+3 Magazin Februar 2022 | Page 20

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Tut etwas
Bernd Rosenbichler , Initiator und Vorsitzender Alström-Initiative
2016 wurde bei meinem Sohn Ben nach vier Jahren der Suche nach der Ursache seiner Sehbehindeng fast zufällig der extrem seltene Gendefekt Alström diagnostiziert . Vier Jahre Suche sind bei einer seltenen Erkrankung leider die Regel . Nur wenige Ärzte haben je davon gehört und können diese diagnostizieren . Was Alström bedeutet , erfuhren wir über Wikipedia : Blindheit , Hörschäden , Herzinsuffizienz , Adipositas , Diabetes – die Liste ging endlos weiter . Diese Nachricht verändert alles . Man lernt , den Augenblick zu schätzen , und ich lernte von einem kleinen Mann , was Glück und Glücklichsein bedeutet . Ben – heute neun – ist so gut wie blind , er hört ( noch ) zu 60 Prozent und das ist erst der Anfang . Trotzdem sieht sich Ben als Glückskind . Man verspürt aber auch eine brutale Hilflosigkeit . Forschung und Empirie ? Kaum vorhanden . Therapien ? Nichts Spezifisches . Heilung ? Gibt es keine . Ganzheitliche Betreuung ? Unmöglich . Ist halt so , denkt vermutlich mancher . Aber ist nichts zu tun die Lösung ? Bei mir hat es dazu geführt , meinen Beruf aufzugeben ,
um etwas zu tun – für Ben und die vielen Bens dieser Welt . Mein Ziel ist es , dass man sich zukünftig verstärkt und ganzheitlich um seltene Krankheiten und Betroffene kümmert – mit ganzheitlichem und patientenorientiertem Blick auf die jeweilige Krankheit zum Nutzen möglichst vieler . Die Alström-Initiative soll dabei den Anfang bilden . Ob es funktioniert , weiß ich nicht . Aber nichts getan wurde lange genug .
Thomas Kröger , Leser
Engagement honorieren
Ich finde es immer wieder bewundernswert , wie Menschen sich für andere Menschen einsetzen . Insbesondere das Engagement für Kinder mit seltenen Krankheiten verdient höchsten Respekt . Als Vater zweier Kinder kann ich selber sagen , dass es eine große Belastung sein kann , Kinder leiden
zu sehen . Ich kann mir gut vorstellen , dass die Arbeit mit kleinen Patienten auch sehr viel zurückgibt und man aus diesen persönlichen Verhältnissen viel Kraft und Motivation schöpfen kann . Gerade in der Pandemie , die uns seit zwei Jahren in Atem hält , sind die Patienten und ihre Helfer besonderen Herausforderungen ausgesetzt , wenn man nur mal an Abstandsregeln und Quarantänebestimmungen denkt . Vor allem für Kinder muss es schlimm sein , wenn sie von ihren Bezugspersonen , die ihnen Halt und Trost geben , getrennt werden . Auch für die Helfenden wird es ein furchtbares Gefühl sein , wenn sie keinen persönlichen Kontakt zu ihren Schützlingen haben und sich das Miteinander auf Telefonate und Videokonferenzen beschränkt . Pflege und Zuneigung kann man nicht digitalisieren , hier zählt nur der persönliche Kontakt , ein direkter Blick in die Augen und eine haltende Hand . Ich hoffe , dass auch diese Menschen vom aktuell diskutierten Pflegebonus profitieren können .
Christopher Baum , Vorsitzender des Direktoriums Berlin Institute of Health ( BIH ), Charité Berlin
Standards helfen
Ruth Meyer , Leserin
Schnelle Diagnose
Ich finde es schlimm , dass manche Patienten mehrere Jahre auf ihre Diagnose warten müssen . Zu den Symptomen der Krankheit kommt noch die Ungewissheit dazu – und dann ist ja noch gar nicht klar , ob es überhaupt eine wirksame Therapie gibt . Ich finde , es wäre eine gute Idee , hier den Hausärzten mehr Verantwortung abzunehmen . Als Hausarzt kann man nicht all die seltenen Krankheiten kennen . Digitale Assistenzsysteme würden ihm bei der Einschätzung von Symptomen bestimmt eine gute Hilfe sein .
Gilbert Wenzel , Vorstand United Healthcare Partners
Mehr Lebensqualität
Früher war alles besser – das gilt definitiv nicht für seltene Krankheiten . Heute sind Forschung und Therapiemöglichkeiten viel weiter . Dass dadurch schneller diagnostiziert werden kann , ist natürlich ein Gewinn , stellt aber Betroffene auch vor große Herausforderungen , etwa wenn es
Thorsten Fischer , Leser
Direkte Unterstützung
DIES IST EINE GESPONSERTE ANTWORT , ALSO EINE ANZEIGE
darum geht , die Behandlung in den Alltag zu integrieren . Oftmals müssen Menschen mit seltenen Erkrankungen wöchentlich Hunderte von Kilometern in eine spezielle Klinik fahren , um die notwendige Therapie zu erhalten . Gerade für Kinder , die dadurch im Schulunterricht fehlen , ist ein solcher Aufwand nur schwer erträglich . Bei Erwachsenen wiederum , die dadurch einen ganzen Arbeitstag verlieren , sinkt oftmals auch die Therapietreue . Das kann fatale Folgen haben , gerade bei Menschen , die regelmäßig Infusionen benötigen . Aus diesem Grund haben wir die Modelle „ Healthcare at Home “
Ich bin vergangenes Jahr durch das + 3 Magazin erstmals so richtig auf das Thema seltene Krankheiten aufmerksam geworden . Besonders bewegend fand ich die Schilderungen der Menschen , die selbst erkrankt sind oder ein Kind mit einer seltenen Krankheit haben , und ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen , indem sie sich in Selbsthilfegruppen und Initiativen organisieren . Mir war gar nicht bewusst , wie herausfordernd ihr Leben ist . Ich finde das bewundernswert und habe mich gefragt , ob ich nicht auch ein bisschen helfen kann . Daher hatte ich mich kurz darauf dazu entschlossen , einen kleinen Betrag an eine Stiftung zu spenden , die sich für Betroffene von seltenen Krankheiten einsetzt . Seitdem spende ich regelmäßig und ich kann nur jeden auch dazu ermutigen . Denn wer mit einer seltenen Krankheit leben muss , hat , denke ich , alle Unterstützung verdient .
und „ Infusion at Home “ entwickelt – mit medizinischem Fachpersonal und in enger Abstimmung mit dem behandelnden Arzt . Indem wir Patienten mit einer Infusion oder Therapie am Arbeitsplatz , in der Schule oder zu Hause versorgen , können sie wieder ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen . Unser Ziel ist es , die Heimtherapie flächendeckend für alle Patienten mit seltenen Krankheiten zugänglich zu machen und in unserem Gesundheitssystem als festen Bestandteil zu verankern – zumal eine ambulante Therapie in der Regel deutlich günstiger ist als eine stationäre .
Menschen mit seltenen Erkrankungen sind oft unsichtbar im Gesundheitssystem . Einerseits vergeht zu viel Zeit bis zur gesicherten Diagnose , andererseits gibt es selbst dann oft keine präzise Kodierung nach internationalen Standards . Weil die Erkrankung nicht einheitlich dokumentiert wird , fällt es Patienten und Ärzten schwer , sich zu vernetzen . Ohne sorgfältig gepflegte Patientenakten geht auch immer noch zu viel Information verloren , wenn Patienten das Gesundheitssystem durchwandern müssen . Im BIH setzen wir uns mit der Initiative CORD-MI dafür ein , dass Universitätskliniken und weitere Krankenversorger in ganz Deutschland seltene Erkrankungen zukünftig mit sogenannten Orpha-Codes eindeutig identifizieren und dokumentieren können . Die einheitlich aufbereiteten Patientendaten könnten so miteinander vernetzt und datenschutzgerecht analysiert werden . Auch setzen wir uns für den Aufbau zentraler Register ein , die auf dezentral erhobene und gespeicherte Daten zugreifen , selbstverständlich nur mit Einverständnis der Betroffenen . Für die Zukunft wollen wir unsere Stärken in der molekularen und datenwissenschaftlichen Medizin noch gezielter einbringen , um die Diagnostik und Beratung von Betroffenen zu verbessern und wo möglich auch neue Behandlungsansätze zu identifizieren . Alles in allem tut sich viel , nicht nur bei uns . Ich bin daher optimistisch , dass sich die Situation für Menschen mit seltenen Erkrankungen nachhaltig verbessern wird . ›