+3 Magazin Februar 2021 | Page 16

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Susanne Frank , Leserin
Ruth Biller , Vorsitzende ARVC-Selbsthilfe e . V .
Der erste Schock setzt Kräfte frei
Die Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie , kurz ARVC , ist eine seltene genetische Herzerkrankung , die auch heute noch häufig übersehen wird . Das kann fatale Folgen haben , denn unbehandelt kann ARVC auch in jungen Jahren zum
Werkzeugkasten für die Gene
In Deutschland leben rund vier Millionen Betroffene . Viele von ihnen sind seit Jahren auf der Suche nach der richtigen Diagnose . Aktuell gibt es noch zu wenige Behandlungsmöglichkeiten und viele der bisher bekannten seltenen Erkrankungen sind bis heute unheilbar . Von einer seltenen Erkrankung betroffen zu sein , trifft viele Menschen völlig unerwartet . Vor ihnen liegt meist eine lange Odyssee . Oft erhalten sie erst nach mehreren Jahren eine konkrete Diagnose . Betroffene wie auch Angehörige wissen oftmals gar nicht , was auf sie zukommt oder an wen sie sich wenden können . Daher ist es wichtig , die Diagnosezeit zu verkürzen . Ein möglicher Weg ist , über seltene Erkrankungen aufzuklären und so für Betroffene Aufmerksamkeit zu schaffen . Da etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen genetisch bedingt sind , richtet sich die Hoffnung zunehmend auf innovative Behandlungsansätze , die fehlerhafte Erbinformationen reparieren oder durch gesunde Versionen ersetzen . Gentherapeutische Ansätze sind vor allem bei Erkrankungen erfolgsversprechend , die auf einem einzelnen Gendefekt beruhen . plötzlichen Herztod führen , nicht selten ausgelöst durch körperliche Belastung beim Sport . ARVC ist nicht heilbar , Symptome werden medikamentös oder durch Katheterablation behandelt , bei hohem Risiko kann ein implantierter Defibrillator ( ICD ) vor dem plötzlichen Herztod schützen . Von ARVC betroffene Familien sind einer extremen psychischen Belastung ausgesetzt . Sie kämpfen mit den Folgen der Einschränkung ihrer Lebensqualität , etwa wegen des Sportverbots , mit Ängsten wegen der wiederkehrenden Arrhythmien und mit Schuldgefühlen wegen der Weitervererbung der Genvariante an die Kinder . Der Wunsch nach Aus- tausch mit anderen Betroffenen ließ uns nach dem Tod unserer 14-jährigen Tochter eine ARVC-Selbsthilfeorganisation gründen , die sich durch Aufklärung , Austausch , ( inter- ) nationale Vernetzung und Förderung der Forschung für eine verbesserte Patientenversorgung einsetzt . Betroffene erfahren bei uns Verständnis , Wärme und Zuversicht . Ärzte sollten bei jeder unklaren Herzrhythmusstörung oder Bewusstlosigkeit sowie bei Fällen von plötzlichem Herztod insbesondere junger Menschen unbedingt an ARVC denken , eine genetische Untersuchung veranlassen und die Patienten an Spezialisten überweisen . arvc-selbsthife . org
KLINISCHE ENTWICKLUNG Wirkstoffe für seltene Erkrankungen schaffen es häufiger als andere bis zur Zulassung
9,6 % 8,7 %
Phase 1 bis zur Zulassung
25,3 %
63 %
Phase 1 zu Phase 2
Alle Krankheiten
58 %
76 %
30 %
Chronische Krankheiten mit hoher Prävalenz
27 %
Phase 2 zu Phase 3
50 %
58 %
61 %
73 %
Phase 3 zu Antrag auf Zulassung
Quellen : Biotechnology Innovation Organization , Statista
Theo Gärtner , Leser
Danke !
Seltene Erkrankungen
85 % 87 %
89 %
Antrag auf Zulassung zu Zulassung
Zeitraum : 2006-2015 ; Phase 1 = Erprobung an gesunden Menschen , Phase 2 = Erprobung an ersten Patienten , Phase 3 = Erprobung an vielen Patienten ( Schlüsselstudien )
Nicole Hegmann , Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss
Bewusstsein stärken
Eine seltene Krankheit ist für Betroffene oft ein schweres Schicksal , da bis zur Diagnosestellung oft Jahre vergehen . Patienten , die mit einer solchen Diagnose konfrontiert werden , stehen oft vor der Frage , wie geht es nun weiter und wer kann mir helfen . Oft wissen selbst Hausärzte nicht , was solche Diagnosen bedeuten . So ist es auch bei der Mastozytose . Oft werden die Patienten erst für psychisch erkrankt erklärt , bis das Rätsel ihrer Erkrankung gelöst ist . Wer aber nun denkt , dass nach der Diagnose für die Patienten alles gut wird , irrt sich . Dann beginnt erst die Suche nach einem Spezialisten und geeigneten Therapien . Wir , das Mastozytose Selbsthilfe Netzwerk , haben es uns zur Aufgabe gemacht , die Patienten wie auch die Ärzte dazu aufzufordern , einen Tryptase-Test machen zu lassen , wenn der Verdacht bestehen könnte , dass es sich um diese sehr seltene Erkrankung handeln könnte . Dieser Test kann schon deutliche Anzeichen für diese Erkrankung sichtbar machen . Des Weiteren setzen wir uns auch für eine gute Vernetzung zwischen den verschiedenen Fachrichtungen ein . Wir versuchen nicht nur , den Dermatologen , Allergologen und Hämatologen zur Seite zu stehen , da diese Erkrankung sich oft hinter anderen Beschwerden versteckt . Aus diesem Anlass haben wir auch den Expertentag für Mastozytose ( EXMAS ) gegründet , um hier fachübergreifend mehr Aufmerksamkeit zu schaffen . mastozytose-info . de
Ein Leben mit einer seltenen Erkrankung zu führen , ist sicherlich nicht einfach und bedeutet für den Einzelnen eine gewaltige Herausforderung . Wenn Betroffene Menschen hinter sich wissen , die ihnen zur Seite stehen , dann ist das eine große Stütze und Unterstützung . Sie füllen eine Lücke in der Versorgung , die unser Gesundheitssystem nicht leistet . Ich finde , das sollte mehr gewürdigt werden . Egal ob Eltern , Schwester , Nachbar oder bester Freund : Ich habe große Hochachtung vor ihrem Engagement .
Mit Daten Leben retten
Wissen über Erkrankungen ist die Grundlage für deren erfolgreiche Behandlung . Doch gerade bei seltenen Krankheiten wird die Forschung durch die geringe Anzahl der Betroffenen und deren oft große räumliche Verteilung noch immer sehr erschwert . Hinzu kommt , dass wir hierzulande allgemein bei der Verfügbarkeit und dem Einsatz der für die Forschung so zentralen personenbezogenen Daten schlecht aufgestellt sind . Abhilfe schaffen könnte hier die sogenannte Datenspende , bei der Patientinnen und Patienten freiwillig ihre Daten freigeben – und damit einen aktiven Beitrag zu einer besseren Diagnose und Behandlung dieser Erkrankungen leisten . Umfragen zeigen eine große Bereitschaft in der Bevölkerung , die angesichts von Corona sogar noch weiter zugenommen hat . Der Weg dorthin bleibt mühsam : Zwar wurde mit der zum Jahreswechsel gestarteten elektronischen Patientenakte eine umfassende Grundlage für Patientinnen und Patienten geschaffen , um über ihre eigenen Daten verfügen zu können , doch werden die potenziellen Mehrwerte nicht voll ausgeschöpft . So wird zum Beispiel die private Forschung ausgeschlossen und damit ausgeblendet , dass 75 Prozent der Forschungsvorhaben in diesem Sektor durchgeführt werden . Es braucht daher einen geregelten Zugang für forschende Unternehmen , nicht zuletzt um zu zeigen , dass Forschung und Innovation im Gesundheitswesen „ Made im Germany “ erwünscht sind .
Friedrich Schnur , Leser
Sebastian Zilch , Geschäftsführer Bundesverband Gesundheits-IT ( bvitg )
Systemrelevant
Wer bei der Berichterstattung zu Krankheiten immer viel zu kurz kommt , sind die Menschen , die sich täglich für die , die Hilfe brauchen , engagieren und aufopfern . Die Angehörigen zu Hause und die Ärzte und Pfleger in den Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen leisten oftmals Übermenschliches , eingezwängt in ein Korsett aus Zeit- und Kostendruck und den eigenen Wünschen und Ansprüchen . Dieses Engagement wird oftmals gar nicht bemerkt oder als selbstverständlich wahrgenommen . Leider hat unser Gesundheitssystem hier immer noch viele Defizite , was eine faire Bezahlung von Pflegekräften und eine sinnvolle Unterstützung von pflegenden Angehörigen angeht . Es muss nicht immer ein monetärer Ausgleich sein . Vielmehr sind ein respektvoller Umgang mit Pflegenden und ein Dankeschön schon eine Anerkennung , die ankommt .