+3 Magazin Februar 2020 | Page 12

+2 12 › Nicolas Lorente, Ansprechpartner SCN2A Europe und Mitglied im Selbsthilfe-Dachverband Kindernetzwerk e. V. Pionierarbeit Als ob wir nicht genug mit der Diagno- se Frühkindlicher Autismus zu tun hät- ten, bekam unser Sohn mit fünf Jahren auch noch epileptische Anfälle. Das ist eigentlich nichts Außergewöhnliches. Viele Autisten sind auch Epileptiker. Zum Glück war ein Gentest Teil des Protokolls im Krankenhaus, wo man versuchte, seine Epilepsie unter Kont- rolle zu bekommen. Bald wussten wir den Grund dafür: eine Mutation im Gen SCN2A. Wenn wir mehr wissen wollten, sollten wir googeln, meinte der Arzt. So ist es halt bei seltenen Krank- heiten: Man darf nicht erwarten, dass der Arzt weiß, welche Medikamente und Therapien am besten funktionie- ren. Aber wir waren zumindest erleich- tert, die Ursache der Probleme endlich zu kennen. Bald lieferte Google erste Ergebnisse: Einer der Vorreiter auf dem Gebiet ist die US-amerikanische Stiftung „FamilieSCN2A Foundation“. Mitglieder sind betroffene Eltern mit demselben Ziel: ein Heilmittel zu fin- Tina Leistner, Mutter eines Sohnes mit dem CDG-Syndrom den. Dafür werden Forscher vernetzt, Projekte mitfinanziert, Konferenzen organisiert. SCN2A Europe möchte, dass auch Kinder mit SCN2A-Muta- tionen in Europa von den Ergebnis- sen der Forschung profitieren. Wenn SCN2A bei Ärzten, Krankenhäusern und Förderzentren sichtbarer wird, können mehr Fälle diagnostiziert werden. Dadurch erwacht das Inte- resse der Forschung, die Forscher vernetzen sich und bringen bessere Forschungsergebnisse hervor. Nur so können wir sicherstellen, dass Euro- pa bereit ist, wenn die ersten klini- schen Tests genehmigt werden. Hilfe nach dem Schock Zwar waren die ersten Lebensmo- nate unseres Kindes etwas holprig, aber was noch kommen würde, war noch lange nicht abzusehen. Zum ersten Geburtstag kam die Diagnose AKTIV DABEI Betroffene sind ein wichtiger Teil der Forschung Top drei der Hindernisse bei der Erforschung seltener Erkrankungen Top drei der Prioritäten von Patienten Mangel an öffentlichen Mieln 1 Therapie entwickeln Mangel an privater Finanzierung 2 Diagnose verbessern Kleine Patientenpopulation 3 Mechanismen und Ursachen seltener Krankheiten identifizieren An welcher Art von Forschung nehmen Patienten teil? Was ist Patienten wichtig? Gregor Klein, Leser Der Umgang mit seltenen Krank- heiten ist unsere gesellschaftliche Aufgabe, die durch unsere Kranken- kassen, private wie gesetzliche, finan- ziert werden muss. 1/3 Erhalt klarer Informationen zum Forschungsprojekt der Patienten mit seltenen Erkrankungen haben an medizinischer Forschung teilgenommen, darunter: Gute Beziehung zu den Forschern GESPONSERTE ANTWORT, ALSO EINE ANZEIGE Prof. Dr. Arndt Rolfs, Gründer und Vorstandsvorsitzender CENTOGENE Die Seltenen sind eine globale Aufgabe Seltene Erkrankungen – schon der Name ist irreführend, denn diese sind nicht selten: Mehr als 350 Mil- lionen Betroffene gibt es weltweit, es versterben mehr Menschen an diesen Erkrankungen als an allen Tumorerkrankungen zusammen, 30 Prozent erleben nicht ihren fünften Geburtstag. Richtiger sollten wir diese Erkrankungsgruppe „Häufig fehldiagnostizierte Erkrankungen“ nennen. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Patienten viel früher dia- gnostiziert werden. Derzeit vergehen bei den meisten Patienten wertvolle fünf bis zehn Jahre bis zur richti- gen Diagnose. CENTOGENE wur- de 2006 in Rostock genau mit dem Ziel gegründet, diese Suche nach der Krankheitsursache möglichst schnell mit modernsten Methoden erfolg- reich zu beenden. Inzwischen hat das Unternehmen Niederlassungen in Berlin, Boston, Delhi, Dubai und 59% an der Entwicklung von Behandlungen und Therapien 52% an der Forschung zum Thema Lebensqualität 16% an der Entwicklung genetischer Therapien Teilnahme an der Forschung, um der Wissenschaft und der Gemeinschaft zu helfen Umfrage unter 3.213 Personen mit seltener Erkrankung und deren Angehörigen aus 42 Ländern; August-November 2017 Quelle: EURORDIS Wien und ist globaler Marktführer – nur nicht in Deutschland, da sich die ambulanten Finanzierungssysteme hierzulande mit Innovation schwer- tun. Dabei gelingt es mittlerweile, für über 55 Prozent dieser Patienten eine Diagnose zu stellen. Endlich hat die Erkrankung einen Namen. Auch die Vernetzung mit anderen Betrof- fenen gelingt nun und die Chance auf eine kausale Therapie steigt. In Zeiten personalisierter Medizin kommt der genetischen Diagnostik eine zentrale Rolle zu. Der Tag der Seltenen Erkrankungen am 29. Fe- bruar hilft, die Aufmerksamkeit auf diese weltweite Herausforderung zu erhöhen. Max Prigge, Vorstand Deutsche Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta (Glasknochen) Betroffene Normal leben Osteogenesis imperfecta (Oi) ist vie- len in Deutschland als Glasknochen bekannt. Bei dieser genetisch be- dingten seltenen Erkrankung bre- chen die Knochen häufiger als bei gesunden Menschen. Ich persönlich kenne es nicht anders, da Glaskno- chen von Geburt an auftritt. Abgese- hen von den Krankenhausaufenthal- ten und OPs verläuft mein Leben wie bei einem Durchschnittsdeutschen. CDG – Congenital Disorders of Gly- cosylation – mit Paukenschlag in unser Leben. Nun erklärten sich die starke Entwicklungsverzögerung, die schwierige Nahrungsaufnahme, die schlechten Blutwerte. Den Kinderarzt vor Ort brauchten wir nicht um Erklä- rungen bemühen, da es sich um eine seltene genetisch-bedingte Stoffwech- selerkrankung handelt. Der Termin beim einzigen Facharzt in Deutsch- land war erst sechs Monate später, da dieser trotz der Seltenheit von CDG am Limit arbeitet. Für leichte Beruhigung sorgte in der Zeit des Wartens der El- ternverein Glycokids. Kurz nach An- meldung folgte ein Anruf einer Mutter, die selbst Jahre vorher in der gleichen aufwühlenden Situation wie wir war. Wir bekamen erste lebenswichtige In- formationen. Unser Kind darf unter keinen Umständen fiebern oder eine Infektion bekommen. Dieses Wissen ist für CDG-Patienten essenziell, denn beides kann lebensbedrohliche Kom- plikationen auslösen. Mittlerweile sind wir angekommen. Unser Kind ist ein freundlicher Junge von sechs Jahren, der tapfer gegen die Widrigkeiten sei- nes Gendefektes kämpft. Den Kontakt zu anderen betroffenen Familien pfle- gen wir bei Glycokids durch Treffen und den Austausch in einer Whatsapp- Gruppe. Neue Familien werden hier aufgefangen und unterstützt – und dieser Austausch ist für uns Gold wert. www.cdg-syndrom.de Paula Mitterer, Leserin Für mich sind seltene Krankheiten nichts völlig Neues mehr. Ich habe durch die geniale Serie „Dr. House“ erfahren, wie schwierig es ist, heraus- zufinden, woran jemand leidet und wie man hilft. Ich bewundere alle, die sich hier engagieren. Ich habe mein Abitur an einem Gym- nasium abgelegt und anschließend eine Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen abgeschlossen. Ich lebe mit meiner Freundin zusam- men. In meiner Freizeit bin ich lei- denschaftlicher Schütze und möchte Schützenkönig werden. Schwierig ist es im Alltag hauptsächlich mit den Behörden, die einem häufig Steine in den Weg legen und den Auftrag der Unterstützung nicht erfüllen. Oft merke ich, dass die Kenntnisse über Glasknochen noch zu gering sind. Da- bei gehört meine Erkrankung noch zu den bekannteren unter den seltenen Krankheiten. Ich wünsche mir dahin- gehend mehr Verständnis. Wir Betrof- fenen stellen keine Anträge, weil wir Spaß daran haben. Wir benötigen die Unterstützung, um unser Leben leben zu können. Damit sich etwas ändert, bin ich in der Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta (Glaskno- chen) Betroffene aktiv. Auch gesell- schaftlich muss noch viel passieren. Deshalb sind meine Freundin und ich #inkluencer geworden und erzählen auf unserem Kanal @brittlebonesking auf Instagram und Youtube aus unse- › rem Alltag.