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Jennifer Hempel , Leserin
Gutes Vorbild
Das große Ziel ist , eine Krebsdiagnose zu vermeiden . Wenn ich lese , dass der Anteil junger Raucher im letzten Jahr sprunghaft gestiegen ist , wird mir Angst und Bange . Das es anders geht , zeigt Neuseeland . Das Land soll ab 2025 rauchfrei sein . Die Verkaufsstellen werden um 90 Prozent reduziert und jüngeren Generationen wird der Kauf von Tabak Schritt für Schritt ganz verboten . Die süchtig machenden Bestandteile der Zigaretten werden reduziert und die Verkaufspreise heraufgesetzt . Es wäre interessant , wie sich der Anteil der Raucher und damit auch die Zahl der Krebspatienten in unserem Land entwickeln würde , wenn die Politik ähnlich konsequent wäre und sich nicht von der Tabaklobby beeinflussen ließe .
Kirsten Kübler , Professorin für Early Cancer Development and Prevention , Berlin Institute of Health ( BIH ), Charité Universitätsmedizin
Wettlauf mit den Mutationen
Wer die Diagnose Krebs erhält , fragt sich nicht selten : Warum habe ich das nicht früher gemerkt ? Genau das war meine Motivation , mich als Medizinerin wissenschaftlich zu betätigen , denn im klinischen Alltag habe ich hautnah erlebt , dass die Früherkennung vieler Tumorerkrankungen unzureichend ist . Ziel meiner Forschung ist es daher , besser zu verstehen , wie Tumoren entstehen , und so die Vision einer Früherkennung – oder besser noch Prävention – von Krebserkrankungen wahr werden zu lassen . Ich denke , dass auf diesem Gebiet gerade das Zusammenwirken von Ansätzen aus Bioinformatik und Laborexperimenten wissenschaftlichen Fortschritt ermöglicht . Mittels dieser beider Techniken analysieren wir das Erbgut von Tumorzellen und suchen nach molekularen Veränderungen , die am Anfang der Tumorentwicklung stehen . Diese molekularen Veränderungen im Tumorerbgut bieten schon heute den Schlüssel für verbesserte und gezieltere Therapiemöglichkeiten . Auch für unser Ziel , den Krebs zukünftig früher zu erkennen oder ganz vermeiden zu können , spielen sie eine wichtige Rolle . Wenn wir die allerersten molekularen Veränderungen entdeckt haben und so die Entstehungsgeschichte von Tumoren zurückverfolgen können , wird es uns möglich sein , Tumorerkrankungen über veränderte Lebensbedingungen und die Reduktion schädlicher Umwelteinflüsse vermeidbar zu machen oder zumindest mittels verbesserter Vorsorgetechniken deutlich früher zu erkennen .
Teil des Lebens
Martin Schuler , Direktor Innere Klinik , Westdeutsches Tumorzentrum der Universitätsmedizin Essen
So schockierend die Diagnose ist , man sollte sich immer vor Augen halten : Die Mehrzahl der Krebserkrankungen lässt sich heute heilen oder chronifizieren . Je früher der Krebs erkannt wird , umso besser die Heilungschancen . Auch im fort-
Jakob N . Kather , Professor für Clinical Artificial Intelligence , Else Kröner Fresenius Center for Digital Health , TU Dresden
Erst der Anfang
In der Krebsmedizin unterstützt bereits jetzt Künstliche Intelligenz Ärztinnen und Ärzte dabei , kleinere Tumoren besser zu erkennen , unter anderem bei Darmspiegelungen zur Früherkennung von Darmkrebs . Auch für Radiologie und Pathologie gibt es bereits zugelassene KI-Systeme , die die Diagnosemöglichkeiten bei Krebs verbessern . In meiner Forschungsgruppe an der TU Dresden und dem Universitätsklinikum Dresden entwickeln wir neue Methoden der Künstlichen Intelligenz , die uns nicht nur bei der Diagnose von Tumoren helfen können . Beispielsweise ist es bei den meisten Krebsarten
geschrittenen Stadium gibt es gut verträgliche Therapien . Muss ein Tumor operiert werden , ist das oft minimalinvasiv möglich . Längere Klinikaufenthalte und starke Narbenschmerzen lassen sich vermeiden . Auch Ältere und Menschen mit Begleiterkrankungen lassen sich so schonend und sicher operieren . Gleiches gilt für eine anschließend erforderliche Strahlen- oder medikamentöse Therapie , die meist ambulant durchgeführt werden können , zielgenauer und verträglicher sind als noch vor einigen Jahren . Vorteil
KREBS WARTET NICHT Der lange Schatten der Covid-19-Pandemie
unentdeckte Krebserkrankungen in Deutschland während der ersten Corona-Welle im Frühjahr 2020 nach Schätzungen der Barmer

16,7 %

weniger Krebsoperationen im Zeitraum April bis Juni 2020 als in den Vergleichszeiträumen 2017 bis 2019

40 %

weniger Krebsdiagnosen weltweit im Jahr 2020

2.600

weniger Krebsdiagnosen in Deutschland im Zeitraum März bis Mai 2020 im Vergleich zum Vorjahr

10 %

21 %

der Deutschen verschoben zwischen März und Juli 2020 aus Sorge vor COVID-19 ihre Krebsvorsorgeuntersuchungen
Quellen : Astra Zeneca , Pharma Fakten
nicht immer einfach zu entscheiden , welches der vielen Medikamente zur richtigen Zeit das richtige ist . Wir denken daher auch , dass KI uns dabei helfen kann , bessere Therapieempfehlungen zu geben . Als Forschungsgruppe ist es unsere Aufgabe , den Horizont des Möglichen zu erweitern . Die Methoden , die wir entwickeln , werden voraussichtlich erst in einigen Jahren im klinischen Alltag zum Einsatz kommen . Allerdings kann es manchmal auch schnell gehen : Als wir vor vier Jahren das erste KI-System für die Onkologie entwickelt haben , schien die Anwendung noch weit entfernt . Seit einigen Monaten ist dieses System jedoch als Medizinprodukt zugelassen . Natürlich gibt es für unsere Forschung in Deutschland sehr große Hürden , gerade durch veraltete Prozesse und fehlende Digitalisierung . Wir sind jedoch zuversichtlich , dass wir international an der Spitze der Forschung bleiben können .
der ambulanten Therapie ist , dass Betroffene nicht aus ihrem Umfeld gerissen werden . Durch Fortschritte bei medikamentösen Therapien können viele fortgeschrittene Krebserkrankungen für längere Zeit in ein „ chronisches Stadium “ überführt werden oder die Behandlung ist – zum Beispiel bei adjuvanten Therapien zur Reduktion des Rückfallrisikos nach Operation – nur für einen begrenzten Zeitraum erforderlich . Längst hat man zudem erkannt , wie wichtig es für das Wohlbefinden und den Krankheitsverlauf ist , Betroffene zum Beispiel durch Sport aktiv zu halten , um Müdigkeit und Erschöpfung als häufige Nebenwirkung zu vermeiden . Eine Krebserkrankung kann damit heute zum Teil des normalen Lebens werden und bestimmt es nicht mehr .
Michael Meyer , Leser
Mit Verve dagegen
Gerade mal fünf Monate in Pension , bekam ich die Diagnose : Lymphdrüsenkrebs . Wie aus heiterem Himmel . Dazu kam die Pandemie , alles scheinbar unentrinnbar miteinander verklumpt . Nach dem ersten Schock und dem Beratschlagen in der Familie stand fest : Ich wollte kämpfen . Ohne in Selbstmitleid zu fallen . Aktiv die Ohnmachtsgefühle angehen . Konkret : Körperlich fit bleiben . Mich mental herausfordern . Parallel zu den Chemotherapien bastelte ich an realistischen täglichen Schrittzielen , die Erfolgserlebnisse ermöglichten . Ich wollte nicht leise leiden , Menschen meiden . Besann mich auf meine Community , Familie , Freunde , ehemalige Kolleg : innen . Informierte diese über meine Krankheit . Immer wenn es etwas zu berichten gab , schrieb ich eine Mail . Ergänzte bald meine „ Wasserstandsmeldungen “ durch kleine literarische Bonmots . Holte mir Anregungen bei den Krebs-Blogs der Künstler Schlingensief und Herrndorf . Ich bekam viele Rückmeldungen , die meine Post goutierten und mir Mut zusprachen . Egal , ob durch christlichen Beistand oder rustikale Aufmunterungen , es kam von Herzen . Und : Es kam an . Darüber hinaus suchte ich fachlichen Rat und Austausch bei einer befreundeten Therapeutin , einer Heilpraktikerin . Medizinisch nach neun Monaten „ austherapiert “, wurde ich nach Marburg geschickt . Eine neuartige CAR-T-Zell-Therapie , ein letzter Versuch . Dieses Mal mit Erfolg : krebsfrei . Es war , als hätt ‘ der Himmel die Erde still geküsst .
Svenja Braun , Leserin
Meine Eltern haben beide die Diagnose Krebs erhalten . Gestorben sind beide . Ich vermisse euch , jeden Tag .