+3 Magazin Februar 2021 | Page 18

Lore m
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Christian Heinrich , Leser
Anreize setzen
Heutzutage wird ein Großteil der seltenen Erkrankungen glücklicherweise bereits in der ganz frühen Kindheit bei den betreffenden Personen bemerkt und im Idealfall auch bald darauf diagnostiziert . Bis zur genauen Diagnose kann es gelegentlich zwar noch sehr lange dauern , aber das rechtzeitige Bemerken ist der erste große Schritt bei der Behandlung und bereits ein sehr großer Fortschritt zu früheren Zeiten . Aufgrund des Engagements einzelner Mediziner ist dadurch die Lebenserwartung bei Menschen mit seltenen Erkrankungen in
Ulf Schönermarck , Oberarzt am Nephrologischen Zentrum , Klinikum der Universität München
Viel zu verbessern
Wie so viele seltene Autoimmunerkrankungen hat auch die ANCAassoziierte Vaskulitis ( AAV ) einen sehr variablen Verlauf . Sie beginnt oft schleichend mit unspezifischen Symptomen . Als entzündliche Erkrankung der kleinen Blutgefäße kann sie potenziell alle Organe betreffen , häufig sind es jedoch Lunge , Niere und der HNO-Bereich . Um bleibende Schäden zu verhindern , ist eine frühzeitige Diagnose entscheidend . Laboruntersuchungen und der Nachweis spezifischer Auto-Antikörper sind dabei zentral . Beste Voraussetzungen für Diagnostik und Therapie bieten medizinische Expertenzentren . Dort ist der Weg zur Diagnose oft kürzer und auch neueste Therapieangebote sind rasch verfügbar . Trotz großer Fortschritte gibt es noch Verbesserungspotenzial : Wünschenswert wäre eine Individualisierung der Therapie . Auch kann der Verlauf bislang nur aufgehalten werden , ultimativ wäre jedoch eine dauerhafte Heilung . Beispielhaft können das oft mit AVV einhergehende Erschöpfungssyndrom weiter untersucht und
den letzten zwei Jahrzehnten deutlich angestiegen . Trotz einer frühzeitigen Diagnose stehen die meisten Betroffenen aber noch immer vor dem gleichen Problem : Meistens gibt es noch keine wirkungsvollen Medikamente , die bereits komplett fertig entwickelt , getestet und freigegeben sind . Zudem stehen oft auch noch keine Therapien zur Verfügung , die eine Linderung oder gar eine mittelfristige Heilung versprechen . Daher finde ich es äußerst traurig , dass sich ausgerechnet die Pharmaunternehmen hier aufgrund der geringeren Profiterwartungen aus der Verantwortung stehlen . Vermutlich kann man die Forschung hier nur mit zusätzlichen Anreizen stimulieren . Lohnen würde sich das .
Rehamaßnahmen besser angepasst werden . Auf Patientenseite sind ein besseres Krankheitsverständnis , aber auch Geduld und die Einbindung des sozialen Netzwerkes entscheidend . Entlastung , auch durch Selbsthilfegruppen , ist genauso wichtig wie
Marion Schwarz , Psychologin und AAV-Patientin
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Mehr Austausch
Die wichtigsten Zahlen und Fakten zur ANCA-assoziierten Vaskulitis
1 von 10.000 Menschen ist in Europa von AAV betroffen 1
Lebenswichtige Organe wie z . Bsp . die Nieren oder die Lunge können von einer AAV betroffen sein 3
Bei 1 / 3 der Patienten erfolgt die Diagnose erst nach 6 Monaten oder später 5
26 % der Patienten mit Nierenbeteiligung haben schwere Nierenprobleme nach 3 Jahren 9
AAV : eine seltene schwer verlaufende Autoimmun- Erkrankung mit großen Auswirkungen auf die Lebensqualität
Wichtige Informationen zur Diagnose und Behandlung der AAV
Durchschnittliches Alter bei Diagnose ist 57
Jahre 2
20 % der Patienten im erwebsfähigen Alter sind ohne Arbeit aufgrund ihrer
AAV-Erkrankung 4
Gesundheitliche Probleme sind oft nicht nur durch die Grunderkrankung selbst verursacht , sondern können auch mit der Therapie
zusammenhängen 6 9
Job code : DE-AVA-2100004
Quelle : Vifor Pharma
Impfungen , um unnötige Risiken zu vermeiden . Da AAV-Patienten ein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf haben , sollten sie sich unbedingt impfen lassen – idealerweise in einer Phase geringer Krankheitsaktivität .
Es war ein langer Weg bis zur Diagnose ANCA-assoziierte Vaskulitis ( AAV ). Als sich meine Nase entzündete , habe ich das zunächst als eine Erkältung abgetan . Da kein Mittel half , landete ich nach drei Monaten in der Uniklinik . Schnell stand die Diagnose „ schiefe Nasenscheidewand “, man fragte nicht weiter nach . Aber es wurde immer schlimmer : Fieber , blutiger
Nasenauswurf , inzwischen hatte ich Löcher in den Trommelfellen und konnte kaum noch hören . Dazu kamen Sehstörungen . Mit den Ärzten kommunizierte ich schriftlich , konnte nicht mehr arbeiten . Schließlich kam ich zu einer Ärztin , die einen ganzheitlichen Ansatz verfolgte und mich ernst nahm . Sie fragte nach dem Geschmackssinn , dem Schwitzen , dem erhöhten Schlafbedürfnis – und so kam es dann zur korrekten Diagnose : AAV . Später erfuhr ich , dass ich sogar noch Glück gehabt hatte , da Lunge und Nieren noch nicht in Mitleidenschaft gezogen waren . Ich würde mir wünschen , dass es mehr Austausch gibt zwischen den Fachbereichen , mehr Interdisziplinarität , mehr Aufklärung . Für Betroffene ist wichtig , dass sie Stress reduzieren , Aufgaben abgeben , einfach gut für sich sorgen mit ausreichend Schlaf , gesunder Ernährung , viel frischer Luft . Man darf sich nicht einfangen lassen von der Krankheit , sondern muss auch das gesunde Leben im Blick behalten . Viele Tipps bekommt man in Selbsthilfegruppen , die sich dank des Pandemie-bedingten Digitalschubs heute besser denn je vernetzen können .
Marita Fuchs , Leserin
Aus dem Schatten
Wenn man sich mit dem Thema seltene Krankheiten beschäftigt , wird der Begriff der Waisen eigentlich überflüssig . Es gibt unheimlich viele Menschen und Institutionen , die sich um Menschen mit seltenen Krankheiten kümmern . Ich glaube , dass durch Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit die Gesellschaft immer mehr über die Situation von Erkrankten erfährt und ihr bewusst wird , dass dieses Thema durch die Vielzahl der Krankheiten sehr relevant ist . Faszinierend finde ich die Selbsthilfe- und Patientenorganisationen , bei denen sich Betroffene zusammentun , sich gegenseitig stützen und untereinander Hilfe anbieten . Ein großer Wunsch ist , dass dieses Organisationen Hilfe von außerhalb bekommen und ihnen ihre Arbeit , gerade auch in Covid-19-Zeiten , so leicht wie möglich gemacht wird .
Regina Scholten , Leserin
Jörg Richter , Botschafter Care-for-Rare Foundation – Stiftung für Kinder mit seltenen Erkrankungen
Um die Welt für die Waisen der Medizin
„ You are the sweaty , stinky and colorful clown on the bicycle “ – das mit Abstand wertvollste Kompliment eines Kindes vom Bett einer Palliativstation in der Kinderklinik in Denver , USA . Ähnlich schöne Rückmeldungen habe
ich in unzähligen Krankenhäusern , bei Selbsthilfeorganisationen und betroffenen Familien weltweit seit 2015 gehört . Sechs Jahre auf dem Fahrrad . 40.000 Kilometer in den USA , in Deutschland und 15 anderen europäischen Ländern . Sechs Jahre mit unzähligen Begegnungen , einer Vielzahl von Interviews und Zeitungsartikeln in vielen Sprachen . Regen , Schnee , Sturm , Hitze , Hunger und Durst . Treffen mit Ärzten , Feuerwehrleuten , Sanitätern , erkrankten Kindern und deren Angehörigen . All das , um auf die Schicksale von Kindern mit seltenen Erkrankungen , den Waisen der Medizin , aufmerksam zu machen . All
das als „ Radbotschafter “ der Care-for- Rare Foundation , die sich weltweit um diese – scheinbar – vergessene Gruppe kleiner Patientinnen und Patienten kümmert . All das mit besonderer Freude im Herzen , wenn mein Besuch – oft verschwitzt und streng riechend – ein Lächeln in ein Kindergesicht gezaubert hat . All das so besonders wertvoll , weil wir alle von diesen Kindern , die mit kindlicher Weisheit oft um die nahe Endlichkeit ihres Lebens wissen , lernen dürfen . Lernen dürfen , uns über jedes noch so einfache Erlebnis freuen zu können . Den Tag , so wie er ist , zu leben und zu genießen . Grund genug , sich für diese Kinder einzusetzen !
Wissen ist teilbar
Ich wünsche mir , dass zwischen den einzelnen Fachbereichen der Ärzte ein besseres Netzwerk entsteht . In der heutigen digitalen Welt müsste es doch wesentlich einfacher sein , ein spezielles Krankheitsproblem mit Kollegen zu diskutieren . Wenn man die Gesundheitssendungen im Fernsehen verfolgt , ist es manchmal erstaunlich , durch welchen Zufall manche Krankheiten erkannt werden . Je breiter ein digitales Netzwerk ausgearbeitet wird , um so mehr müssten auch seltene Krankheiten erkannt werden .