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Han Steutel , Präsident Verband der forschenden Pharma-Unternehmen ( vfa )
Ein Medikament ist nicht genug
Mehr als 200 Orphan Drugs haben Pharmaunternehmen seit der Jahrtausendwende entwickelt – unterstützt durch die Gesetzgebung der Europäischen Union . Viele waren die ersten Medikamente , die gezielt auf die jeweilige Krankheit abgestimmt waren , und sie haben die Situation vieler Betroffener verbessert . Doch um aus einer unbehandelbaren eine zuverlässig therapierbare Krankheit zu machen , ist nur ein Medikament
nicht genug ; es braucht mehrere . Das gilt schon deshalb , weil ein Medikament so gut wie nie in jedem Falle wirksam und verträglich ist . Es gilt aber auch , weil viele seltene Leiden Krebserkrankungen sind , bei denen Tumorzellen oft nach einer Weile gegen ein Medikament resistent werden . Und bei Erkrankungen aufgrund eines angeborenen Mangels an einem bestimmten Gerinnungsfaktor oder einem anderen Protein kann es vorkommen , dass die Behandelten Antikörper gegen die medikamentös verabreichten Ersatzproteine entwickeln . Deshalb wenden sich Pharmaunternehmen nicht von einer Krankheit ab , nachdem das erste Mittel zugelassen wurde . Und ihre Arbeit für weitere Medikamente verdient die gleiche Anerkennung und Förderung wie die im ersten Fall .
Maresa und Anil , von ANCA-assoziierter Vaskulitis ( AAV ) Betroffene
Gemeinsam stärker
Maresa , heute 23 Jahre alt , bekam ihre Diagnose ANCA-assoziierte Vaskulitis ( AAV ) mit 19 . Auch Anil , 36 Jahre aus der Schweiz , hat AAV . Beide kennen sich aus einer länderübergreifenden Selbsthilfeinitiative , in der sie sich austauschen . Es ist ihnen wichtig , ihre Erkrankung bekannter zu machen , denn so wird vielleicht der Weg zur Diagnose für andere kürzer .
Maresa : „ Gerade am Anfang der Diagnose steht man quasi alleine da . Und das ist auch ein bisschen das Ziel , dass man mit Initiativen , wie zum Beispiel Selbsthilfegruppen , Leute erreicht , die gerade auf der Suche nach Gleichgesinnten sind . Der Austausch ist wichtig . Weil AAV so extrem selten ist , trifft man nicht mal eben so jemanden auf der Straße , der das auch hat .“
Anil : „ Ich hab ’ ein Jahr gebraucht , bis ich zu dieser Gruppe gestoßen bin . Ich kannte niemanden mit der gleichen oder einer ähnlichen Erkrankung , deshalb finde ich es auch wichtig , dass das Thema kommuniziert wird , dass man die Möglichkeit hat , sich zu informieren , oder auch die Familie . Die müssen ja ebenso einen Weg finden , um mit dem Ganzen klarzukommen .“
Frank Stehr , Vorstand NCL-Stiftung
Eine von vielen
Zu den seltenen Erkrankungen gehört auch die Kinderdemenz NCL . NCL steht für Neuronale Ceroid Lipofuszinose . Bei den betroffenen
Kindern sterben fortschreitend die Nervenzellen im Gehirn ab , kaum eines der Kinder erreicht das 30 . Lebensjahr . Rund 700 NCL-Kinder gibt es in Deutschland , weltweit sind es etwa 70.000 . Der Krankheitsmechanismus ist noch nicht vollständig geklärt . Doch bekannt ist , dass aufgrund eines Gendefekts die Funktion der Lysosomen , der „ Recyclinghöfe “ der Zellen , gestört ist , es zu krankhaften Ablagerungen kommt und wichtige Transport- und Signalwege im
zellulären Netzwerk nachhaltig beeinträchtigt werden . Die Forschung an NCL bietet auch einen Mehrwert für andere , häufig vorkommende neurodegenerative Erkrankungen , vor allem für Alzheimer , Parkinson und die Frontotemporale Demenz . Gemeinsamkeiten sind offensichtlich : Im Verlauf der Erkrankungen kommt es zum Verlust von Nervenzellen , es zeigen sich eine Demenz und weitere neurologische Symptome . Auffallend sind auch die krankhaften
Zellablagerungen , die bei all diesen Erkrankungen zu beobachten sind . So kann ein vertieftes Verständnis der zellspezifischen Krankheitsmechanismen bei der Kinderdemenz dazu beitragen , neue Zielstrukturen für eine Therapie zu finden , die auch für neurologische Krankheiten des Erwachsenenalters relevant sind . Die NCL-Stiftung setzt sich weltweit für die Erforschung von Kinderdemenz ein , um den betroffenen Familien zukünftig helfen zu können .
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MEHR GEHÖR FÜR PATIENTENSTIMMEN

Patienten mit der seltenen Erkrankung Hämophilie fehlen Gerinnungsfaktoren im Blut , was zu lebensbedrohlichen Blutungen führen kann . Bislang war man auf Faktorpräparate angewiesen , doch das ändert sich gerade . Denn zuletzt gab es mehrfach grünes Licht für die ersten Gentherapien gegen Hämophilie A und die noch seltenere B-Variante . „ Wichtig ist , dass diese Durchbrüche in der Forschung auch bei den Patienten ankommen “, betont Tobias Becker , Hämophilie-A-Patient und Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft Hämophiler ( IGH ).
Es tut sich viel in der Forschung . Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden ? Wir haben in der Tat noch nie eine Zeit erlebt , in der so viele neue Präparate und Therapien auf den Markt gekommen sind wie zuletzt . Entscheidend ist , dass die neuartigen Therapien auch den Menschen in Deutschland zugänglich gemacht werden . Dafür müssten Politik und Behörden die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen formen .
Es gibt Ausschlusskriterien , weshalb eine Gentherapie für manche Patienten nicht infrage kommt . Wo sehen Sie weitere Hürden ? Aktuell geht eine solche Therapie mit viel initialem Aufwand einher : Man muss häufig in die Zentren gehen , muss eine Reihe von Tests im Vorfeld machen . Die Logistik ist für Menschen , die kein Hämophilie- Zentrum in der Nähe haben , durchaus ein Thema . Zugleich darf man nicht vergessen , dass es noch nicht die endgültige Heilung bedeutet – obwohl es sicherlich ein Durchbruch für viele Jahre sein kann .
möglich machen , ein Leben zu führen , bei dem die Hämophilie nicht ständig und täglich im Hinterkopf ist . Das wäre eine deutliche Verbesserung . Zugleich darf man nicht vergessen , dass die Hämophilie eine von vielen seltenen Krankheiten ist , für die eine Gentherapie in Betracht kommt . Besonders vor dem Hintergrund der Vielzahl an neuen Einmaltherapien muss man sich fragen , ob die derzeit beschrittenen Wege der Finanzierung geeignet sind , um den Zugang zu diesen Therapien zu gewährleisten .
Ihre Vision für die IGH ? Unser Ziel ist , dass Betroffene kontinuierlich involviert werden in Entscheidungsprozesse . Wichtig wäre , dass wir gemeinsam mit allen Parteien als Teil einer ganzheitlichen Therapie wahrgenommen werden . Nur gemeinsam mit den Ärzten und Hämophilie-Zentren , den forschenden Arzneimittelherstellern , der Politik und den Apotheken wird es uns gelingen , umfassend zu informieren und damit Bedenken gegen neue Therapien abzubauen . Patientenstimmen brauchen allgemein mehr Gehör , wenn es um Veränderungen geht – sei es bei Medikamenten , sei es bei der Infrastruktur . Auch bei diesem Punkt spreche ich nicht nur für die Hämophilie , denn dies gilt auch für alle anderen seltenen Erkrankungen .
Mehr Informationen unter : igh . info
Wie signifikant kann sich eine Gentherapie , sofern sie gut angenommen wird , auf die Lebensqualität auswirken ? Das ist natürlich eine sehr individuelle Frage . Aber sie kann es durchaus