+3 Magazin Februar 2019 | Page 4
+1
4
WIE SIEHT SCHULE
HEUTE AUS?
WIR FRAGEN:
... und was ist
Ihre Meinung?
www.plus-drei.de
[email protected]
Das „Einstein-Syndrom“ beschreibt Kinder, die besonders spät
beginnen, zu sprechen. Albert Einstein selbst soll bis zu seinem
vierten Lebensjahr keinen Ton gesagt haben.
Quelle: The Guardian
© iStock./RichVintage
Christof Kuhbandner,
Professor für Pädago-
gische Psychologie,
Universität Regensburg
Potenziale erkennen
und fördern
Was erwarten wir eigentlich von Schu-
len? Sie sollen Kinder in ihrer Per-
sönlichkeitsentwicklung unterstützen
und dazu befähigen, in ihrer zukünfti-
gen Lebenswelt sachgerecht, kreativ,
selbstbestimmt und verantwortungs-
bewusst gegenüber der sozialen und
natürlichen Umwelt zu handeln, ver-
bunden mit der Gestaltungslust, die
Welt ein Stück besser zu machen. Wie
müssten Schulen dazu gestaltet sein?
Der Grundstein ist die Überzeugung,
dass jedes Kind über ein reichhaltiges
Potenzial verfügt. Da heute „Wissen“
über digitale Geräte überall verfügbar
ist, wird durch Auswendiglernen von
Definitionen und Theorien dieses Po-
tenzial vergeudet. Stattdessen müssen
Schulen ein Lernen fördern, bei dem
Definitionen und Theorien mit dem
Erleben und Handeln in der Welt
verknüpft werden. Unerlässlich dafür
sind reale Erfahrungen mit der Welt,
welche von einer mentalen Reflexion
auf der Basis aktuellen Fachwissens
begleitet sind. Angesichts der kaum
mehr überblickbaren Fülle an Wis-
sen macht das Bestreben wenig Sinn,
in allen Bereichen vertieftes Wissen
aufzubauen. Vielmehr müssen Kinder
auf der Basis vielfältiger Anregungen
darin unterstützt werden, ihr Poten-
zial in den Bereichen optimal zu ent-
falten, die ihren eigenen Interessen
entsprechen. Dabei ist dafür Sorge
zu tragen, dass die eigenen Interes-
sen von anderen wertgeschätzt und
mit deren Interessen in Einklang ge-
bracht werden – auf der Basis einer
Mitgestaltung des gesellschaftlichen
Lebens.
Jürgen Blum, Leser
Nur eines zählt
Der neuseeländische Bildungsforscher
John Hattie untersuchte über viele
Jahre in rund 800 Metastudien, was
die wichtigsten Faktoren für guten
Unterricht sind. Das Beeindruckende
an seinen Studien ist nicht nur ihre
empirische Breite, sondern vor allem
die Eindeutigkeit ihrer Ergebnisse.
Was macht die Qualität einer guten
Schule aus? Ist es die Hinführung zu
eigenverantwortlichem Arbeiten und
Lernen ohne Lehrer? Überschätzt.
Die Frage nach privater oder staat-
licher Schule ebenso. Sind es die fi-
nanziellen Ressourcen einer Schule?
Nein. Didaktische Reformen? Auch
nicht entscheidend. Das Wichtigste
ist die einzelne Lehrperson. Nichts
vermag den Menschen mehr zu moti-
vieren als der Mensch. Lehrer, die für
ihr Fach brennen, haben die größte
Chance, das Interesse ihrer Schüler zu
wecken. Manche Pädagogen schaffen
das auch mit einem Vortrag. Insofern
ist es fragwürdig, den Frontalunter-
richt per se zu verdammen, wie es in
der Lehrerausbildung seit Jahrzehn-
ten geschieht. Niemand wünscht sich
die Zeiten zurück, in denen Unterricht
ausschließlich lehrerzentriert war.
Aber lernerzentrierten Unterricht
zum alleinseligmachenden Dogma zu
erklären, heißt nach meiner Auffas-
sung, Kompetenzen eines Lehrers un-
genutzt zu lassen. Ein Pädagoge wird
von den Lernern nur dann ernst ge-
nommen, wenn er authentisch ist. Das
kann er jedoch nur sein, wenn man
ihm die Freiheit lässt, die Methoden
anzuwenden, die seinen individuellen
Fähigkeiten entsprechen.
Jutta Bauer, Leserin
Ein einfacher Ratschlag direkt aus
der Praxis: Eine Obergrenze von ma-
ximal 20 Schülern pro Klasse und
viele Probleme sind gelöst.