+3 Magazin Februar 2021 | Page 21

E-MOBILITÄT ALLEIN MACHT NOCH KEINE MOBILITÄTSWENDE

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Als Vorsitzender der Geschäftsführung von TÜV NORD Mobilität entwickelt Hartmut Abeln Visionen für den Verkehr von morgen . Ein Gespräch über digitalisierte Werkstätten , vollvernetzte Fahrzeugflotten und die elektronische Patientenakte für Autos .
Was tut TÜV NORD , um den Wandel in der Mobilität mitzugestalten ?
Wir sind in allen Gremien vertreten , die heute jene Richtlinien erarbeiten , mit denen zukünftig sichergestellt wird , dass sowohl die technischen Lösungen für Fahrzeuge als auch die Mobilitätskonzepte insgesamt sicher sind . Indem wir bei Themen wie zukünftigen Prüfverfahren , Regularien- und Richtliniengestaltung mit am Tisch sind , können wir diesen Wandel aktiv mitgestalten .
Besonders bei den Antriebssystemen ist derzeit viel Innovation zu verzeichnen . Ist das eine große Herausforderung für die TÜV-Sachverständigen ?
Durchaus , bei der Hauptuntersuchung mussten sich die vielen Tausend Sachverständigen rechtzeitig darauf vorbereiten . Es gab neue Prüfvorgaben , auch die Ausbildung musste so gestaltet werden , dass die Techniker in der Lage sind , auf all diese Fahrzeuge zu reagieren . Anders jedoch als vor 20 Jahren läuft vieles heute bereits digital . Die Sachverständigen bekommen sofort alle relevanten Prüfhinweise auf den Bildschirm übermittelt .
Kann man sagen : Der TÜV ist bei der digitalen Patientenakte schon einen Schritt weiter ?
Welche Aspekte sind entscheidend , damit diese Vision Wirklichkeit werden kann ?
Um zu einer unabhängigen , geteilten Mobilität zu gelangen , ist einerseits der Automatisierungsgrad entscheidend , bis hin zum autonom fahrenden Fahrzeug . Flankiert wird diese Entwicklung von der Shared Mobility , wobei große Fahrzeugflotten entstehen werden , auf die wir dann einfach zugreifen werden . Je nach individuellem Mobilitätsbedarf wird immer nur das Fahrzeug ausgesucht , das den kürzesten Weg zu uns hat . Die Zahl der Autos im Privatbesitz wird entsprechend schrumpfen .
Im Hobbybereich bleibt Eigentum aber weiterhin wichtig , oder wie sehen Sie das als passionierter Oldtimer-Fan ?
Klar , da wird Eigentum weiter wichtig sein , genau wie bei Sportwagen . Aber diese Segmente haben ja eher etwas mit Liebhaberei und dem Erhalt der Automobilkultur zu tun .
So ist es , wobei es sich hier um eine Branchenlösung handelt , an der wir mitgearbeitet haben .
Ist die Elektrisierung des Verkehrs also nur ein erster Schritt zur Mobilität der Zukunft ?
Ist der TÜV NORD-Experte in zehn Jahren noch Fahrzeugingenieur oder Softwareexperte ?
Das eine schließt das andere nicht aus . Früher hat man einen Kfz-Schlosser ausgebildet , heute ist das ein Mechatroniker . Bei den Fahrzeugingenieuren ist es ähnlich : Lag früher der Ausbildungsschwerpunkt auf der Mechanik , hat zuletzt der Anteil der IT deutlich zugenommen . Der Ingenieur der Zukunft wird in diesen Themen noch viel stärker bewandert sein . Ein reiner Softwareexperte kann er jedoch nicht sein , da viele mechanische Komponenten weiterhin am Fahrzeug bestehen bleiben .
Die Vision geht deutlich über die Verbreitung von E-Motoren hinaus , denn E-Mobilität allein macht noch keine Mobilitätswende . Das eine ist der Austausch des Antriebs , das andere ein vollvernetztes , autonom fahrendes , geteiltes Fahrzeug , das wiederum multimodal , also mit anderen Verkehrsträgern , eingebunden ist . Das ist die eigentliche Mobilitätswende .
Mehr Informationen unter : tuev-nord . de
Ist der Ausbau der Ladeinfrastruktur auch ein Thema ?
Auch da sind wir dran , und natürlich steht auch hier die Sicherheit ganz vorne , verbunden mit dem Thema Zertifizierung . Durch den bidirektionalen Austausch beim Laden kommen zudem Security und Privacy hinzu . Es wird also nicht nur Strom getankt , sondern auch die Übermittlung von Daten in die andere Richtung realisiert . Darüber hinaus werden wir auch planerisch aktiv , wenn Kommunen uns etwa damit beauftragen , eine maßgeschneiderte Infrastrukturlösung für sie zu entwickeln .
Sie haben mal gesagt , das Auto der Zukunft werde aus Raum und Zeit herausgelöst . Wie ist das gemeint ?
Das bezog sich auf die These der Fahrzeughersteller , die besagt , das Auto der Zukunft sei eher ein rollendes Smartphone . Ich teile diese Vision : Nicht länger ein bloßes Transportmittel , um von A nach B zu kommen , ist es dann voll vernetzt mit allen Bereichen des Lebens , ja , es wird selbst ein vollintegrierter Teil meines Lebens . Um mal ein radikales , aber nicht unrealistisches Beispiel zu geben : Wer in 20 Jahren spontan noch Hunger bekommt , wird einfach sein Auto beauftragen , zur Pizzeria zu fahren . Zugleich kommuniziert das Fahrzeug mit der gesamten Infrastruktur : Wenn man morgens zur Arbeit fährt , kommuniziert das Auto bereits mit der Stadt und kriegt schon einen Parkplatz zugewiesen . Das Verkehrsaufkommen kann so um gut 30 Prozent reduziert werden .