehr Ruhe und Unabhängigkeit sind . Doch dieses Bild kann trügen . Denn das Leben auf dem Land kann beschwerlich sein . Ohne Auto ist man meist aufgeschmissen , der Alltag ist komplizierter zu organisieren , gerade für Familien . Unsere Psyche hat zwar in Städten mehr auszuhalten , was das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen erhöht . Dennoch leben Städter unter günstigeren Bedingungen , machen mehr Sport und ernähren sich gesünder . In Städten gibt es daher weniger Herz-Kreislauf- Probleme oder Übergewicht . Natürlich ist ein Wochenende auf dem Land eine Wohltat für unsere Seele , aber das ist nicht zu verwechseln mit dem Alltag auf dem Land .